Medien

Wirtschaft und Management

„Das Social Web hat maßgebliche Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Privatsphäre“

von Redaktion, am 06.07.2015

Soziale Medien, wie zum Beispiel Facebook, Twitter oder Pinterest, haben sich längst etabliert. Eine auf Zahlen des PewResearchCenter basierende Infografik von Social-Sprout bestätigt das: Social Media wird über alle Altersgruppen hinweg, unabhängig von Geschlecht und Wohnort, genutzt.
Insgesamt machen die Nutzer 22 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, schreiben Fabienne Sophie Engel und Josephine Michelle Malz, Studierende im Bachelor-Studiengang Medien- und Kommunikationsmanagement an der Hochschule Fresenius Idstein, in ihrer Projektarbeit. In der Studie, die von Dr. Georg Panagos, Dozent am Fachbereich Wirtschaft & Medien betreut wurde, untersuchten sie die Veränderungen, die die Nutzung von Social Media mit sich bringt.

Die Projektstudie will Veränderungen in Zeiten von Social Media untersuchen. Veränderungen in welchem Bereich?

In der Arbeit geht es um Veränderungen im Bereich Marketing. Sie untersucht zum Beispiel Veränderungen in Marketingagenturen, deren Organisation, Prozesse und betriebliche Aktivitäten; aber auch in Marketingabteilungen innerhalb von Unternehmen.

Mit welchen Veränderungen sehen sich diese konfrontiert?

Eine der wichtigsten Veränderungen für Marketingabteilungen ist der Umbruch innerhalb der Kommunikationskultur von „One-to-Many“ zu „Many-to-Many“. Während traditionelle Medien wie Rundfunk und Print durch erstere ihr Publikum kontrolliert informieren, müssen Unternehmen im Social Web hinnehmen, dass diese einseitige Interaktion vollkommen entfällt. Nicht mehr nur Unternehmen stehen im Dialog mit dem Kunden, auch Kunden tauschen sich untereinander aus, bewerten oder geben sich gegenseitig Empfehlungen. Dies bedeutet vollkommene und allgegenwärtige Transparenz. Ab diesem Moment kann stets der Fall eintreten, vor dem sich eine Vielzahl von Unternehmen fürchtet: Kontrollverlust. Die Angst besteht darin, die Macht über die Marke oder das Produkt zu verlieren und sich einem negativen Image ausgesetzt zu sehen.
Die durch den technischen Fortschritt hervorgerufene Ubiquität muss aber nicht nur als Hürde gesehen, sondern kann auch als Chance genutzt werden. So wird die interne Organisation innerhalb der Agenturen oder Marketingabteilungen vereinfacht. Die verschiedenen freizugänglichen Programme ermöglichen es, Informationen untereinander auszutauschen und ortsunabhängig via Cloud abzurufen. Auch sogenannte Enterprise 2.0 Tools unterstützen die Interaktion zwischen den Mitarbeitern. Die Rede ist hierbei von sozialen Intranets, die von Agenturen oder Unternehmen genutzt werden können, um das Denken in der Gruppe voranzutreiben. Hierbei wird nicht mittels Nachrichten miteinander kommuniziert, sondern mithilfe von Posts, die mit Hashtags oder Kategorien versehen werden können. Dies wiederum hilft dabei, die Informationen nach Gruppen oder Über- und Unterbegriffen zu sortieren, um auf diese Weise eine Struktur aufzubauen.
Klar ist aber in jedem Fall, das Social Web hat enorme Auswirkungen auf die Organisationsstrukturen von Agenturen und Marketingabteilungen.

Wie sehen diese Veränderungen in der Organisationsstruktur konkret aus?

