Gesundheit, Therapie und Soziales

Wenn der Körper auf sparen programmiert ist

von Alexander Pradka, am 14.02.2019

Unsere „Ernährung“ gehört seit geraumer Zeit zu den Hypethemen, es vergeht kaum ein Tag ohne neue Ratschläge, die mitunter doch auch sehr widersprüchlich sind. Als Verbraucher steht man bisweilen etwas ratlos vor den vielen Empfehlungen. Wann ist Ernährung denn nun wirklich gesund? Was müssen wir noch beachten? Darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Joachim Latsch, Leiter des Bachelorstudiengangs Ernährung und Fitness in der Prävention (B.Sc.), den die Hochschule Fresenius in Köln und Idstein anbietet.

Herr Prof. Dr. Latsch, warum ist es so schwierig, eine allgemeingültige Definition für „gesunde Ernährung“ zu finden?

Viele Experten tun sich schwer, von gesunder Ernährung zu sprechen, da es die eine gesunde Ernährungsweise so tatsächlich nicht gibt. Ich würde das Thema eher von der anderen Seite aus betrachten: Das Punkt ist, dass vielen von uns der übermäßige Genuss erwiesenermaßen ungesunden Essens Probleme bereitet. Neben der reinen Wirkung der Nahrung fließen in die Diskussion seit geraumer Zeit zusätzliche Aspekte ein: Ethik, Tierwohl, Ökobilanz. Das macht die Beantwortung der Frage noch schwieriger. Sicher ist: Eine ausgewogene – also nicht einseitige und nicht überkalorische – Ernährung mit einem Schwerpunkt auf pflanzlichen Produkten aus regionaler und saisonaler Produktion, regelmäßig Fisch, gelegentlich Eier, Milch und Fleisch stellt die Weichen für einen gesunden Lebensstil.

Gibt es jahreszeitlich bedingte Unterschiede, denen wir uns anpassen sollten, um jeweils frei von Erkrankungen durchzukommen?

Unser Organismus ist in der kalten und dunklen Jahreszeit auf Enthaltsamkeit programmiert, da wir genetisch noch Steinzeitwesen sind und in der damaligen Zeit im Winter oft gehungert werden musste. Das heutige Überangebot an Nahrung, insbesondere in der Weihnachtszeit, stellt den Körper somit vor ein großes Problem, er ist auf „sparen“ programmiert, bekommt aber tüchtig Nahrung vorgesetzt, die Folge sind in der Regel ein paar Kilo extra. In der Winterzeit, ganz gleich bei welchem Wetter, sollte man also erst recht regelmäßig an die frische Luft gehen, Tageslicht tanken und bei der Nahrung Maß halten. Im Rahmen der Erkältungsprophylaxe gibt es einfache Tipps: ausreichend vitaminreiches Obst und Gemüse essen.

Was ist bei den Getränken zu beachten?

Die ausgewogene Flüssigkeitsbilanz ist lebenswichtig, anders als auf Nahrung können wir nur etwa drei Tage auf Wasser verzichten. Etwas zu trinken, wenn man Durst hat, ist per se eine gute Idee, Kaffee und Tee gehören in die Tagesbilanz und ein Gläschen Wein alle paar Tage ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft kein Problem. Wer es etwas angewandter angehen möchte: Ist der Urin blassgelb, fast klar, dann stimmt beim gesunden Menschen im Normalfall die Bilanz. Bei Schweißverlust – etwa durch Sport – ist die Rechnung nicht mehr gültig, das verlorene Wasser muss wieder aufgefüllt und die Elektrolyte müssen ergänzt werden.

Manche Getränke werden als besonders gesund angepriesen – z.B. Smoothies. Sind diese wirklich so gesund? Können sie als Ersatzernährung herhalten?

Die grünen Smoothies können mit dem echten Gemüse verglichen werden und sind sehr positiv zu sehen. Bei einem Mango-Ananas-Papaya-Smoothie kann das anders aussehen, hier sind neben Vitaminen auch jede Menge Zucker enthalten. Man könnte dem also durchaus den Fruchtsaft aus Konzentrat, nur mit „echten Inhaltsstoffen“, gleichsetzen.

Aktuell hört man immer wieder von der so genannten „Superfood“. Was gehört hier dazu, was nicht?

