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Blockchain in der Energiewirtschaft – schon bald ein Blockbuster? „Wir werden alle Teil der Energiewende“

von Redaktion, am 22.02.2018

Prof. Dr. Jens Strüker ist Dekan des Masterstudiengangs Digitales Energiemanagement an der Hochschule Fresenius in Frankfurt am Main und Geschäftsführer des Instituts für Energiewirtschaft (INEWI). Im Auftrag des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat er die nun vorgelegte Studie „Blockchain in der Energiewirtschaft – Potenziale für Energieversorger“ durchgeführt. Strüker gilt als Kritiker des aktuellen Energiesystems in Deutschland. Woran es hapert, welche Lösungsansätze er sieht – welche Rolle dabei die Blockchain spielt, sagt er im Interview mit adhibeo.

Herr Prof. Dr. Strüker, eine Ihrer Thesen lautet, dass das deutsche Energiesystem aktuell ineffizient ist und künftig noch ineffizienter wird. Was steckt dahinter?

Wir haben die Herausforderung ein zunehmend dezentrales Energiesystem zu koordinieren: Tausende von Blockheizkraftwerken, Millionen von Photovoltaikanlagen, zehntausende Windkraftanlagen und immer mehr Batterien werden zu aktiven Teilnehmern. Wird binden diese heute zu hohen Kosten physikalisch in das Stromsystem ein. Allerdings steht die marktliche Einbindung noch aus und wir sehen uns insbesondere nicht ausgelasteten Ressourcen gegenüber: Das heißt, wir haben enorme Redundanzen und unnötige Stromtransporte. Auch regeln wir heute Wind-. und Photovoltaikanlagen für rund eine Milliarde Euro für Stromverbraucher ab, anstatt alternativ Anreize zu einem flexiblen, preisgesteuerten Verbrauch zu geben. Die Situation wird sich noch zuspitzen, da wir derzeit eine Elektrifizierung des Wärmesektors in großen Schritten erleben und sich diese Entwicklung auch in den Sektoren Verkehr und Transport abzeichnet – Stichwort Elektroauto, Elektro-LKW und Elektrobus. Diese gilt es zu physikalisch zu integrieren, wozu ein umfassender und teurer Stromnetzausbau notwendig wird. Das sind die Netze sozusagen vor der Tür und nicht etwa die großen Überland-Stromleitungen, um die so viel in den letzten Jahren gestritten wurde.

Wie können wir das System effizienter und effektiver machen?

Wir haben mit der Digitalisierung von Prozessen und dem Anbinden von Dingen an das Internet (Internet of Things, IoT) die große Chance, Ressourcen tatsächlich ökonomisch und ökologisch sinnvoll zu nutzen, d.h. besser auszulasten und aufeinander abzustimmen. Parallel hierzu verschiebt sich aktuell die Wertschöpfung in der Branche systematisch immer mehr zum Kunden: Die klassische Wertschöpfung in der Branche, also Strom-, Gas- und Wärmenetze zu bauen und Energie zu verkaufen, gerät unter enormen Druck. Die schrumpfende Marktkapitalisierung der (ehemals) großen Energieversorger spricht hier für sich. Das ist aber nicht zwingend ein Nullsummen-Spiel: Auch für Energieversorger ergeben sich vielversprechende neue wertschöpfende Tätigkeiten wie datenbasiertes Komplexitätsmanagement.

Was passiert eigentlich im „Internet of Things“ – oder noch konkreter auf die Branche bezogen –  im „Internet der Energie“?

 Vereinfacht gesagt: Systeme, beteiligte Anlagen, die einspeisen und verbrauchen, Geräte aller Art und Größe kommunizieren miteinander. Damit das Sinn macht, müssen wir natürlich sicherstellen, dass die Geräte sich sehr schnell und vor allem vollständig automatisiert finden und interagieren. Zweiter Punkt: Transaktionen zwischen den Akteuren müssen sicher und effizient nachgehalten und abgerechnet werden können.

Damit ist es auch denkbar, dass kleinste Einheiten wie das Haus des Nachbarn zum Stromerzeuger werden und man während seiner Abwesenheit seinen Strom nutzen kann?

Das muss das Ziel sein. Ressourcen bedarfsgerecht lokal nutzen zu können, selbst zu entscheiden, was ich mit der vorhandenen Energie mache. Wann ich diese selbst verbrauche und wann ich diese ins Netz einspeise, zu welchen Zeitpunkten meine Nachbarn von meiner Energieerzeugung profitieren. Natürlich werde ich mittels „Apps“ meine Präferenzen nur grob vorgeben und die Prozessausführungen darunter erfolgen automatisiert. Eine zentrale Herausforderung liegt darin die Spielregeln für einen marktlichen Rahmen zu schaffen, in denen stromverbrauchende und stromerzeugende Geräte aller Größen aktiv am Energiehandel und den so genannte Systemdienstleistungen teilnehmen. Volkswirtschaftlich wollen wir Autonomie, das heißt das Haushalte und Unternehmen interagieren. Derzeit bestehen eher Anreize die sogenannte Prosumer auf Haushalts- und Unternehmensebene in die Autarkie zu „treiben“. Dies ist nicht wünschenswert, da diese wichtigen Ressourcen als Flexibilität und Liquidität Gesamtsystem dann fehlen.