Fabienne Sophie Engel: Zunächst zur Unterscheidung zwischen Agenturen und Marketingabteilungen von Unternehmen: Früher galten Agenturen als Gegensatz zu den klassischen Unternehmen, die sich auf Macht, Hierarchien und Strukturen festgelegt haben. Flexibel, jung, kreativ, schnell – all das sollten typische Agentureigenschaften sein. Organisationsstrukturen passten nicht in das Bild einer Agentur. Heute hat sich das aber gewandelt, Unternehmen und Agenturen sind sich ähnlicher geworden, sie stehen oftmals vor den gleichen Herausforderungen. Beide müssen sich organisieren und unter starkem Wettbewerb möglichst effizient arbeiten. Sie müssen anpassungsfähig und stets offen für neue Trends sein.
Die klassische Organisationsstruktur beinhaltet Anweisungen und Kontrollen. Verantwortliche sind klar festgelegt und die Hierarchien sorgen dafür, dass die Organisation effektiv ist. Jedoch gewinnen Netzwerke immer mehr an Bedeutung und in klassischen Netzwerken funktionieren weder Anweisungen noch Kontrolle. Stattdessen liegt der Fokus in Netzwerken auf Eigenmotivation, Initiative und enger Zusammenarbeit.
Netzwerke sind schwer zu steuern und meist locker strukturiert. Statt Mitarbeitern gibt es in Netzwerken Mitglieder, die man erst einmal für sich gewinnen muss. Hierbei gilt es, ihre Interessen zu wecken und sie selbstständig arbeiten zu lassen.

Welche Chancen und Risiken bergen diese Veränderungen?

Georg Panagos: Die Agenturen, die es nicht schaffen, soziale Medien in ihren Abläufen, insbesondere im Verkauf, zu etablieren und mit ihnen zu arbeiten, können ihre klassischen Kompetenzen nicht einsetzen. Es geht dabei nicht nur um die Nutzung eines zusätzlichen Mediums, sondern vielmehr darum, auch danach zu leben: Neue Kompetenzen sind dabei gefragt. Je weniger Social Media berücksichtigt wird, desto geringer ist die Chance, neue Kunden zu gewinnen und erfolgreich zu werben.

Josephine Michelle Malz: Eine der bedeutungsvollsten Chancen, die sich für Unternehmen durch soziale Medien ergeben, ist die Nutzung des technischen Fortschritts und der damit einhergehenden Globalisierung. Informationen, die relevant für die eigene Produktentwicklung sein könnten, lassen sich per Mausklick weltweit recherchieren. Big Data, also das Ansammeln großer Datenmengen, aber auch das Erkennen von Zusammenhängen und Auswerten der Daten, hat zum Ziel, das Kauferlebnis des Kunden positiver und vor allem individuell zu gestalten. Die Daten geben Auskunft über den Erfolg oder den Misserfolg eines Produkts.
Darüber hinaus lässt sich anhand von sogenannten Touchpoints der Weg des Konsumenten von der Bedarfsentdeckung bis zur Kaufentscheidung verfolgen. Man spricht dabei auch vom „Costumer Journey“.
Durch die stetig wachsende Zahl an sozialen Netzwerken ergeben sich für Unternehmen aber auch immer wieder neue Möglichkeiten, um zum Beispiel auf Aufträge aufmerksam zu machen oder diese auszuschreiben. Das öffentliche Briefing über Plattformen bietet Unternehmen die Option, ihre Ansprechpartner selbst auswählen und eingrenzen zu können. So kann an dieser Stelle beispielsweise die Rede von der gesamten Community, einzelnen Mitgliedern oder allen Interessierten sein.

Die sozialen Medien machen also nicht nur Unternehmen transparent, sondern auch die User. Sie sprechen unter anderem vom gläsernen Nutzer. Was genau ist darunter zu verstehen?

Georg Panagos: Social Media verstärkt die Mitteilungslust des Nutzers und macht ihn transparent, wie ein Freund von mir sagte, als ich mich vor Jahren bei Facebook anmeldete: „Willkommen im Exhibitionismus des Web“. Über die heutigen Analysemöglichkeiten und Big- Data-Auswertungen kann viel mehr über das Kundenverhalten in Erfahrung gebracht werden. Auch durch das Kunden-Feedback bekommt das Unternehmen viel mehr über die Bedürfnisse und Erfahrungen der Kunden mit.

Josephine Michelle Malz: Das Social Web hat maßgebliche Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Privatsphäre und Selbstoffenbarung. Ein Großteil der Nutzer hat mittlerweile eine sehr geringe Hemmschwelle, was seine privaten Informationen angeht und gibt diese bewusst preis. Das stellt, wie Herr Panagos schon sagte, Vorteile für die Unternehmen dar, Stichwort Big Data. Dem User geht es hauptsächlich um sogenanntes Sozialkapital. Er profitiert von einem großen Freundeskreis und dessen Zuspruch.

