Gesundheit, Therapie und Soziales

„In der Öffentlichkeit muss mehr Rücksicht auf Demenzkranke genommen werden“

von Redaktion, am 09.03.2015

Kinofilme wie „Honig im Kopf“ oder „Still Alice“ haben die gesellschaftliche Debatte zum Thema Alzheimer weiter angefeuert. Das sei auch notwendig, sagt Prof. Dr. Andreas Beivers, Studiendekan des Bachelorstudiengangs Management und Ökonomie im Gesundheitswesen an der Hochschule Fresenius München. Auf dem 13. Europäischen Gesundheitskongresses in München hat er im letzten Jahr die Diskussion „Alzheimer, die vergessene Volkskrankheit?“ moderiert. Im Interview erklärt er, wie sich Gesundheitssystem und Gesellschaft hierzulande auf die Krankheit einstellen müssen.

Vor kurzem wurde Julianne Moore für die Rolle einer an Alzheimer erkrankten Professorin in dem Film „Still Alice“ mit dem Oscar ausgezeichnet. Auch Til Schweigers Kassenschlager „Honig im Kopf“ hat sich mit der Gehirnkrankheit beschäftigt. Generell ist das Thema Alzheimer in den Medien sehr präsent, wenn man sich die Berichterstattung zum Schicksal Rudi Assauers oder dem Freitod Gunter Sachs` in Erinnerung ruft. Blickt man auf die nackten Zahlen: Übertreiben es die Medien mit der Aufmerksamkeit? Wie verbreitet ist die Krankheit eigentlich wirklich?

Zunächst muss man bei der Verwendung der Begriffe vorsichtig sein. Alzheimer ist nur eine bestimmte Ausprägung der Krankheit, um die es in diesem Zusammenhang eigentlich geht, nämlich Demenz. In fortgeschrittenem Stadium äußern sich alle Demenzarten – und diese Symptome sind in der Bevölkerung ja auch dank der Medien bekannt – in kognitiven Einschränkungen, wie Vergesslichkeit und Zerstreutheit. Diese kognitiven Einschränkungen haben wiederum die bekannten funktionellen Einschränkungen zur Folge: Man verliert beim Spazierengehen die Orientierung, ist nur noch begrenzt dazu in der Lage, eigentlich routinemäßige Handlungen, wie zum Beispiel Einkaufen oder Duschen, auszuüben. Bei Alzheimer sind hierfür Veränderungen in der Gehirnstruktur verantwortlich, sie können mitunter viele Jahre vor den Symptomen ihren Anfang genommen haben.

Um aber Ihre Frage zu beantworten: Ich denke, eine gewisse mediale Aufmerksamkeit für das Thema ist angebracht. Schon heute schätzt man die Anzahl der Demenzfälle in Deutschland auf rund 1,2 Millionen, für 2020 werden 1,5 Millionen und für 2050 2,6 Millionen Betroffene erwartet. Da ist es durchaus sinnvoll, über diese Krankheit aufzuklären.

Die steigende Zahl der Demenzkranken in den kommenden Dekaden ist vor allem auf den demografischen Wandel zurückführbar – und daher kaum aufzuhalten. Die Krankheit gilt nämlich als nicht reversibel.

Das ist richtig. Und deshalb müssen sich Gesundheitssystem und Gesellschaft darauf einstellen. Das Gesundheitssystem, indem es einige Reformen anstößt und die Gesellschaft, indem sie die Krankheit in ihre Mitte lässt.

Können Sie das näher erläutern? Wie muss sich das Gesundheitssystem ändern?