Bei der Frage, wie auch Mikrotransaktionen sicher und effizient nachgehalten und abgerechnet werden können, ist die Technologie „Blockchain“ derzeit ein viel diskutierter Lösungsansatz. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat gerade die Studie „Blockchain in der Energiewirtschaft – Potenziale für Energieversorger“ veröffentlicht, die Sie inhaltlich verantwortet haben. Wie passt das eigentlich zusammen – Blockchain und Energiewirtschaft?

Blockchains haben das Potenzial, energiewirtschaftliche Prozesse in nahezu allen Wertschöpfungsstufen zu optimieren und gleichzeitig die steigende Komplexität im dezentralen Energiesystem zu bewältigen. Im Hinblick auf das Internet of Things kann die Blockchain die Technologie sein, die die Vernetzung und Interaktion zwischen den Millionen von intelligenten, autonomen Geräten ermöglicht. Sie ist es, die kleinste Energieflüsse und Steuerungssignale zu sehr geringen Transaktionskosten sicher organisiert und nachhält. Das bedeutet, sie ist die Basis für verteilte Netze, in der alle miteinander kommunizieren, verteilen, abrechnen. Wir brauchen hierfür dann auch keine Vermittlung durch zentrale Instanzen mehr, in Sekundenschnelle und automatisiert erfolgen Transaktionen direkt zwischen den Nutzern und es wird direkt in diesem Innenverhältnis abgerechnet. Und jeder, der neu dazukommt, wird Teil des Netzes und ermöglicht dessen Wachstum. Auf diese Weise werden wir alle Teil der Energiewende. Es gibt nicht mehr die klassische Unterteilung zwischen Produzent und Consumer und immer mehr werden zu Prosumern.

Welche Rolle kommt den Energieerzeugern dabei zu?

Ich hatte bereits davon gesprochen, dass sich Energieversorger zu Schnittstellenmanagern entwickeln könnten, die Wertschöpfung durch Komplexitätsreduktion erzielen. Die Blockchain-Technologie bietet die Möglichkeit dies nicht über die Entwicklung hin zu einer „Datenkrake“ zu erreichen. Anders als in der klassischen Internet-Plattformökonomie mit ihren bekannten Protagonisten Google, Amazon, Facebook und Apple erlauben Blockchains Datensouveranität, das heißt es kann die Kontrolle über herausgegebene Daten behalten werden: Datenaggregation steht hier also Nutzungskontrolle gegenüber. Es gilt dann in einer dezentralen Energiewelt beispielsweise darum, kurzfristig genügend Maschinen zur Herausgabe etwa von Nutzungsdaten zu finden und Anreize zu schaffen, um eine Lastganganalyse durchzuführen und Energiebezugskosten (zum Beispiel Reststrom) für einen Kunden zu minimieren.

Wo stehen wir aktuell bei der Entwicklung? Es gibt ja einen regelrechten Hype, im Alltag des Normalverbrauchers merkt man aber nicht viel von der Entwicklung.

Blockchains sind in vielen Branchen in der Tat ein heiß diskutiertes Thema. Wir müssen auch konstatieren, dass momentan noch hohe Erwartungen und eine Vielzahl an Pilotprojekten wenigen marktreifen Anwendungen mit belastbaren Erfahrungswerten gegenüberstehen. Aber das ist normal bei der Einführung neuer Technologien: Bekanntlich überschätzen wir regelmäßig, was in einem Jahr und unterschätzen was in zehn Jahre passiert. Bei der Komplexität des Themas und den vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten ist ein profunder und seriöser Aufbau des Systems notwendig, das kann durchaus mehrere Jahre dauern. Es gibt ja im Übrigen auch nicht die eine Blockchain, sondern es wird an den unterschiedlichsten Technologien und Varianten gearbeitet. Wir haben die vorliegende Studie gerade deshalb durchgeführt, um die Potenziale, Spielarten und Hindernisse einmal transparent zu machen. Die bislang identifizierten Anwendungen sind Wegbereiter für tragbare Geschäftsmodelle und werden dazu beitragen, Potenziale überhaupt erst greifbar und quantifizierbar zu machen.

Weil Sie das gerade selbst ansprechen: Welche Herausforderungen sind denn noch zu stemmen, bis wir von „Marktreife“ sprechen können?

Es müssen noch auf ganz unterschiedlichen Gebieten Hausaufgaben erledigt werden. Ein wesentlicher Punkt ist natürlich die Schaffung der technischen Voraussetzungen. Auf diesem Segment spielen die Kriterien Geschwindigkeit, Energieverbrauch, die Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Systemen, IT-Sicherheit und Zuverlässigkeit eine große Rolle. Nehmen wir das Beispiel Geschwindigkeit: die öffentliche Blockchain Ethereum erlaubt aktuell circa 20 Transaktionen pro Sekunde (TpS). Das Visa-Netzwerk hat hingegen eine Kapazität von ca. 56.000 TpS und fertigt durchschnittlich 2.000 TpS ab. Paypal bringt es durchschnittlich immerhin auch auf 155 TpS. Das ist nur ein Ausschnitt, zeigt aber die Dimensionen, über die wir sprechen: Noch sind öffentliche – frei zugängliche – Blockchains sehr langsam. Neben diesen technischen Faktoren haben Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz eine entscheidende Bedeutung. Letzteres hat sehr viel mit dem noch aufzubauenden Vertrauen in neue Lösungen zu tun – sowohl auf Verbraucher- wie auf Erzeugerseite. Dafür wiederum ist Aufklärung wichtig. Auch dies ein Grund, warum wir die Studie durchgeführt haben.

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Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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