Superfood ist ein Hypebegriff. Die so bezeichneten Nahrungsmittel sind seit Jahrzehnten bekannt, deren durchaus positiven Wirkungen ebenso. Es ist festzustellen, dass sie einen hohen Anteil bestimmter Mikronährstoffe oder sekundärer Pflanzenstoffe enthalten. Insofern können sie der Mangelernährung entgegenwirken. Aber: Ein Allheilmittel sind sie nicht und die Herkunft – zum Beispiel tropische Regionen – lässt doch an der Ökobilanz erheblich zweifeln. Hiesige, also regionale und saisonale Produkte sind definitiv vorzuziehen. Leinsamen, Kamille, Hagebutten, Johannisbeeren, Heidelbeeren, Brokkoli, Grün- und Rosenkohl oder auch Hirse sind heimische Produkte, die den Chiasamen, Gojibeeren und Matchatees nicht nachstehen, aber eben keine Weltreise hinter sich haben.

Es werden auch zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel angeboten, diese sollen beispielsweise die Eiweißmenge vergrößern oder auch Vitamine zuführen. Bringt das etwas? Brauchen wir diese Ergänzungsmittel wirklich?

Ein gesunder Mensch benötigt bei einer ausgewogenen Ernährung eigentlich keine Nahrungsergänzungsmittel. Eine Ausnahme liegt möglicherweise bei Vitamin D vor, das im Winter mangels Sonneneinstrahlung auf unsere Haut nicht ausreichend vom Körper gebildet werden kann. Hiervon sind viele – Schätzungen sprechen von 70 Prozent und mehr – Menschen betroffen. Eine zweite, seltenere Ausnahme sind die Menschen, die dezidiert Muskelaufbau betreiben. Sie profitieren von Eiweißzufuhr. Ähnliches gilt für Hochleistungssportler.

Warum werden eigentlich immer noch so viele Diäten angeboten, wo doch jeder wissen sollte, dass diese nur kurzfristige Erfolge bringen?

Diäten sprechen noch immer viele Menschen an, weil sie Erfolge versprechen und ihnen das auch plausibel erscheint. Es wird aber vergessen, dass unser Organismus anpassungsfähig ist und zumindest mittelfristig weitaus besser mit Mangel als mit Überfluss umzugehen weiß. Das Kernproblem der Diät ist, dass sie einen begrenzten Zeitraum umfasst und man suggeriert bekommt, danach könne man wie zuvor weiterleben. Das ist aber grundfalsch, denn der Körper stellt sich unter dem Mangelzustand einer Diät auf Sparflamme um und die Rückkehr zur „alten“ Ernährung stellt dann die Weichen zum Jojo-Effekt. Erfolgversprechend ist nur eine nachhaltige und dauerhafte Nahrungsumstellung, am besten ganz ohne Mangel, unterstützt durch viel Bewegung.

Stichwort Bewegung. Nicht jeder ist sportaffin oder findet regelmäßig Zeit, um Sport zu treiben. Wie kann ein Sport-Muffel die Ernährung durch Bewegung unterstützen? Was empfehlen Sie da?

Wer am Sport überhaupt keinen Spaß findet, wird es schwer haben, sich damit „Gesundheit zu erkaufen“, es sei denn die- oder derjenige hat einen eisernen Willen. Es ist aber verhältnismäßig leicht, Bewegungsroutinen in den Alltag einzubauen, um der Trägheit ein Schnippchen zu schlagen. 10.000 Schritte am Tag, Besorgungen und Arbeitsweg mit dem Rad, Treppen statt Aufzug, Bewegungspausen im Büro, Spaziergang statt Nachtisch sind hier vielversprechende Ansätze. Übrigens: Sport macht in Gesellschaft Gleichgesinnter viel mehr Spaß.

Der Januar ist geprägt von guten Vorsätzen, die oft im März schon wieder vergessen sind. Wie kann man „Disziplin“ lernen?

Sich zu disziplinieren ist ein großes Thema, jeder Mensch hat seine eigenen Motivationsmuster. Es ist auf jeden Fall vorteilhaft so zu leben, dass man gar keine „Neujahrsvorsätze“ braucht. Außerdem ist der entscheidende Schritt, mit einem Vorhaben erfolgreich zu sein, nicht das Wissen über dessen Qualität oder Bedeutung – also die Kognition –, sondern das konkrete Vorhaben, dies auch umzusetzen. Der Schritt zur Willensbildung muss kommen. Der gute alte „Schweinehund“ lässt sich am ehesten mit einem Plan, mit konkreten und messbaren Zielen, Terminen und Verabredungen überlisten.“

Über den Autor

Alexander Pradka
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.