Wirtschaft und Management

„Ein guter Projektleiter sollte sich immer seiner Grenzen bewusst sein“

von Redaktion, am 25.09.2015

In einer globalen Wirtschaft braucht es Führungskräfte, die in der Lage sind, interkulturelle Projekte zu leiten. Welche Probleme in international zusammengesetzten Projektteams auftreten können und warum klassische Managementmethoden nicht zu ihrer Beseitigung geeignet sind, beschreibt Prof. Dr. Lutz Becker, Studiendekan des Master-Studiengangs Sustainable Marketing & Leadership an der Hochschule Fresenius Köln, in einer neuen Publikation. Im Interview macht er deutlich, wie wichtig die Vermittlung interkultureller Kompetenzen bei der Ausbildung der Führungskräfte von morgen ist.

In Ihrer neuen Publikation lautet die zentrale These, dass viele klassische Managementmethoden im interkulturellen Kontext versagen. Worin bestehen überhaupt die Schwierigkeiten bei Projekten, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenarbeiten?

Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass es häufig unsere eigene Unfähigkeit ist, die für diese Schwierigkeiten verantwortlich ist – nämlich die Unfähigkeit, das eigene Verhalten als kulturell geprägt wahrzunehmen. Immer dann, wenn uns in sozialen Situationen alles furchtbar normal vorkommt, befinden wir uns mit Sicherheit in den Fängen der eigenen Kultur. Wenn einer anderen Person, mit der wir zutun haben, etwas anderes und davon unterscheidbares als normal erscheint, dann prallen hier verschiedene Kulturen aufeinander. Missverständnisse, Fehler und Konflikte sind dann vorprogrammiert.

Die Schwierigkeiten, die hier auftreten, sind natürlich situations- und gegenstandsabhängig. So nehmen beispielsweise viele Südamerikaner Hierarchien in einer Weise wahr, die es ihnen nicht erlaubt, eine Entscheidung zu treffen, ohne den Vorgesetzten zu involvieren. Ebenfalls im Unterschied zum europäischen Kulturraum haben Protokolle in Südamerika einen deutlich schwächeren verpflichtenden Charakter. Man versteht sie vielmehr als eine Art Basis, auf der man sich über die Vergangenheit unterhalten kann – gewissermaßen zur Rekonstruktion der Vergangenheit.

Für einen Deutschen dagegen haben Protokolle etwas Heiliges. Wenn nach dem Meeting ein Protokoll auf dem Tisch liegt, sind die Punkte, die darauf festgehalten sind, beschlossen und wurden von den Beteiligten akzeptiert. So ist es hierzulande auch mit der Wahrnehmung der Zeit: Ein Termin ist etwas Unumstößliches. In anderen Kulturen wird Zeit dagegen auch hin und wieder als etwas Flüssiges verstanden.

Die Deutschen und ihre Genauigkeit: Mit diesem Klischee wird im Ausland gerne gespielt. Auch die Deutschen werden eben durch eine „Stereotypenbrille“ betrachtet, wie Sie in Ihrer Publikation schreiben. Was ist darunter zu verstehen?

Durch eine Stereotypenbrille zu schauen bedeutet, dass wir die Menschen nicht unbedingt so sehen, wie sie sind, sondern so, wie wir sie sehen wollen. Diese Stereotypen können sich aber sicherlich schnell als falsch erweisen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Gerne. In der indischen Zeitzone gilt die sogenannte Indian Standard Time, abgekürzt „IST“. Scherzhaft und den Indern eine gewisse Lockerheit im Umgang mit der Zeit unterstellend wird die Abkürzung gerne auch mal in „Indian Stretched Time“ uminterpretiert. Darauf angesprochen, erwiderte mir einst eine indische Kollegin, dass an dieser Formulierung durchaus etwas Wahres dran sei. Gleichzeitig versicherte sie mir aber, sie sei – ganz im Gegensatz zu vielen ihrer Landsleute – eher preußisch gesinnt und folge dem Motto „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit“.

Der Blick durch die Stereotypenbrille hätte in diesem Beispiel also zu einer Fehleinschätzung geführt. Man sollte Menschen als das betrachten, was sie sind: als Individuen.

Der richtige Weg ist also, die Leute erst einmal kennenzulernen, bevor man über sie urteilt. Gibt es noch weitere Techniken oder Konzepte, um die Stereotypenbrille abzulegen?

Es ist auf jeden Fall wichtig, eine offene, rekursive Kommunikation zu betreiben, also die Ansichten und Einstellungen anderer immer wieder zu hinterfragen. Diese Rekursionsschleifen ermöglichen einen Perspektivenwechsel.

Natürlich gelingt es aber nicht immer, die Stereotypenbrille abzulegen. Es passiert zeitweise, dass man in gewohnte und simplifizierende Muster zurückfällt, die Brille also gewissermaßen wieder aufsetzt. Im Geschäftskontext schafft man es beispielsweise vielleicht, über weite Phasen eines interkulturellen Projekts vorurteilsfrei zu handeln und das zu befolgen, auf was man sich in der Gruppe geeinigt hat. Aber in den Momenten, in denen man unter Stress steht, gelingt das häufig nicht mehr.

Was kann man hiergegen tun?

Für dieses Problem gibt es keine pauschale Lösung. Allerdings ist es in solchen Situationen auf jeden Fall hilfreich, wenn die beteiligten Personen – allen voran der Projektleiter – dazu in der Lage sind, zu reflektieren und das eigene Verhalten an die Gruppe und die Bedürfnisse ihrer Mitglieder anzupassen. Ein guter Projektleiter sollte sich zudem immer seiner Grenzen bewusst sein und in unruhigem Fahrwasser getrost auch mal den Rat eines externen Experten einholen.

Ausgestattet mit diesen Kompetenzen sollen am Ende des Studiums auch Ihre Studierenden die Hochschule verlassen, oder?

Ja, absolut. Das interkulturelle Projektmanagement spielt auch bei der derzeitig stattfindenden Neuausrichtung des Studiengangs Sustainable Marketing & Leadership eine wichtige Rolle.

In der Weltwirtschaft werden nun mal immer mehr internationale Projekte durchgeführt – ich verwende hier gerne den Begriff „Projektifizierte Weltgesellschaft“ – und deshalb sollte auch bei der Ausbildung von Führungskräften größter Wert auf Interkulturalität gelegt werden. Das haben wir bei der Konzeption des Studiengangs berücksichtigt.

Über die Publikation: Der Aufsatz „Warum in interkulturellen Projekten das wahre Leben tobt“ von Lutz Becker und Francisco Javier Montiel Alafont erscheint demnächst im Symposion-Verlag.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

0 Kommentare

Ihr Kommentar

Sie möchten Sich an der Diskussion beteiligen? Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!
Bitte beachten Sie dabei unsere Netiquette. Vielen Dank.

Schreiben Sie einen Kommentar