Gesundheit, Therapie und Soziales

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Eine App für mehr Anerkennung

von Redaktion, am 25.11.2013

Lernen bedeutet heute längst nicht mehr Pauken über dicken Wälzern. Die modernen Medien halten Einzug in Klassenzimmer und Hochschulen und werden von Dozierenden und Studierenden gleichermaßen genutzt. Aus diesem Grund haben die Hochschule Freseniusdie Ludwig Fresenius Schulen und die COGNOS AG gemeinsam mit Lehrenden und Studierenden eine Physiotherapie-App entwickelt. Entstanden ist ein kleines mobiles Nachschlagewerk für Ausbildung, Studium und Beruf: PhysiotherAPPy zeigt in 18 Videos ausgewählte evidenzbasierte Testverfahren, die angehende und berufstätige Physiotherapeuten im Lernprozess und bei der täglichen Arbeit unterstützen sollen. Gleichzeitig räumt die App mit dem Klischee auf, die Physiotherapie bestünde nur aus Beugen und Strecken und sei einfach zu praktizieren. Die App richtet sich ausdrücklich nur an Vertreter des Fachs.

Prof. Birgit Schulte-Frei, Studiendekanin Physiotherapie B.Sc. Köln und Düsseldorf, Lydia Pott, Leiterin Content- und Qualitätsmanagement COGNOS AG, Heike Richter, Dozentin Physiotherapie B.Sc. Köln, Patrick Leitinger, E-Learning Consultant & Content-Developer COGNOS AG, und die Studierenden Verena Fries und Tamara Siebert standen in einem Gespräch Rede und Antwort.

Wie ist die Idee zur Physio-App entstanden?

Birgit Schulte-Frei: Die Kernidee war eine App als Unterstützung für Studierende zu gestalten. Ich habe mir Studierende vorgestellt, die in Praktikumseinsätzen sind und konkrete Fragen zu physiotherapeutischen Interventionen haben. Mit der App sollen sie Antworten auf diese Fragen einfach aufrufen und direkt in die Praxis umsetzen können. Um zu erfahren, worauf es Studierenden ankommt, war es nötig, die Inhalte mit ihnen gemeinsam zu erarbeiten. Wir wollten sozusagen eine App für Studierende von Studierenden.

Die Studierenden sind auch in den Videos zu sehen. Wer war darüber hinaus an der Entwicklung der App beteiligt?

Lydia Pott: Beteiligt waren aus eigenen Reihen Prof. Dr. Birgit Schulte-Frei als fachliche Leiterin, Heike Richter als fachliche Betreuerin, Patrick Leitinger als Mediengestalter und Koordinator für die technische Aufbereitung und Programmierung und ich selbst als Projektleiterin. Für die Videodrehs haben wir von extern zusätzlich Jennifer Günther, eine versierte Kamerafrau, ins Boot geholt, die uns vom Fachbereich Wirtschaft & Medien empfohlen worden war.

Was beinhaltet die App? Was gibt es zu sehen?

Heike Richter: Größtenteils physiotherapeutische Testverfahren für die untere und obere Extremität. Anhand eines Bodycharts sind die Tests den Gelenken zugeordnet. Neben der praktischen Durchführung, die in der Videodokumentation gezeigt wird, gibt es noch eine Textbeschreibung der Testverfahren, in der die Ausgangsstellung, Ausführung und Auswertung der Tests erläutert werden.

Welchen Nutzen hat die App für Studierende und Schüler?

Heike Richter: Gerade das motorische Lernen hat einen hohen Stellenwert in der Ausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung. Wenn man sich diesen motorischen Lernstoff sowohl aus der Literatur als auch durch das praktische Durchführen aneignen kann, ist das ein großer Vorteil. Das ist das besondere an der App, dass sie die theoretischen Inhalte um die Visualisierung und die praktische Durchführung ergänzt. Ebenfalls von Vorteil ist, dass man durch diese Ergänzung einen zusätzlichen Lernkanal anspricht. Es gibt unterschiedliche Lerntypen. Durch die Bildgebung spricht die App auch den visuellen Lerntypen an. Diese Kopplung vereinfacht es den Studierenden, den Lernstoff besser aufzunehmen. Sie können über ihr Smartphone die App auch gut in das Praktikum integrieren und vor Patientenbehandlungen ein App-Video anschauen.

