Schulkind

Raus in die Welt – Einschulung und Grundschulzeit als Chance zur Persönlichkeitsentwicklung von Kindern

Nach den Sommerferien hat für Familien mit Kindern der Schulalltag wieder begonnen. Für die Erstklässler und deren Eltern fängt mit der Einschulung ein neuer Lebensabschnitt an, der neue Herausforderungen mit sich bringt. Schulkind werden ist ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg der sanften Ablösung vom Elternhaus. Im Grundschulalter durchlaufen Kinder zudem wesentliche Stufen der kognitiven und persönlichen Reifung. Prof. Dr. Katja Mierke, Psychologie-Professorin an der Hochschule Fresenius in Köln, dazu wie Kinder und Eltern diese Zeit gut meistern können.

In der Schule werden noch mehr als im Kindergarten Leistungen und soziale Kompetenzen von Lehrern, Mitschülerinnen und -schülern bewertet. Eltern machen sich häufig Gedanken darüber, ob ihre Kinder Freunde finden, sich gut in die Klasse integrieren oder dem Lernstoff folgen können. Dabei spielen auch die eigenen Erwartungen, Hoffnungen und Ängste eine Rolle: „Hat unser Sohn meine künstlerische Begabung mitbekommen?“, „Wird mein Kind von den Mitschülern geärgert oder gar gemobbt?“, „Hoffentlich schafft unsere Tochter den Sprung aufs Gymnasium“.

Spätestens bei der ersten Sprechstunde im Herbst sehen sich die Eltern dann mit Einschätzungen der Klassenlehrerin oder des Klassenlehrers konfrontiert, die nicht unbedingt mit der eigenen Wahrnehmung übereinstimmen. Dies kann sich auf Begabungen und Leistungsfähigkeit beziehen, aber auch auf Arbeitsstil und Sozialverhalten. Erlebt man das eigene Kind etwa zu Hause als ruhig und ausgeglichen, versucht es vielleicht in der Schule die Rolle des Klassenclowns zu übernehmen. Oder es ist umgekehrt: Zu Hause eine kleine vorlaute Chaotin, in der Schule gut organisiert und eher zurückhaltend.

„Für die Persönlichkeitsentwicklung ist es wichtig, Kinder nicht unnötig unter Druck zu setzen und dauernd zu vergleichen – weder mit einem selbst früher, noch mit Geschwistern oder Nachbarskindern. Solange es sich und anderen durch sein Verhalten nicht ernstlich schadet, respektieren Sie seine Herangehensweisen und Lösungsstrategien“, empfiehlt die Sozialpsychologin. „Hören Sie offen zu, wenn Ihr Kind erzählt, wie es die Dinge erlebt. Das ist meist viel hilfreicher als vorschnelle pauschale Ratschläge oder auch ständiges besorgtes Ausfragen.“

NEUE ERFAHRUNGEN UNTERSTÜTZEN DIE PERSÖNLICHE ENTWICKLUNG

„Die Identität eines jeden Menschen ist vielfältig und komplex. Auch Kinder verfügen bereits über mehrere sogenannte Ego-States, das heißt Persönlichkeitsanteile. Lassen Sie Ihre Kinder im neuen Kontext Schule also ruhig bislang unbekanntere Seiten an sich entdecken und neue Rollen ausprobieren“, so Mierke weiter.

Sozialpsychologische Experimente haben gezeigt, dass unterschiedliche Settings diese innere Vielseitigkeit aktivieren können und somit erlebbar machen*. Andere Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass ein komplexes Selbst und Flexibilität im Umgang mit Menschen und Situationen einen positiven Effekt auf die Stressresilienz haben**. Weiterhin fördern Spielraum und Autonomie bei der Wahl von Zielen und Herangehensweisen die Freude an Aufgaben, die Selbstwirksamkeitserwartung und sogar die Leistung***.

Kein Grund zur Sorge also, wenn ein Kind sich im Kontext Schule anders zeigt als zu Hause und gern seine eigenen Erfahrungen machen möchte. Wichtig ist es vor allem, im Gespräch zu bleiben, um mitzubekommen, wie es ihm damit geht. Dabei sei der Zugang über das gemeinsame Lesen von Geschichten oft einfacher, gerade wenn ein Kind von sich aus wenig erzählt.

Aus diesem Grund hat Katja Mierke, selbst zweifache Mutter, ein Kinderbuch mit dem Titel „Lila und Manila“ verfasst. Das Buch ist eine locker miteinander verwobene Sammlung von Geschichten für Kinder im Alter von etwa fünf bis zwölf Jahren. Mal lustig, mal tiefsinniger, geht es um Fragen wie: „Wer bin ich?“ und „Wie könnte ich noch sein?“. Dabei wird klar, dass Wünsche manchmal ihre Tücken haben, auch wilde Träume wahr werden dürfen und nicht jeder immer nur so ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. „Ich möchte Kinder damit anregen, sich selbst zu akzeptieren, mutig neue Möglichkeiten zu erkunden und sich wie andere aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten“ erklärt Mierke. Und – wie manchmal im Leben – gibt es auch im Buch einen Hidden Track.

Mehr Informationen zum Buch gibt es hier: www.kid-verlag.de/BoD.htm#Lila


Literatur

* Mierke, K. & von Mentzingen, P. (2016). Don’t ask a chameleon about its color: Context effects on self-reported career-orientation and work-life-balance. Journal of Business and Media Psychology, 7, 20-28.

** Rafaeli-Mor, E., & Steinberg, J. (2002). Self-complexity and well-being: A review and research synthesis. Personality and Social Psychology Review, 6, 31-58, sowie Mierke, K., Neumann, M., & Gansen-Ammann, D. N. (2015). Politische Fertigkeiten reduzieren das Belastungserleben von Hochschulabsolventen beim Berufseinstieg. Wirtschaftspsychologie, 25, 24-35.

*** Mierke, K., Scheidtmann, S. & Ibrahimova, D. (2017). Set them free! Task-order autonomy fosters flow, self-efficacy, cognitive performance, and challenge-seeking in test situations. Journal of Business and Media Psychology, 8, 20-27.