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Psychologie und Wirtschaftspsychologie

KI bei der Personalfindung: Chancen und Hürden für den Einsatz in der Bewerberselektion

von Melanie Hahn, am 27.10.2023

Im digitalen Zeitalter setzt sich der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in verschiedenen Bereichen zunehmend durch und revolutioniert die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und interagieren. Insbesondere im Bereich der Human Ressources könnte die Integration von KI-gestützten Technologien im Rekrutierungsprozess einen tiefgreifenden Wandel hervorrufen. Die Anwendung von KI in der Personalbeschaffung verspricht, die Talentakquise zu rationalisieren, die Entscheidungsfindung zu verbessern und die Ressourcenzuweisung zu optimieren. Die Integration von KI in die Talentauswahl bringt jedoch auch eine Reihe von Herausforderungen und ethischen Erwägungen mit sich, die gründlich untersucht und verstanden werden müssen.

Die im Rahmen einer Masterarbeit von Simon März im Studiengang “Digitales Management” unter Betreuung von Prof. Dr. Stefan Gröner vorgestellte empirische Studie zielt darauf ab, die Veränderungen und Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI bei der Talentauswahl zu untersuchen und Einblicke in das transformative Potenzial sowie die Hindernisse und Komplexitäten dieser Technologien zu geben. Mit Hilfe von strukturierten Experteninterviews auf Basis der in der Literaturrecherche bestehenden Forschungslücken wurden die aktuellsten Entwicklungen und Branchenpraktiken erhoben und gleichzeitig die Auswirkungen auf Arbeitgeber und Arbeitssuchende beleuchtet.

Bislang wird KI in der Bewerberselektion kaum verwendet. Obwohl das Thema „KI” in aller Munde ist, setzen sich dennoch viele Unternehmen noch wenig mit diesem Thema auseinander und konkrete Anwendungen in der Bewerberselektion werden aus Sicht der Expert:innen vor allem aufgrund von rechtlichen Bestimmungen oder unzureichenden Funktionen kaum genutzt. Zudem ist es vielen Unternehmen bei der aktuell angespannten Lage am Arbeitsmarkt zu riskant, negative Erfahrungen oder Bewertungen von Kandidat:innen zu erhalten, weshalb also weitgehend auf den Einsatz verzichtet wird. Dennoch sind sich die meisten Expert:innen einig, dass durch automatisierte Prozesse im Personalauswahlprozess Bewerbungs- und Entscheidungsprozesse deutlich effizienter und schneller abgewickelt werden können. Da aber durch die Vielzahl neuer digitaler Prozesse in Zukunft nicht nur mehr Daten, sondern vor allem auch eine höhere Datenvielfalt anfallen, stellt sich die Frage, wie Personalabteilungen diese Daten nutzen können, um bessere Einblicke über die Bewerber:innen zu erhalten und den Fit zum Unternehmen und die mögliche Arbeitsperformance zu prognostizieren.

In dem Prozessabschnitt der Selektion sind aktuell keine Anwendungen im Einsatz, die Kandidat:innen vollumfänglich diagnostizieren bzw. den Personalmitarbeiter:innen im Auswahlprozess aktiv zur Seite stehen. Die Literatur belegt, dass es für eine Personalentscheidung immer menschliches Fingerspitzengefühl und Verständnis bedarf. Da durch rechtliche Vorschriften eine automatisierte Entscheidung über Personen durch die DSGVO und das BDSG verboten ist, muss für einen erfolgreichen Einsatz von KI im Personalauswahlprozess die Entscheidung immer durch eine Person geschehen. Darüberhinaus stehen aktuelle Verfahren, die anhand von Video-Erstinterviews auf die Persönlichkeitseigenschaften der Bewerber:innen schließen können, stark in der Kritik, weshalb diese – wenn überhaupt – nur zurückhaltend eingesetzt werden.