Birgit Schulte-Frei: Zur Ergänzung: Es war schon immer ein Problem therapeutische Techniken, Behandlungstechniken, zu notieren, besonders wenn man sie zeitgleich im Seminar oder im Unterricht lernt. Es ist schwierig sie so zu notieren, dass man sie, wenn man sie alleine üben oder in der Praxis abrufen möchte, dann auch präsent hat. Um das zu erleichtern, haben wir mit sehr komplizierten Aufschreibetechniken, Ausgangsstellungen, Handhabungsstellungen des Therapeuten, Stellungen des Patienten angefangen. Zusätzlich haben wir früher schon Fotos in Fortbildungen und Kursen gemacht, um die Techniken für den seminaristischen Unterricht an der Hochschule, im Studium, in der Ausbildung und für Prüfungen genau darstellen zu können. Mit dem aktuellen Videomaterial ist das alles wesentlich besser gewährleistet. Das aufwendige Notieren wird erleichtert. Und schließlich sagen Bilder mehr als Worte.

Was sagen die Studierenden dazu?

Verena Fries: Ich denke, dass die App für uns Studierende besonders wichtig für die Vorbereitung auf Prüfungen ist. Vieles, was wir im Unterricht gelernt und einmal praktisch durchgeführt haben, lässt sich nicht so einfach abspeichern. Deswegen finde ich es gut, dass wir das Ganze durch die Videos auch visuell abrufen können. Aber auch im Praktikumsalltag sind sie sehr hilfreich, um erlerntes Wissen aufzufrischen.

Tamara Siebert: Gerade im Praktikum ist es so, dass wir als Studierende einfach noch nicht diesen Alltag haben. Wenn zum Beispiel ein Patient neu zu uns kommt, wir eine Anamnese durchführen müssen, aber den Test noch nicht so parat haben, ist es hilfreich, dann nochmal schnell nachzuschauen. Die Videos sind zudem eine zuverlässigere Quelle als die eigenen Notizen und Aufzeichnungen.

Reicht die App als praktische Vorbereitung aus?

Lydia Pott: Auf keinen Fall. Die App kann keine praktischen Übungen am Patienten ersetzen. Mit der App haben die Lernenden aber die Möglichkeit, die Tests beliebig oft und an jedem Ort der Welt, zu wiederholen. Das ist ein Riesenvorteil. Es erhöhen sich aber auch die Ansprüche der Lehrenden an die Schüler und Studierenden.

Die App kann also auch von Dozierenden genutzt werden?

Heike Richter: Durchaus. Wir können jetzt auf die App als Lehrmethode zurückgreifen. So kann man natürlich auch von den Studierenden erwarten, dass sie die entsprechenden Inhalte kennen. Wenn beispielsweise die praktische Demonstration im Unterricht nicht reicht, um sie zu verinnerlichen, kann man hier nochmal auf die App als Wiederholungsmethode verweisen. Das heißt natürlich nicht, dass weniger im Seminar demonstriert wird, im Gegenteil: Die Tests sind weiterhin Unterrichtsstoff. Aber durch das zusätzliche Medium, das von den Studierenden genutzt wird, steigt auch der Erwartungsanspruch an sie. Die App gewährleistet eine gewisse Grundlage. Das bringt letzten Endes auch eine Standardisierung mit sich.

Inwiefern?

