Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

Ein Vorgeschmack auf Weihnachten – schon im Sommer

von Redaktion, am 07.10.2016

Der Lebkuchen ist wieder da! Seit einigen Wochen findet sich das Gewürzgebäck in den Regalen deutscher Supermärkte. Das finden viele Menschen hierzulande nicht in Ordnung. Sie sehen darin ein Indiz für die kommerzielle Ausschlachtung des Weihnachtsfests. Dabei habe der verfrühte Verkaufsstart auch etwas Gutes – und natürlich mache er aus Sicht der Lebkuchenindustrie durchaus Sinn, so der Konsumpsychologe Michael Pusler.

Vor einigen Wochen, rund um den meteorologischen Herbstanfang am 1. September, wurde auch in diesem Jahr wieder mit dem Lebkuchenverkauf begonnen. Noch bei sommerlichen Temperaturen wurde damit die Weihnachtssaison eingeläutet. Schokoladennikoläuse und Adventskalender folgen dann erst später. Warum auch nicht? Wer behauptet denn, Dominosteine schmeckten nur an Weihnachten? Citrusfrüchte beispielsweise kaufen die Menschen ja auch das ganze Jahr über.

Der Konsumpsychologe Michael Pusler, Dozent für Markt- und Werbepsychologie an der Hochschule Fresenius München, zeigt dennoch Verständnis für die Gegner des verfrühten Verkaufsstarts: „Viele Menschen sehen den Lebkuchenverkauf im Spätsommer deshalb kritisch, weil sie befürchten, Weihnachten könne dadurch weiter entwertet und entzaubert werden.“ Pusler ergänzt: „Diese Menschen beklagen schon seit Jahren den zu starken Konsumcharakter des Weihnachtsfests. Dass die große Kauferei jetzt sogar schon im September beginnt, bringt für viele das Fass zum Überlaufen.“

Der Konsumpsychologe sieht aber nicht nur Schlechtes am vorgezogenen Weihnachtsgeschäft: „Durch das Herbstgebäck wird die Sehnsucht nach den echten Weihnachtsprodukten, etwa den frischen Weihnachtsplätzchen oder den Stollen aufrecht erhalten. Das ist wie bei der Wiesn: Zwar gibt es überall Kopien davon, aber letztendlich wollen die Leute immer noch das Traditionelle, das Wahre, das Original. Der frühe Lebkuchenverkauf verstärkt diesen Willen sogar noch.“

„Künstlicher Mangel“: Warum der vorweihnachtliche Lebkuchenverkauf so erfolgreich ist

Dass viele Kunden doch schon im September Lebkuchen naschen, erklärt Pusler unter anderem mit dem besonderen Geschmackserlebnis: „Viele freuen sich schon das ganze Jahr darauf. Der Geschmack des Lebkuchens ist eben einzigartig.“ Und da Lebkuchen eben nur für eine kurze Zeit im Jahr zu kaufen seien, entstehe auf Konsumentenseite ein so genannter „Künstlicher Mangel“: „Durch die bewusst erzeugte Knappheit ist die Anziehungskraft des Produkts noch höher. Vor allem Verbraucher mit weniger religiösem oder weltanschaulichem Bezug zu Weihnachten greifen sofort zu, sobald die Lebkuchen in den Regalen stehen.“ Aufgrund dieser Sogwirkung sei der ganzjährige Lebkuchenverkauf auch nicht zu empfehlen. „Auf diese Weise wird das Produkt entwertet, also von Verbraucherseite zu einem gewöhnlichen Produkt umgedeutet“, so der Konsumpsychologe.

Es nur im Winter anzubieten sei allerdings auch nicht sinnvoll: „Die Weihnachtszeit ist meist schneller vorbei, als der erste Schnee fällt – und da danach niemand mehr weihnachtliche Produkte sehen will, bieten die Hersteller sie eben davor an“, wirbt Pusler um Verständnis für das Vorgehen der Lebkuchenindustrie.

Am meisten Lebkuchen werden nach Auskunft des Einzelhandels tatsächlich im Oktober und November verkauft, so eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Der vorweihnachtlichen Anziehungskraft des Lebkuchens können scheinbar viele Menschen in Deutschland nicht widerstehen.

Michael Pusler ist Hochschuldozent und Marktforscher.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

0 Kommentare

Ihr Kommentar

Sie möchten Sich an der Diskussion beteiligen? Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!
Bitte beachten Sie dabei unsere Netiquette. Vielen Dank.

Schreiben Sie einen Kommentar