Psychologie und Wirtschaftspsychologie

„Das Gehirn hat schon entschieden, bevor wir meinen, uns zu entscheiden“

von Redaktion, am 26.11.2015

Die letzten Wochen vor Weihnachten stehen ganz im Zeichen des Konsums. Um Kunden zu locken und zum Kauf der hauseigenen Produkte zu bewegen, greifen immer mehr Marken tief in die Neuromarketing-Trickkiste. Vertreter dieser relativ jungen Forschungsrichtung beschäftigen sich mit der neurologischen Komponente des Konsumentenverhaltens. Michael Pusler, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Fresenius München, erklärt im Interview, was in Konsumenten-Gehirnen vor sich geht.

In diesen Wochen beginnt das Weihnachtsgeschäft. Um ihre Liebsten zu beschenken, geben die Deutschen zu dieser Zeit weit mehr Geld aus als im restlichen Jahr. Wie funktioniert unser Einkaufsverhalten, für welche Marken entscheiden wir uns beim Weihnachtseinkauf und warum?

Zunächst einmal muss man verstehen, wie das Gehirn hinsichtlich der Markenwahl arbeitet. Um Energie zu sparen, zieht unser Gehirn sogenannte „starke Marken“ anderen vor. Das sind solche, die wir kennen, mit denen wir bislang gute Erfahrungen gemacht haben. Der Grund: Unser Gehirn arbeitet gerne sparsam und bei bekannten Marken muss man weniger Ressourcen in Überlegungen investieren.

Dabei spielen auch Sozialisationseffekte eine Rolle. Um das am Beispiel bestimmter Süßwaren zu verdeutlichen: Habe ich eine bestimmte Schokolade schon als Kind gern gegessen, verbinde ich mit dem Markensymbol oftmals ein inhärentes Gefühl von Geborgenheit und häuslicher Wärme. Daneben sind noch ausreichende Wiederholungen wichtig – der Forscher spricht hier vom sogenannten Mere-Exposure-Effekt –, damit Gelerntes langfristig gespeichert und auch wieder mühelos abgerufen werden kann. Es geht hier um die Frage, ob bei bestimmten Anlässen immer genau eine bestimmte Schokolade gegessen wurde, zum Beispiel an Geburtstagsfeiern.

Das Gehirn funktioniert, wie schon gesagt, nach einem sehr ökonomischen Prinzip: Weniger Aufwand für den Kopf führt zum Markenerfolg. Konkret entscheidet sich der Kunde beim Einkaufen eben sehr häufig für die Marke, die er am besten kennt.

Bedeutet das, dass wir gewissermaßen auf Autopilot schalten und uns von diesem durch die weihnachtlich geschmückten Fußgängerzonen des Landes führen lassen?

So könnte man es vereinfacht ausdrücken, zumindest, wenn wir uns treiben lassen und nicht bereits ein ganz bestimmtes Produkt im Auge haben. Genau dabei übernimmt unser Denkorgan mehr oder weniger die Steuerung. Es gibt tatsächlich Areale im Gehirn, die bereits Aktivität zeigen, bevor einem eine Entscheidung für etwas bewusst wird. Das impliziert, dass Entscheidungen oftmals vorbewusst gefällt werden. Das Gehirn hat sozusagen schon entschieden, bevor wir meinen, uns zu entscheiden.

Wie können neue Marken auf dem Markt Erfolg haben, wenn man sich in vielen Fällen lenken lässt und für die altbekannten Produkte entscheidet?

Von dem Wissen, wie Erfahrungen Markenwahl-Entscheidungen beeinflussen, können auch neue Marken profitieren. Wichtig ist es aus Sicht der Werbetreibenden, dabei entsprechende „Sensationen“ zu bieten, die unsere grundlegenden Gefühls- und Erlebnismuster ansprechen. Schlüsselreize, wie wir sie aus der Psychologie kennen, zum Beispiel das Kindchenschema oder Gesichter, die uns sympathisch anschauen, spielen dabei eine zentrale Rolle.

Natürlich muss in der Markenkommunikation auch der Produktnutzen erkennbar werden. Aber die emotionale Stimulierung ist entscheidend! Und für die Mediaplanung gilt, dass der Einsatz von Crossmedia, also die Nutzung mehrerer Medienkanäle, von zentraler Bedeutung ist. So wird dem Verbraucher das Markenerlebnis über mehrere Sinneskanäle schmackhaft gemacht. Ausgehend von der Formel „crossmedial ist gleich crosssensual“ bedeutet das, dass beim Kunden über viele Kanäle nachhaltigeres emotionales Lernen erreicht wird. Das ist die Chance für neue Marken, in das Bewusstsein potentieller Konsumenten Eingang zu finden.

Neuromarketing ist ein durchaus nicht unumstrittenes Gebiet. Was sollten wir der Neuromarketingforschung dennoch zugutehalten?

Ich denke, wir verdanken dieser Forschung eine ganze Menge. Dadurch wurden viele Fragen zur wirksamen Steuerung von Marketingmaßnahmen aufgeworfen und beantwortet. Verknüpft man die Neuromarketingforschung mit anderen Wissenschaftsdisziplinen, ergeben sich daraus interessante Ansätze für die Konsumentenforschung.

Welche Perspektive auf den Menschen liegt diesen Ansätzen zugrunde?

Man nimmt hier die Sichtweise der Verhaltensökonomie ein. Hier geht man davon aus, dass jedes Individuum eigene Entscheidungsregeln befolgt und Handlungsoptionen danach bewertet, welche möglichen Belohnungen damit verbunden sind. Übertragen wir diese Überlegungen auf den Bereich Marketing, können Marken heute dazu genutzt werden, um beim Konsumenten individuelle Belohnung zu erzeugen.

Die Bedürfnisse, die durch diese Belohnungen befriedigt werden, sind allerdings bereits vorher latent vorhanden, das heißt, sie werden nicht erst durch die Werbung hervorgerufen. Legt man dies zugrunde, muss Werbung keine ethischen Bedenken seiner Kritiker mehr fürchten – weil sie den aufgeklärten Konsumenten eben nicht im Sinne eines geheimen Verführers zu Dingen anstiftet, die er eigentlich ablehnt.

Der zeitweise apostrophierte Kauf-Knopf, der von guter Werbung angeblich betätigt wird und dann automatisch zum Kauf führt, ist also nie gefunden worden. Er wurde inzwischen ad acta gelegt.

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Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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