Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

Wenn die Norm zum Problem wird

von Redaktion, am 30.10.2013

In der Arbeitswelt gilt Heterosexualität als soziale Norm, das merkt man schon im Bewerbungsgespräch. Für Menschen, deren sexuelle Identität von dieser Norm abweicht, ist das durchaus ein Problem – mit dem wiederum sehr unterschiedlich umgegangen wird, wie eine Studie zeigt: Die einen ziehen sich persönlich sehr zurück und vermeiden jede Information, die etwas über ihre sexuelle Orientierung kenntlich machen könnte, die anderen haben den Anspruch, einen selbstverständlichen Umgang mit ihrer sexuellen Identität zu etablieren. Hinter Letztgenanntem stecke oft der Gedanke, auf diese Weise Vorurteile abzubauen, wie Dominic Frohn, Dozent an der Hochschule Fresenius Köln, nun herausgefunden hat.

„Es ist dennoch hoffentlich alles in Ordnung“, entgegnet der Personaler im Bewerbungsinterview als herauskommt, dass sein Gegenüber nicht verheiratet ist. Über diesen Gesprächshergang berichtet ein Untersuchungspartner in einer kürzlich erschienenen Studie. Dominic Frohn, Psychologe und Dozent an der HS Fresenius Köln, fasst darin die zentralen Statements von vier Interviews zusammen, die er mit schwulen und lesbischen Arbeitnehmern geführt hat. Alle Befragten haben solche oder ähnliche Erfahrungen im Berufskontext schon einmal gemacht, ihre Antworten verdeutlichen: In der Arbeitswelt darf die sexuelle Identität nicht von der heterosexuellen Norm abweichen.

Was tun, wenn man sich außerhalb der Heteronormativität befindet? Homosexuelle Personen reagieren hier ganz unterschiedlich, das konnte Frohn bereits in einer früheren Untersuchung zeigen: 2007 veröffentlichte er die Studie „Out im Office?!“, für die er über 2000 lesbische und schwule Beschäftigte befragt hatte. Rund die Hälfte der Befragten gab damals an, mit keinem oder nur wenigen Kollegen offen über ihre sexuelle Identität zu sprechen. Rund 35 Prozent bestätigten dagegen, „es treffe voll und ganz zu, dass sie am Arbeitsplatz offen mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen“, schreibt Frohn.

Dass lesbische und schwule Arbeitnehmer gegensätzliche Kommunikationsstrategien wählen, ist seit dieser Studie also bekannt – warum sie so reagieren dagegen weniger. Also begab sich Frohn auf Motivsuche und ließ der quantitativen eine qualitative Studie folgen.

Hinter dem offenen Umgang steckt die Absicht, an bestehenden Verhältnissen etwas zu verändern

Nach der Auswertung der vier Interviews lassen sich nun Aussagen zur Motivlage hinter dem unterschiedlichen Kommunikationsverhalten machen – zumindest vorsichtige: denn natürlich kann man bei einer derart niedrigen Stichprobe nicht auf Allgemeingültigkeit hoffen. „Das ist auch nicht das Ziel einer explorativen Studie“, erklärt Frohn. Es sei ihm vielmehr darum gegangen, Impulse für weitere Forschungsprojekte zu erhalten – und das ist ihm gelungen: „Interessanterweise deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Personen, die im Berufsalltag eine offene Strategie wählen, Motive haben, die über ihr Individualinteresse hinaus gehen: Sie wollen an den Verhältnissen etwas verändern, sind demnach eher politisch motiviert“, berichtet der Psychologe. Eine intensive persönliche Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen sexuellen Identität hätten diese offensive Umgangsweise bedingt.

Die Energie dafür schöpfen die Betroffenen also gewissermaßen aus sich selbst, Frohn spricht in diesem Zusammenhang von einer „inneren Referenz“. Bei den Personen, die im Arbeitsumfeld zurückhaltender mit ihrer sexuellen Identität umgehen, sei dagegen eher eine „äußere Referenz“ von Bedeutung, erläutert er: „Die Personen analysieren vorsichtig, welche institutionellen und kulturellen Bedingungen in einem Unternehmen vorherrschen. Werden diese als eher homophob wahrgenommen, halten sie sich zurück.“

Leider ist eine solche homophobe Atmosphäre immer noch häufig in Unternehmen zu finden: Laut der Studie „Out im Office?!“ haben rund drei Viertel der schwulen und lesbischen Befragten am Arbeitsplatz schon Erfahrung mit Diskriminierung gemacht – sowohl in subtiler als auch in offener Form.

In Unternehmen, die Diversity Management betreiben, kommt Homophobie seltener vor

Wer auf diese Erfahrungen verzichten möchte, der sollte sich vorab darüber informieren, ob der zukünftige Arbeitgeber Diversity Management betreibt oder Einrichtungen besitzt, deren Bemühungen sich gegen eine Benachteiligung gleichgeschlechtlich orientierter Personen richten. „In diesen Unternehmen haben schwule und lesbische Befragte seltener Diskriminierung erlebt“, bezieht sich Frohn auf seine Studie aus dem Jahr 2007.

Als Berater unterstützt Frohn Unternehmen bei der Einführung von Diversity Management. Zu Beginn muss er dabei in den meisten Fällen zunächst ein Problembewusstsein schaffen: „Vielen Führungskräften und Managern ist nicht klar, wie häufig die heterosexuelle Identität im Unternehmensalltag thematisiert wird“, erklärt er. Um dies zu verdeutlichen, lässt er Skeptiker erst einmal ein Gedankenexperiment durchführen: Sie sollen sich vorstellen, wie es wäre, einen ganzen Arbeitstag lang keine Informationen über ihre sexuelle Identität zu kommunizieren. Dann dürfte man in Gesprächen über Wochenendaktivitäten das Geschlecht des Partners nicht erwähnen und auf dem Computerbildschirm oder Schreibtisch keine Bilder von ihm oder ihr zur Schau stellen. Besonders problematisch wird es, wenn eine aktuelle private Belastungssituation vorliegt, die die Arbeitsleistung beeinträchtigt, beispielsweise der Tod eines Angehörigen, und Beschäftigte dies nicht benennen können.

„Die meisten sind nach diesem Experiment ziemlich überrascht und bemerken, dass es um eine umfassende Identitätsdimension und nicht nur um etwas Sexuelles geht. Das ist der erste Schritt, um für das Thema zu sensibilisieren“, sagt Frohn. Mit weiterer Forschung möchte er diese Sensibilisierung konsequent vorantreiben. Denn eines ist sicher: in Sachen Chancengleichheit für lesbische und schwule Beschäftigte ist noch viel Optimierungsbedarf vorhanden – nicht nur bei der Gesprächsführung in Bewerbungsinterviews.

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Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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