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Spiritual Care: Mehr als medizinische Versorgung

Wer die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsucht, befindet sich in einer Ausnahmesituation – sei es als Patient oder als Angehöriger. Dass man dort eine umfassende medizinische Betreuung erwartet, ist selbstverständlich. Wie aber sieht es mit darüberhinausgehender Fürsorge, genauer mit sogenannter Spiritual Care aus?

Spiritual Care meint zunächst die gemeinsame Sorge der Gesundheitsberufe um spirituelle Nöte, Krisen und Wünsche kranker Menschen, unabhängig von deren Religion und kultureller Herkunft. Dieser Ansatz kann ein Weg sein, um Patienten und ihre Angehörigen in ihrer Notsituation abzuholen und so sowohl Patientenzufriedenheit als auch Behandlungsqualität zu steigern.

Im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes mit der Hochschule für Philosophie und dem Klinikum Bogenhausen in München sind Studierende der Hochschule Fresenius der Frage nachgegangen, ob Patienten und Angehörige in der Notaufnahme spirituelle Bedürfnisse haben und ob diese unterschiedlich ausgeprägt sind. Damit sollten auch Impulse für die medizinische Behandlung geliefert werden. Betreut wurde das Projekt von Prof. Dr. Kristin Härtl, Professorin für Klinische Psychologie, und Prof. Dr. Andreas Beivers, Professor für Gesundheitsökonomie (beide Hochschule Fresenius), Prof. Dr. med. Eckhard Frick SJ, Professor für Anthropologische Psychologie (Hochschule für Philosophie, Forschungsstelle Spiritual Care, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar der TU München) und Prof. Dr. med. Christoph Dodt, Chefarzt des Notfallzentrums Klinikum Bogenhausen.

PATIENTEN UND ANGEHÖRIGE MIT GRUNDSÄTZLICHEM INTERESSE AN SPIRITUELLER UNTERSTÜTZUNG

Die Studierenden haben in einer Notaufnahme insgesamt 382 Patienten und 99 Angehörige befragt. Um verschiedene Dimensionen der Spiritual Care zu erfassen, ging es dabei sowohl um religiöse und existenzielle Bedürfnisse als auch um das Bedürfnis nach innerem Frieden sowie danach, etwas aktiv zu geben. Erhoben wurden die Daten anhand eines demographischen Fragebogens und dem Spiritual Needs Questionnaire SpNQ-20 (Büssing et al.).

Das Ergebnis: Die befragten Patienten und Angehörigen haben grundsätzlich Interesse an spiritueller Unterstützung. So äußerten 53 Prozent von ihnen ein mittleres bis großes Bedürfnis nach innerem Frieden. Mehr als 61 Prozent der Patienten hatten zudem einen mittleren bis starken Wunsch, aktiv etwas zu geben. Auch sieben von zehn Angehörigen zeigten ein mindestens mittleres Bedürfnis zum aktiven Geben. Die religiösen und existenziellen Bedürfnisse waren sowohl bei Patienten als auch bei Angehörigen vergleichsweise geringer ausgeprägt.

ÄLTERE HABEN GRÖSSERES BEDÜRFNIS ALS JÜNGER

Insgesamt zeigten die befragten älteren Menschen größere spirituelle Bedürfnisse als die jüngeren. Dies kann daran liegen, dass Jüngere ein größeres soziales Netz haben, während Ältere näher am Lebensende stehen, daher vielleicht verwitwet sind und größere körperliche Beschwerden erschwerend hinzukommen, so die Projektgruppe.

In der Gruppe der Angehörigen hat nicht nur das Alter, sondern auch der Bildungsabschluss einen signifikanten Einfluss auf die spirituelle Bedürfnisausprägung. Frauen äußern bei den meisten Skalen signifikant höhere spirituelle Bedürfnisse als Männer. Der Familienstand scheint hingegen die Bedürfnisskalen nicht zu beeinflussen, es ließ sich kein signifikanter Zusammenhang feststellen.

SPIRITUAL CARE HAT AUCH AUSWIRKUNGEN AUF KRANKENHAUSMITARBEITER

„Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Patienten in einer akuten Notfallsituation ein Bedürfnis nach Ganzheitlichkeit haben. Auch wenn die medizinische Akutsituation im Vordergrund steht, wünschen viele Patienten, dass auch ihre psychosozialen Belastungen und spirituellen Bedürfnisse gesehen werden“, so Prof. Dr. Härtl. „Spiritual Care stellt dabei nicht nur eine positive Ressource für kranke Menschen dar, sondern hat auch Auswirkungen auf die Krankenhausmitarbeiter und die gesamte Unternehmenskultur“, führt die Psychologieprofessorin weiter aus.

Auch für Krankenhäuser könne der Spiritual-Care-Ansatz positive Auswirkungen mit sich führen, ergänzt Prof. Dr. Beivers. So führen unter anderem informationsbedingte, sprach- und kulturgebundene Barrieren sowie eine mangelnde Befriedung spiritueller Bedürfnisse oftmals zu erhöhten und unnötigen Kosten für Diagnostik, Therapie und letztendlich auch zu schlechten Behandlungsergebnissen. „In einer Folgeuntersuchung wollen wir nun auch die Spiritual Needs von Krankenhausmitarbeitern beleuchten“, erklärt der Gesundheitsexperte.