Psychologie und Wirtschaftspsychologie

„Materieller Wohlstand bringt keinen Zuwachs an Glück mit sich“

von Redaktion, am 17.03.2016

Am 20.03. ist der Tag des Glücks ­– ein guter Zeitpunkt, um sich dem Begriff einmal wissenschaftlich anzunähern. Wie ist Glück eigentlich definiert? Mit welchen Fragen beschäftigt sich die Glücksforschung? adhibeo hat bei Prof. Dr. Katja Mierke, Forscherin auf dem Gebiet der Positiven Psychologie und Dozentin an der Hochschule Fresenius Köln, nachgefragt. 

Harald Juhnkes Definition von Glück – „keine Termine und leicht einen sitzen“ ­– hat es in den vergangenen Jahren zu einer Art Kultdefinition gebracht. Wie lautet eine etwas sachlichere und wissenschaftliche Definition von Glück?

Naja, wer unter ständigem Termindruck steht, für den sollte in Juhnkes Spruch auch aus wissenschaftlicher Perspektive einige Wahrheit stecken. Glück lebt unter anderem von Momenten – von besonderen, aber oft auch kurzen und nicht planbaren Momenten. Wer gedanklich nicht in der Gegenwart, sondern immer schon beim nächsten To Do in seinem Kalender ist, der verpasst diese Momente.

In der Psychologie verstehen wir unter Glück eigentlich recht schlicht einen Zustand, der durch starke positive Emotionalität geprägt ist. Das lässt sich natürlich ausdifferenzieren, zumal die Konzepte Glück, Lebenszufriedenheit und subjektives Wohlbefinden in den letzten zwei Jahrzehnten stärker in den Fokus der Forschung gerückt sind. Martin Seligman, einer der Initiatoren dieser Positiven Psychologie, nennt in seinem Buch „Authentic Happiness“ drei zentrale Facetten eines langfristig erfüllten Lebens: Erstens wäre da eben das häufige Erleben positiver Emotionen wie Wärme, Freude, Geborgenheit, etc., wie sie meist in sozialen Beziehungen entstehen. Nach landläufigem Verständnis definiert das wohl Glück im engeren Sinne. Zweitens entsteht langfristiges Glück seinem Ansatz zufolge durch Engagement in erfüllenden Tätigkeiten und drittens durch das Gefühl von Sinnhaftigkeit, also zu einem größeren Ganzen beizutragen oder ein Teil davon zu sein.

Damit sind letztlich insgesamt drei menschliche Grundmotive angesprochen, die wir in ähnlicher Form unter anderen Begrifflichkeiten auch in anderen psychologischen Modellen wiederfinden.

Legt man Seligmans Überlegungen zugrunde: Wie glücklich sind die Deutschen im internationalen Vergleich mit Blick auf aktuelle Forschungsergebnisse?

Das New Yorker Gallup Institut führt hierzu regelmäßig internationale Vergleichsstudien durch. Dafür werden Menschen in rund 140 Nationen interviewt und mit der Frage konfrontiert, ob sie am Tag vor dem Interview positive Emotionen erlebt haben, also beispielsweise, ob sie viel gelächelt oder gelacht haben, ob sie sich respektvoll behandelt gefühlt und etwas Interessantes gelernt oder getan haben.

Bei der letzten Untersuchung im Jahr 2014 landete Deutschland auf Platz 46, gleichauf mit dem Senegal und Kenia. Die Spitzenplätze der Liste belegen südamerikanische Länder wie Paraguay, Kolumbien, Ecuador, etc. Interessanterweise handelt es sich dabei um Länder mit einer eher kollektivistisch orientierten Kultur, in der die Gemeinschaft mit anderen und das Netz sozialer Beziehungen einen besonders hohen Stellenwert haben.

Flüchtlingskrise, Terrorangst, europaweite politische Spannungen – könnten wir aufgrund dieser Umstände im Gallup-Glücksranking inzwischen weiter abgefallen sein? (Der gestern veröffentlichte „World Happiness Report“ zeichnet ein anderes Bild: Demnach sind die Deutschen in den vergangenen Jahren glücklicher geworden. Allerdings wurden bei dieser Studie andere Faktoren berücksichtigt als bei der Untersuchung des Gallup Instituts. Zum Zeitpunkt des Interviews mit Frau Prof. Mierke waren die Ergebnisse des Reports noch nicht veröffentlicht, Anm. d. Red.) Oder haben diese Umweltgrößen kaum einen Einfluss auf das subjektive Glücksempfinden?

Ed Diener, einer der Pioniere der Forschung zu subjektivem Wohlbefinden, betont, dass äußere Faktoren tatsächlich überraschend wenig Erklärungswert aufweisen. Vielmehr kommt offenbar unserem Temperament, unseren kulturellen Werten und unserer generellen Art, Schwierigkeiten zu meistern, in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu. Diese Faktoren vermitteln gewissermaßen zwischen Umweltgrößen und dem subjektiven Erleben von Glück und Zufriedenheit. Dies gilt weniger für Extremsituationen, wie sie Menschen in Fluchtländern erleben, die über lange Zeit hinweg akuten existenziellen Bedrohungen ausgesetzt sind. Aber selbst hier wissen wir aus der Resilienzforschung, dass manche Menschen erstaunlich unbeschadet aus traumatischen Erlebnissen herausgehen – manche.