Für die Kosten der Pflege Demenenzkranker kommt in Deutschland nach derzeitigem Stand neben den Krankenkassen vor allem die Pflegeversicherung auf. In den meisten Fällen wird allerdings nur ein Teil der entstehenden Pflege- und Betreuungskosten abgedeckt. Denn nach jetziger Gesetzeslage gelten vor allem jene Personen als pflegebedürftig, die körperlich eingeschränkt sind. Deshalb vergeben Versicherungen gerade im Frühstadium der Demenzkrankheit häufig noch keine Pflegestufe, die Angehörigen oder die Betroffenen selbst bleiben auf den Kosten sitzen. Um für Entlastung zu sorgen, strebt man für 2017 eine Reform der Pflegestufen an. Im Zentrum dieser Reform steht ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, der psychischen Erkrankungen eine höhere Relevanz einräumt. Neu ist dann, dass psychische und physische Faktoren der Pflegebedürftigkeit gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Neben dieser Reform müssen natürlich auch Veränderungen in anderen Bereichen stattfinden. Es müssen mehr Fachkräfte ausgebildet werden, die Demenzkranke entsprechend pflegen und unterstützen können. Genauso müssen Hausärzte im Umgang mit demenzkranken Patienten noch mehr geschult werden, denn an diese wenden sich die Menschen, wenn sie erste Anzeichen der Krankheit an sich bemerken.

Und wie muss sich die Gesellschaft auf die zunehmende Bedeutung der Demenz einstellen?

Den Menschen muss – so schlimm Demenz auch sein kann – ein wenig die Angst vor der Krankheit genommen werden. Mittlerweile, das belegen Umfragen, fürchten sich Senioren mehr vor Alzheimer als vor Krebs. Auch deshalb, weil sie Angst vor der Stigmatisierung haben, die den Erkrankten in unserer Gesellschaft leider immer noch widerfährt. Wenn hierzulande eine ältere Person an der Supermarktkasse mal mehr Zeit benötigt, weil sie aufgrund ihrer demenzbedingten Einschränkungen von der Situation überfordert ist, wird es hinter ihr gleich unruhig und auch der Kassierer blickt meist böse drein – vielleicht gibt es auch mal den einen oder anderen negativen Kommentar. In diese Lage will niemand kommen. Auch deshalb haben Menschen so viel Angst vor der Demenz. Wir müssen die Menschen in diesem Land sensibilisieren, damit in der Öffentlichkeit mehr Rücksicht auf Demenzkranke genommen wird.

Welche Anstrengungen werden in diesem Zusammenhang bereits unternommen?

Es wurden Aufklärungskampagnen und -projekte gestartet. Der Freistaat Bayern ist hier übrigens Vorreiter. Hier gibt es mit Dr. Gabriele Hartl sogar eine Ministerialrätin, die sich ausschließlich um das Thema Demenz kümmert. Auch das Projekt „Menschen mit Demenz im Krankenhaus“, ins Leben gerufen von der Bayerischen Alzheimer Gesellschaft, kann als vorbildlich bewertet werden.

Und um auf die eben beschriebene Supermarkt-Szene zurückzukommen: Es gibt Unternehmen, die Mitarbeiter eigens darin schulen, wie mit demenzkranken Kunden umzugehen ist. Bei manchen Supermarktketten werden beispielsweise die Angestellten entsprechend sensibilisiert. Ich denke, das ist ein guter Ansatz.

Noch eine Frage zum medizinischen Aspekt: Wie erfolgsversprechend verlaufen heute die Behandlungen von Demenzerkrankten? Gibt es Fortschritte in der pharmazeutischen Forschung?

Man muss ehrlich sagen, dass es bei der Demenz ab einem bestimmten Stadium nur wenige Heilungsmöglichkeiten gibt. Zwar bewegt sich in der Forschung einiges, aber bislang fehlen noch die bahnbrechenden Ergebnisse.

Allerdings, so betonen Experten immer wieder, kann man gegen die Krankheit präventiv vorgehen: Das Essen von Walnüssen und regelmäßige sportliche bzw. körperliche Aktivität scheinen die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, zu verringern. Wenn die Krankheit aber erst einmal ausgebrochen ist, ist dieser Prozess derzeit nur schwer wieder zum Stoppen zu bringen.

Erwiesen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass Depressionen den Krankheitsverlauf beschleunigen – was den diagnostizierenden Arzt in ein moralisches Dilemma bringt: Sagt er dem Patienten, dass er an Demenz erkrankt ist, wird sich das negativ auf dessen Gemütslage auswirken, wodurch sich die Krankheit schneller ausbreitet. Sagt der Arzt dem Patienten nichts, verletzt er seine ärztlichen Pflichten.

Über den Autor

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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