Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

„Soziale Erwünschtheit ist ein Stückweit Kommunikationskompetenz“

seb_ra/iStock

von Redaktion, am 05.09.2013

Die Bundestagswahl steht an – das bedeutet, Meinungsumfragen haben Hochkonjunktur. Nahezu täglich lesen wir über aktuelle Befragungen zur allgemeinen Stimmungslage im Land, zum Ausgang der Wahl oder zur Beliebtheit der Spitzenkandidaten. An der Korrektheit der Ergebnisse zweifeln wir dabei selten – obwohl eine gewisse Skepsis durchaus angebracht wäre. Das sagt auch Prof. Dr. Katja Mierke, Wirtschaftspsychologin an der Hochschule Fresenius Köln. Befragungsergebnisse seien nämlich oftmals in Richtung Sozialer Erwünschtheit verzerrt. Im Interview erklärt Mierke, was darunter zu verstehen ist – und welche Funktion die Soziale Erwünschtheit in der zwischenmenschlichen Kommunikation erfüllt.

Kann ich sicher sein, dass Sie mir heute keine sozial erwünschten Antworten geben?

Katja Mierke (lacht): Ich werde mir große Mühe geben. Aber garantieren kann ich es nicht – man merkt es ja selbst oft gar nicht! Der Chamäleon-Effekt sorgt dafür, dass wir uns automatisch dem anpassen, was unser Gegenüber von uns erwartet.

Was bedeutet es, sozial erwünscht zu antworten und in welchen Situationen legen Menschen dieses Verhalten an den Tag?

Grundsätzlich tritt dieses Phänomen natürlich in vielen Situationen auf. Darauf aufmerksam geworden ist man aber durch die Umfrageforschung. Dort hat man entdeckt, dass Interviewermerkmale wie Alter, Geschlecht oder politische Einstellung einen Einfluss auf das Antwortverhalten haben. Das heißt, die Befragten versuchen häufig, mit ihren Antworten die Erwartungen des Interviewers zu erfüllen. Der Grund hierfür ist einfach: Wir wollen sympathisch wirken, das ist Teil unseres Impression Managements.

Nun lässt sich Soziale Erwünschtheit ja auch im Alltag beobachten. Dort sichern wir mit unseren erwünschten Antworten manchmal auch den Fortbestand des sozialen Friedens. Sind kleine Lügen vielleicht die „Schmiere des gesellschaftlichen Lebens“, wie es der Publizist Roger Willemsen ausgedrückt hat?

In Alltagssituationen tritt so ein Verhalten natürlich auch sehr oft auf. So versuchen wir, unseren Mitmenschen zu schmeicheln oder geben ihnen höfliche Antworten auf Fragen, die wir insgeheim anders beantworten würden. Ein klassisches Beispiel: „Wie findest du meine neue Frisur?“ – darauf gibt man in der Regel eine Antwort, die den Fragesteller nicht vor den Kopf stößt. Hier hat man aber nicht nur zum Ziel, sich beim anderen beliebt zu machen. Man will mit seinen Antworten auch demonstrieren, dass man verstanden hat, um was es geht – so ist Soziale Erwünschtheit auch ein Stückweit Kommunikationskompetenz.

Was meinen Sie damit genau?

Es gibt da eine Studie, in der die Teilnehmer erörtern sollten, warum eine Person zum Mörder geworden ist. Zunächst mussten die Befragten sich mit dem fiktiven Fall vertraut machen, dann wurden sie nach den Gründen für die Tat befragt. Die erste Gruppe erhielt dabei einen Fragebogen von einem Institut für Persönlichkeitsforschung, die zweite Gruppe von einem Institut für Sozialforschung – beide Institute waren, wie gesagt, nur erfunden. Interessanterweise suchten die Mitglieder aus der ersten Gruppe die Gründe eher in der Persönlichkeit des Täters, die zweite Gruppe machte sein soziales Umfeld, seine Lebensumstände dafür verantwortlich. Auf diese Weise wollten die Befragten den Studienleitern signalisieren, dass sie verstanden haben, für was diese sich interessieren.

Damit beschreiben Sie den sogenannten Auftraggeber-Effekt, zu dem Sie auch selbst geforscht haben. Was haben Sie hier untersucht?

Wir haben Studierende zur Work-Life-Balance befragt. Dabei wollten wir wissen, wie wichtig ihnen Partner, Freunde und Freizeit sind und ob sie diese Dinge für Job und Karriere opfern würden. Die unabhängige Variable bei dieser Studie war der Auftraggeber: Einmal wurde die Befragung angeblich von einem Wirtschaftsunternehmen gesponsert, bei der zweiten Gruppe von einer Freizeiteinrichtung und bei der dritten Gruppe wurde die Umfrage angeblich im Rahmen einer Bachelorarbeit durchgeführt.

Und wie waren die Ergebnisse?

Es zeigte sich, dass sich Befragte, die hinter der Umfrage ein Wirtschaftsunternehmen vermuteten, sehr stark karriereorientiert darstellten. Für die Gruppe, die von der fiktiven Freizeiteinrichtung befragt wurde, waren dagegen Freunde und Freizeit viel wichtiger. Das Logo auf dem Fragebogen allein reichte, um das Antwortverhalten zu verändern.

Nun werden Umfragen, die von Wirtschaftsunternehmen durchgeführt werden, auch immer wieder in den Medien thematisiert. Muss man hier in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür schaffen, dass diese Umfragen durchaus eben durch Auftraggeber-Effekte verzerrt sein können?

Ja, solche Studien sind in der Tat mit Vorsicht zu genießen. Ich denke hier zum Beispiel an Befragungen zum Thema „Stress am Arbeitsplatz“: Wird die Studie vom Arbeitgeberverband durchgeführt, sind am Ende ganz andere Ergebnisse zu erwarten als bei einer Befragung durch die Gewerkschaft oder den Betriebsrat. Das liegt aber nicht unbedingt daran, dass hier nachträglich manipuliert wurde – das Labeling, also die Information darüber, wer hinter der Umfrage steckt, ruft ein ganz anderes Antwortverhalten hervor. Dessen sollte man sich bewusst sein!

Forschungsergebnisse zum Thema Auftraggeber-Effekt hat Katja Mierke auf dem 16. Kongress der European Association of Work and Organizational Psychology vorgestellt. Die Veranstaltung fand im Mai 2013 in Münster statt.

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Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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