Da wir gerade beim Stichwort Big Data sind: Sind die Menschen nach der NSA-Spähaffäre noch bereit, ihre Daten wie bisher zu teilen oder könnte das zu einem Umdenken und einer Trendwende führen?

Fabienne Sophie Engel: Einem Großteil der User ist nicht bewusst, dass die Offenbarung privater Informationen auch negative Konsequenzen nach sich ziehen kann, insbesondere im späteren Berufsleben.

Georg Panagos: Auch wenn Datenschutz ein großes Thema in der Presse ist, beweisen Zahlen über die Nutzung von sozialen Netzwerken per Apps und Mobilfunk, insbesondere bei den heute 14-30-Jährigen, das Gegenteil.

Zu der sogenannten Generation Y gehören alle, die um 2000 herum im Teenager-Alter waren. Sie werden auch als Millennials oder Digital Natives bezeichnet und sind längst im Berufsleben angekommen. Es verwundert, dass Social Media noch keinen flächendeckenden Einzug in die Unternehmenslandschaft gefunden hat. Woran liegt es Ihrer Meinung nach?

Fabienne Sophie Engel: Noch sehr oft herrscht Angst vor Kritik in den sozialen Medien, die nicht kontrolliert werden kann und so werden bestehende und veraltete Strukturen einfach hingenommen. Und auch wenn die Generation Y mit sozialen Medien aufgewachsen ist, heißt das nicht, dass sie automatisch wissen, wie man diese erfolgreich in die Unternehmenskommunikation implementiert, es fehlt oftmals das Know-how.

Josephine Michelle Malz: Und selbst wenn dieses vorhanden ist, ist die Generation Y noch nicht in leitenden Positionen angekommen, um einen neuen Kurs vorzugeben.

In Ihrer Studie haben Sie Experten über Trends befragt. Neben Costumer Journey fallen unter anderem Begriffe wie Content- oder Videomarketing. Interessant ist, dass längere Texte beliebter sind als kurze. Wie ist das zu erklären, galt doch lange Zeit die entgegengesetzte Annahme?

Georg Panagos: In der Tat, die Agenturen sind insbesondere mit Kurztexten groß geworden, da die alten Medien dies gefordert hatten, um zum Beispiel die Aufmerksamkeit der Rezipienten aufrechtzuerhalten. In den neuen Medien und interaktiven sozialen Netzen wird dies nun anders.

Josephine Michelle Malz: Blogs beispielsweise leben von langen Texten, weil sich das auf die Suchmaschinenoptimierung (SEO, Anm. d. Red.) auswirkt. Auf diese Weise werden sie in Google höher gerankt.
Abgesehen von Texten geht der Trend tatsächlich hin zu „kurz“: Vines beispielsweise sind Sieben-Sekunden-Videos, die optimale Länge von YouTube-Videos liegt zwischen drei und sieben Minuten. Eine Reihe von Studien belegt zudem, dass Videos eine höhere Aufmerksamkeit erreichen als andere Medien. Es ist eine spezielle Form von Online Marketing, um mithilfe von Videos PR- oder Marketingmaßnahmen auf der Website oder in Social Media voranzutreiben. Die Videos können mehr Botschaften und Werte vermitteln als simple Fotos. Dadurch sollen sich die Besucher auf der Website oder dem Social-Media-Profil länger aufhalten und die Besucherzahlen sollen generell ansteigen.

Muss man heute in allen möglichen Kanälen präsent sein oder kann man als Unternehmen auch bewusst wählen?

Josephine Michelle Malz: Unternehmen sollten sich nicht willkürlich in Social-Media-Kanälen anmelden, im Gegenteil: Social-Media-Monitoring und -Planning sollte im Vorhinein durchgeführt werden, um herauszuarbeiten, in welchen Netzwerken die Zielgruppe bereits aktiv ist. Dementsprechend sollte eine passende Strategie herausgearbeitet werden. Somit muss ein Unternehmen nicht in allen Kanälen aktiv sein. Allerdings können Unternehmen auch überraschen, siehe Tchibo bei Instagram: Tchibo vermarktet seine Produkte, indem es zeigt, wie diese umgesetzt werden können, beispielsweise anhand von Rezepten.

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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