Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

„Viele Unternehmen wollen im Bereich Marktforschung gerne auf eigenen Beinen stehen“

von Redaktion, am 23.05.2017

Für Unternehmen ab einer bestimmten Größe führt kein Weg an ihr vorbei: der Marktforschung. Meistens greifen die Firmen dabei auf externe Dienstleister zurück. Diese wiederum arbeiten mit komplexen Methoden, um dem Kunden Ergebnisse bereitzustellen, die ihm auch wirklich weiterhelfen. Wie diese Methoden aussehen und in welche Richtung sich die Marktforschungsbranche bewegt, darüber hat adhibeo mit dem Markt- und Konsumentenpsychologen Michael Pusler, Dozent an der Hochschule Fresenius München, gesprochen.

Sie haben sich in den letzten Jahren mit der Zukunft der Marktforschung beschäftigt, einem wichtigen Arbeitsfeld künftiger Markt-, Medien- und Werbepsychologen. Zu welchem Ergebnis sind Sie bei Ihren Betrachtungen gekommen?

Fragt man die beteiligten Akteure, das heißt Anbieter und Kunden von Marktforschungsdienstleistungen, finden sich erstaunliche Übereinstimmungen in Bezug auf die Zukunft der Branche. Von disruptiven Veränderungen durch digitalen Wandel ist da vor allem die Rede, Big Data ist natürlich längst in aller Munde und dazu wird gefordert, dass in Zukunft alles deutlich schneller werden müsse. Selbstredend darf das nicht zulasten der Qualität, sprich Analysetiefe, gehen.

Ad-hoc-Forschung scheint durch Prozessoptimierung in Zukunft fast völlig zu verschwinden, denn – so ist oft zu hören – Kunden mögen heute automatisierte Reports lieber, am besten noch Dashboards mit „Echtzeit-Data-Trackings“. Dazu wollen viele Unternehmen im Bereich Marktforschung gerne auf eigenen Beinen stehen – „Do-It-Yourself-Research“ statt viel Geld in eine Dienstleistung zu investieren. Google’s Consumer Surveys gilt in diesem Zusammenhang als die kommende Plattform, obwohl der Konzern zuletzt immer wieder betont hat, sich nicht in Sachen Marktforschung engagieren zu wollen.

Warum diese selbst auferlegte Beschränkung? Kann „Marktforschung“ nicht sehr viel mehr sein, zum Beispiel Ideen- oder Impulsgeber?

Da erinnert man sich gerne an vergangene Ansprüche der Branche zurück. „Berater“ des Kunden wolle man werden, substanzielle Beiträge zur Lösung unternehmerischer Entscheidungen liefern und ein gewichtiges Wörtchen hierbei einbringen, das war vor wenigen Jahren noch der selbstbewusste Anspruch. Dabei hätte die Marktforschung, würde sie sich wieder ihrer akademischen Wurzeln in den Sozialwissenschaften, das heißt Soziologie, Psychologie etc. besinnen, ein wirkliches „Pfund“ an Erklärungsleistung von Konsumentenverhalten auf die Waage zu bringen.

Dieses Pfund kann aber nur eingebracht werden, wenn nicht Geschwindigkeit und oberflächliches Tun, sondern Tiefe und wirkliches Verstehen in der Branchendiskussion wieder die Oberhand gewinnen. Mit dem populärwissenschaftlichen Bestseller von Daniel Kahneman „Schnelles Denken, langsames Denken“ (2014) hat in den letzten beiden Jahren ein neues Denken im Marketing Einzug gehalten. Und das ist nicht nur ein kurzzeitiger Trend, der keine fünf Jahre überdauert, sondern ein Paradigmenwechsel. Einige hatten bereits davor schon ein schwindendes Vertrauen in die Lehre und Vorhersagen der rationalen Entscheidungstheorie, die bekanntermaßen mit dem Modell des homo oeconomicus verknüpft ist. Nun sind mittlerweile einige Praktiker zu der Erkenntnis gelangt, dass Verbraucher häufig irrational entscheiden und man sich bei Vorhersagen anderer Methoden bedienen muss.

Wann entscheidet sich der Verbraucher denn irrational? Können Sie ein Beispiel geben?

Mutmaßlich zum Beispiel, wenn er ein Produkt nur deswegen kauft, weil es billig ist, er dafür aber eigentlich gar keine Verwendung findet. Allerdings ist das auch nur auf den ersten Blick irrational: denn der Konsument verschafft sich mit dem Kauf eine Art Belohnung – eben, weil er billig gekauft hat. Dieser Mechanismus – das zeigt die Forschung ­– funktioniert gerade und insbesondere bei Konsumgütern mit geringem Produktinvolvement.

Marketer und Werber haben angefangen, sich auf solche Heuristiken ihrer Kunden einzustellen und ihre Maßnahmen danach auszurichten. Verhaltensökonomie und Neuroforschung bilden in der neuen Konsumentenforschung mittlerweile eine Einheit. Die Psychologie bietet Erklärungen, die Neuroforschung naturwissenschaftlich fundierte Nachweise. Das Ergebnis sind „hard facts“ für die Marktforschung.

Hat die Marktforschung denn ein Innovationsproblem? Wird sie dieser neuen Wirklichkeit nicht mehr gerecht?

Verfolgt man die Diskussionen um und innerhalb der Marktforschung, dann fällt auf, dass sie sich in Zeiten von Big Data und immens leistungsfähiger Datengeneratoren der sich immer stärker durchsetzenden Internetforschung um die technische Machbarkeit dreht. Nur noch selten, so der Eindruck, finden sich inhaltliche oder methodische Neuerungen auf dem Markt, wie der Gegenstand der Betrachtung, nämlich der Konsument, in seinem Verhalten besser verstanden werden kann und wie sein zukünftiges Verhalten darüber hinaus besser prognostiziert werden kann.

Auch die letzten Innovationen zur Modellbildung, zum Beispiel im Bereich der multivariaten Statistik, die Strukturgleichungsmodelle zur komplexeren Modellierung, sind bereits über 30 Jahre alt. Die seit einigen Jahren auch mit statistischer Software nutzbaren neuronalen Netze zur Analyse großer, technisch generierter Daten stellen hier, insbesondere für explorative Analysen zwar eine elementare Erweiterung, aber keine grundsätzliche Neuerung dar.

Vielleicht, so könnte man mutmaßen, ist ja wirklich schon alles gesagt, was Erklärungs- und Begründungszusammenhänge anbelangt und es geht heute wirklich nur noch um Kosteneffizienz für eine in ihrem Markt immer weiter an Wert verlierende Ware.

Michael Pusler hat seine Gedanken zur Zukunft der Marktforschung in einem Fachartikel zusammengefasst. Hier gehts zur Publikation. Der zweite Teil des Interviews erscheint in den kommenden Tagen.

Michael Pusler doziert an der Hochschule Fresenius München im Bereich Markt- und Werbepsychologie.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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