Hohe Interaktion mit dem Mensch als finalem Entscheider

Um Akzeptanz und Nutzen in Zukunft zu sichern, müssen aus Expertensicht Blackbox- Probleme minimiert werden. Ziel für Entwickler:innen sollte es deshalb sein, ein System für die Selektion zu entwickeln, welches einen niedrigen Autonomiegrad besitzt und gleichzeitig eine hohe Interaktion zwischen Mensch und Maschine ermöglicht. Dadurch würde eine hybride Intelligenz entstehen, bei der die Entscheidungsbefugnis immer bei den Menschen liegt. Darüber hinaus müsste eine möglichst nachvollziehbare und transparente Evaluation des Prozesses durch das KI-System sichergestellt werden.

Aufgrund der mangelnden Abdeckung von Anforderungen und Bedürfnissen der aktuell am Markt vorhandenen Anwendungen, wird aus Sicht der Expert:innen derzeit weitgehend auf KI in der Selektion von Bewerbern verzichtet.

Mehr Impulse beim Einsatz von KI nötig

Allerdings sind sich die Expert:innen einig, dass sich das Arbeitsfeld des Recruiters in den nächsten zehn Jahren deutlich verändern wird. So herrscht Einigkeit darüber, dass administrative Aufgaben abnehmen und komplexere Tätigkeiten zunehmen werden. IT- Skills sowie Fähigkeiten in Datenanalyse werden einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen. Die größten Vorteile von KI sehen Expert:innen in Zukunft bei der Prozessoptimierung sowohl auf Kandidaten- als auch auf Unternehmensseite und damit in der Einsparung von Ressourcen. Nach Einschätzungen der Experten wird allerdings mit Hilfe von KI die Bewertungsqualität durch die Minimierung der klassischen Beobachtungsfehler verbessert werden können. Eine valide Bewertung von Persönlichkeitseigenschaften hält die Mehrzahl der Expert:innen jedoch für unwahrscheinlich. Fest steht, dass auch die Beschäftigten mit den neuesten technischen Möglichkeiten Schritt halten müssen, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden zu können. Da sich aufgrund der Ergebnisse der Studie deutsche Personalabteilungen noch wenig mit dem Thema KI beschäftigen und das gesamte Themengebiet stark von Vorurteilen geprägt ist, besteht die Gefahr, dass die Geschwindigkeit der technologischen Weiterentwicklung womöglich unterschätzt und der rechtzeitige Zeitpunkt des Einstiegs von Personalabteilungen verpasst wird. Demnach kann aus den Ergebnissen der Studie abgeleitet werden, dass die Recruiting Abteilungen für einen künftigen Erfolg die abwehrende Haltung ablegen und ihre Daseinsberechtigung auch im Zeitalter von KI unter Beweis stellen müssen, um die Primärfunktionen einer Organisation mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen zu können. Es muss im Fokus stehen, wie die Personalabteilung den technologischen Wandel und das Unternehmen selbst unterstützen kann und nicht nur zu versuchen, wie die Arbeit alleinig von HR erleichtert werden kann.

Wenn die grundlegende Zurückhaltung der Personalabteilungen gegenüber dem Themengebiet nicht abgelegt wird, besteht die Gefahr, dass durch menschlichen BIAS, mangelnde Effizienz und Genauigkeit der Kandidatenpool nicht optimal ausgeschöpft wird. Es bedarf in Zukunft einer expliziten Schulung und Entwicklung von Mitarbeitenden von Personalabteilungen im Themenfeld KI, um die Chancen zu ergreifen, die sich durch den Einsatz von neuen Technologien ergeben. Zeitgleich muss jedoch auch sichergestellt werden, dass eine sorgfältige Umsetzung und Überwachung geschieht, um potentielle Risiken zu mindern und den verantwortungsvollen Einsatz von KI zu gewährleisten.

Über den Autor

Melanie Hahn
Melanie Hahn ist Teil der adhibeo-Redaktion und arbeitet als Pressesprecherin für die Fachbereiche Wirtschaft & Medien und onlineplus der Hochschule Fresenius.