Kontrollierte Zwillingsstudien weisen insgesamt auf eine ziemlich starke genetische Komponente hin, was allgemeine Zufriedenheit, dispositionalen Optimismus etc. angeht. Das könnte ebenfalls erklären, warum zeitgeschichtliche Ereignisse, wie die von Ihnen genannten, kaum Einfluss haben. Auch der Gallup-Index ist übrigens im Durchschnitt überraschend geringen Schwankungen unterworfen, Ausnahmen stellen hier natürlich die länderspezifischen Werte für akute Krisenregionen wie Syrien dar. Zudem findet sich in der Literatur ein starker Zusammenhang zwischen dem Erleben von Arbeitszufriedenheit und Freizeitzufriedenheit, sowie ein individuell bemerkenswert gleichbleibendes Niveau dieser Maße über längere Zeiträume. All das spricht für eine wenigstens teilweise erbliche allgemeine Neigung zum Glücklichsein – oder eben auch zum Unglücklichsein.

Der materielle Wohlstand, der in unserem Kulturkreis ja vielen als erstrebenswert gilt, spielt also nur eine untergeordnete Rolle?

So ist es. In mehreren großen Studien konnte nachgewiesen werden, dass materieller Wohlstand keinen Zuwachs an Glück mit sich bringt – vorausgesetzt, die Grundbedürfnisse sind erfüllt. Es scheint vielmehr so zu sein, dass stark materialistisch orientierte Menschen weniger Glück empfinden als solche, denen andere Werte wichtiger sind – egal wie viele Luxusgüter sie besitzen. Das mag damit zusammenhängen, dass Materialismus ein idealer Nährboden für negative Gefühle wie Neid oder Gier ist, die mit Glück wenig zu tun haben. Außerdem: Wer vor allem haben und gewinnen will, ist wettbewerbsorientierter – das belastet soziale Beziehungen, die offenbar eine ganz wichtige Quelle positiver Emotionen sind.

Sie haben sich in Ihren aktuellen Forschungsarbeiten mit einem glücksverwandten Begriff auseinandergesetzt: dem Flow. Um was genau handelt es sich dabei?

Flow bezeichnet das Gefühl, ganz und gar in dem aufzugehen, was man gerade tut, nahezu eins damit zu werden und alles um sich herum zu vergessen. Die Aktivität fließt wie von selbst, man verliert das Zeitgefühl, ist aber zugleich in einem Zustand hoher Konzentriertheit. Als charakteristisch gilt Mihaly Csikszentmihalyi (dem wissenschaftlichen „Entdecker“ des Flowerlebens, Anm. d. Red.) zufolge weiterhin, dass die Tätigkeit intrinsisch belohnend ist. Es bedarf also keines Feedbacks von außen, um Erfolg zu erfahren, sondern man erhält unmittelbar Rückmeldung aus der Aktivität selbst. Eine wesentliche Voraussetzung für Flowerleben ist, dass die Anforderungen der Aufgabe die eigenen Fähigkeiten fordern, ohne zu überfordern.

Seligmans oben zitierter Begriff des Engagements ist dem des Flow, wie er selbst sagt, ziemlich ähnlich. Menschen erleben es als hochgradig befriedigend, eigene Stärken in die Bewältigung einer Aufgabe einbringen zu können und sich dabei als kompetente Gestalter ihrer Umwelt zu erleben. Insofern ist Flowerleben keineswegs auf Freizeitaktivitäten wie Tanzen, Sport oder Musizieren beschränkt, auch wenn es hier erstmalig beschrieben wurde. Wir wissen inzwischen, dass viele Menschen auch während der Arbeit Flow erleben – wenn die Voraussetzungen stimmen. Insofern ist eine Investition in die eigenen Fähigkeiten, in Bildung und lebenslanges Lernen, sicherlich eine bessere Investition in Sachen Glück als materielle Statussymbole.

Was genau haben Sie im Zusammenhang mit dem Flowerleben untersucht und wie lauten die zentralen Ergebnisse?

Da die meisten Studien in Form von Abschlussarbeiten unserer wirtschaftspsychologischen Studiengänge durchgeführt wurden, haben wir uns auf Flowerleben im Arbeitskontext konzentriert. Wichtige Leitfragen waren dabei, wie man positive Emotionen und Flowerleben kurzfristig von außen fördern kann, und ob sich das auf das Erleben einer Teamarbeit oder sogar auf die Leistung der Teams auswirkt. Wir haben zum Beispiel gefunden, dass eine kurze Atementspannung das Flowerleben während einer anschließenden Kleingruppenarbeit erhöht und auch die positive Bewertung des Klimas in der Gruppe bedeutsam steigert. In der Masterarbeit von Melanie Mahner wurde zusätzlich die Gruppenleistung gemessen.

Insgesamt sprechen die in den verschiedenen Untersuchungen gesammelten Daten dafür, dass positive Emotionen das Flowerleben im sozialen Kontext einer Kleingruppenarbeit fördern und darüber hinaus das Gefühl von Teamgeist sowie die tatsächliche kreative Leistung der Gruppen steigern können. Ein interessantes Ergebnis – auch und vor allem für die Wirtschaftswelt.

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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