Birgit Schulte-Frei: Wir haben in der Physiotherapie, wo wir hauptsächlich manualtherapeutisch tätig sind, das Problem der Objektivität, insbesondere bei den Testverfahren. Durch die App bieten wir den Kollegen eine einheitliche Basis, die auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist. So arbeiten alle Kollegen künftig mit derselben methodischen Herangehensweise und das nicht nur in unserem Kölner Team, sondern auch an den verschiedenen Studienstandorten. Studierende in Köln, Düsseldorf, Idstein, Hamburg, München und wo immer wir sind, arbeiten sozusagen mit dem gleichen Testmaterial, weil sich auch die Dozierenden auf eine vergleichbare Testdurchführung einlassen. Das ist in der Physiotherapie gar nicht so leicht. Es gibt sehr viele Tests und es gibt auch immer leichte Abweichungen in der Definition der Durchführung dieser Tests. Mit einer gemeinsamen Grundlage erhöhen wir aber die Objektivität in unseren diagnostischen und auch in unseren therapeutischen Verfahren.

„Objektivität“ ist aber nicht gleichzusetzen mit „allgemein verständlich“?

Birgit Schulte-Frei: Auf keinen Fall. Es bedarf schon gewisser Vorkenntnisse.

Heike Richter: Ganz richtig. Unsere Studierenden lernen diese Inhalte ab dem dritten Semester. Sie haben schon eine gewisse Grundkenntnis der Anatomie des menschlichen Körpers. Und es reicht nicht allein die Ausführung des Testverfahrens, man muss auch das therapeutische Geschick oder Gespür haben, um beispielsweise eine Bewegungseinschränkung zu spüren. Dazu benötigt man eine gewisse Vorkenntnis und Erfahrung. Und somit ist die App auch nur für dementsprechend geschulte medizinische Fachberufe gedacht, die dieses Vorwissen mit einbringen und die Auswertung der Tests korrekt vollziehen.

Ist die App also auch für berufserfahrene Physiotherapeuten interessant?

Birgit Schulte-Frei: Ja, unbedingt. Ich habe noch regelmäßig Kontakt zu berufstätigen Physiotherapeuten und die Erfahrung zeigt, dass doch nicht immer alle Tests, die man in der Ausbildung oder auch in bestimmten Fortbildungen gelernt hat, präsent sind. Das ist ganz normal, im beruflichen Alltag gehen Tests verloren, dafür kommen andere dazu, man spezialisiert sich. Wenn man gewisse Indikationen seltener behandelt, kann eine Lücke im diagnostischen Wissen entstehen. Die App bietet dann die Möglichkeit, schnell nachzuschauen. Die Tests werden natürlich weiterentwickelt und angepasst. So kann der berufstätige Physiotherapeut auf eine stets aktuelle Durchführung der Testverfahren zurückgreifen.

Aktualisieren Sie die App nur oder ergänzen Sie sie auch?

Lydia Pott: Ich denke, wir können beides tun. Zu Projektbeginn hatten wir im Sinn, zunächst einen Piloten zu entwickeln, zu schauen, ob wir in der Lage sind, eine fachlich, optisch und technisch anspruchsvolle App zu produzieren. Es hat sich gezeigt: Wir können das. Und wir haben die Wortmarke TherAPPy gesichert, unter der wir noch viele spannende Projekte umsetzen können. Was immer uns in diesem großen Bereich noch einfällt, können wir unter dieser Marke entwickeln. Wir können PhysiotherAPPy aktualisieren, mit anderen Themen aus dem Bereich Physiotherapie weiterarbeiten, wir können aber auch etwas für die Ergotherapie, die Logopädie oder die Naturheilkunde entwickeln. Ein Aufruf an alle Kollegen: Ihre Ideen sind uns willkommen.

Können Sie uns noch vom „Making of“ berichten?

Patrick Leitinger: Am Anfang stand die Vision, das Ziel: Wir wollen nicht einfach nur eine App, wir wollen eine App mit fachlich fundiertem Wissen zum Thema Physiotherapie und diagnostischen Tests für Studierende von Studierenden. Dann setzte man sich zusammen, es fanden Briefings statt. Man verteilte die Aufgaben, natürlich auch zielgerichtet im Team, dass jeder wirklich das macht, was er am besten kann. Alles, was die Gestaltung, fachlichen Inhalte und die Videos anging, lief bei mir zusammen. Ich war sozusagen die Schnittstelle zum Programmierer-Team, das von außen kam. Ich habe ihnen beispielweise die Wireframes zugespielt, die ich hier intern entwickelt habe. Im weitesten Sinne ergeben diese zusammen eine Website. Anhand dieser Wireframes konnte die App programmiert werden. Wir haben an fünf Wochenenden die Videos gedreht und geschnitten. Die Videos mussten auch nach dem Schnitt und auch währenddessen fachlich korrigiert werden. Wir hatten zum Glück drei Naturtalente an Bord. Ganz besonders Verena. Wir mussten kaum nachdrehen, alles war sehr schnell im Kasten.

Wie sind Sie denn Models der Physio-App geworden?

Tamara Siebert: Christian und ich haben einen Aushilfsjob an der Hochschule und wurden gefragt, ob wir daran Interesse hätten. Dann haben wir Verena gefragt, weil wir aus dem Unterricht wussten, dass sie so etwas extrem gut kann. Und so ist sie die Therapeutin in den Videos geworden. Es war anfangs schon sehr ungewohnt vor der Kamera zu stehen. Bis jetzt habe ich das nur für Urlaubsfotos gemacht. Wir hatten zwei Kameras, eine tolle Ausstattung und dazu eine super Kamera-Frau von der COGNOS AG. Ich wusste anfangs nicht, in welche Kamera ich schauen soll. Man fragt sich: Spreche ich laut und deutlich und achte ich auch auf alle Details? Das war schon sehr komplex. Da unser Team aber so familiär war, hatte man weniger Hemmungen.

Welche Erfahrungen haben Sie noch mitnehmen können?

Verena Fries: Also die Tests können wir jetzt mittlerweile alle sehr gut. Es hat aber auch viel Spaß gemacht, einmal vor einer Kamera gestanden zu haben und zu sehen, wie das alles abläuft.
Hand aufs Herz: Würdet ihr auch die App herunterladen?

Verena Fries: Auf jeden Fall. Ich habe im Bekanntenkreis einige Freundinnen, die Medizin studieren. Denen habe ich die Tests auch gezeigt. Sie waren positiv davon angetan. Gerade im Bereich Gesundheit muss man eine unglaublich große Menge an Wissen lernen, da ist es hilfreich, wenn man sich das anhand eines Videos anschauen kann, anstatt das Ganze immer wieder zu lesen. Und wenn mal was in Vergessenheit gerät, kann man das eigene Wissen orts- und zeitunabhängig auffrischen.

Birgit Schulte-Frei: Dazu kommt noch ein anderer wichtiger Aspekt: Die Physiotherapie ist ein Bereich, der häufig in der Gesellschaft noch nicht völlig anerkannt ist. Ich finde es klasse, dass die App Begehrlichkeiten bei den Kollegen weckt und damit auch unterstützt, dass wir innerhalb der Gesellschaft ein anderes Ansehen, einen anderen Stellenwert bekommen. Ich denke, das hilft sehr Methoden, Inhalte und Kompetenzen der Physiotherapie weiter voranzutreiben. Die App zeigt, dass wir eben nicht immer im stillen Kämmerlein mit Beugen und Strecken arbeiten und Anspannen und Lockerlassen, sondern dass unsere Methoden wirklich eloquent und nicht von jedermann einfach nachzumachen sind. Es ist dringend notwendig, dass die Physiotherapie ein anderes Ansehen erhält, denn wir müssen uns noch viel zu häufig verstecken, weil uns bestimmte Themen einfach nicht zugetraut werden. Das ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß.

Nähere Informationen zu PhysiotherAPPy finden Sie unter www.physiotherappy.de.

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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