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Mobilität und urbane Entwicklung

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von Prof. Dr. Thomas Osburg, am 21.08.2018

Die Mobilität der Gesellschaft ist einem tiefgreifenden Wandel ausgesetzt, der eng mit der zunehmenden Urbanisierung zusammenhängt. Die Herausforderungen sind komplex und zahlreiche Ansätze sollen Lösungen ermöglichen. Oft stehen Diskussionen zu autonomem Fahren, alternativen Antriebstechniken, Carsharing und Smart Mobility im Vordergrund. Allerdings muss Mobilität weiter gedacht werden und kann nicht losgelöst von der Entwicklung urbaner Räume stattfinden. Zu diesen Themen forscht Prof. Dr. Thomas Osburg, Studiendekan des Studiengangs Automotive & Mobility Management (B.Sc.) und Professor für Sustainable Marketing und Leadership an der Hochschule Fresenius in München. In seinem Gastbeitrag äußert er sich zu den Herausforderungen neuer Mobilitätsanforderungen im urbanen Raum.

Wir alle wollen mobil sein und uns bewegen – wie, wann und wo wir möchten. Dieses Grundbedürfnis der Menschen ist nicht neu und basiert auf einer noch stärkeren Motivation: Freiheit. Mobilität ist weniger ein Ziel an sich, die Freiheit des Individuums ist der erstrebenswerte Zustand. Freiheit sich dorthin zu bewegen, wo und wann man möchte. Freiheit, seinen Arbeitsplatz und Wohnort quasi unabhängig voneinander zu wählen. Diese und mehr individuelle Freiheiten wurden und werden (noch) durch Mobilitätslösungen ermöglicht.

Dabei basierte diese angestrebte Freiheit vor allem auf der Verfügbarkeit von Mobilität, was zuerst zum Besitz von Pferden, dann zum Besitz von Automobilen führte. Diese Transportmöglichkeiten standen den Besitzern zu jeder Zeit zur Verfügung und ermöglichten individuelle Freiheit.

Zunehmender Individualverkehr schränkt andere Verkehrsteilnehmer ein

Wir sehen allerdings in den letzten Jahren, getrieben durch eine zunehmende Weltbevölkerung und dem Drang der Menschen in die Städte (Urbanisierung), bisher ungeahnte externe negative Einflüsse auf diese individuelle Freiheit: Straßen sind voll, Parkraum steht kaum zur Verfügung und die Kosten steigen.

Kant wird oft folgender Ausspruch zugeschrieben: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Dieses Phänomen erleben wir aktuell: Der zunehmende Individualverkehr schränkt andere Verkehrsteilnehmer in ihrer Bewegungsfreiheit verstärkt ein, er belastet die Umwelt, schädigt die Gesundheit auch unbeteiligter Bürger und führt damit zu dem angestrebten Gegenteil: Unfreiheit. In dieser Situation wird händeringend nach neuen Lösungen gesucht. Dabei spielen Effizienz und Suffizienz eine wichtige Rolle.

Konzepte der Effizienz stehen im Vordergrund der aktuellen Mobilitätsdiskussion. Hier wird weniger in die Grundstruktur des betroffenen Lebensraums eingegriffen, sondern es wird versucht, den (noch als notwendig angesehenen) Verkehr effizienter zu gestalten, z. B. durch Parkraummanagement, autonomes Fahren, Carsharing oder smarte Verkehrsleitsysteme. Offensichtlich dabei ist, dass diese Konzepte der zunehmenden Effizienz trotz kurzfristiger Erleichterungen langfristig nicht ausreichen werden.

Suffizienz wurde bisher noch eher am Rande betrachtet. Dies ist verständlich, denn die Mobilität wird nicht nur durch ein individuell relevantes Freiheitsverständnis definiert, sondern ganz konkret durch die Erreichbarkeit der wichtigsten Institutionen für die Menschen: Arbeitsplatz, Schule, Einkaufsmöglichkeiten oder Verwaltungen. Reine Mobilitätssuffizienz wird hier zu kurz greifen, es sind ganzheitliche Ansätze der urbanen Planung gefragt, die z. B. die nötigen Einrichtungen näher an die Wohnorte der Menschen bringen oder durch smarte digitale Lösungen den Verkehr zu großen Teilen überflüssig machen können.

Diese Ansätze der Suffizienz sind natürlich eher im urbanen Raum zu verwirklichen, in dem durch die Vielzahl der Menschen betriebswirtschaftlich sinnvolle Konzepte denkbar sind. Anders sieht es hier im ländlichen Raum aus: Die zunehmende sogenannte Landflucht kann zu stark reduzierten Mobilitätsangeboten führen, die staatliche Stellen aus Gründen des politischen Postulats Gleichwertiger Lebensverhältnisse aufrechterhalten müssen. Mobilität im nicht-urbanen Raum wird daher immer stärker zu einem meritorischen Gut.

Ein weiterer, erst am Rande diskutierter Aspekt ist in den Problemen des stark zunehmenden weltweiten Tourismus für die Mobilität in Städten zu sehen. Beliebte Destinationen wie Barcelona oder Dubrovnik ersticken quasi im Strom der Touristen, zusätzlich zu den schon bestehenden eigenen Mobilitätsherausforderungen. Die Dimensionen sind gewaltig: So hat Dubrovnik offiziell 200.000 Einwohner, aber vier Millionen Besucher (d. h. zwanzigmal mehr als Einwohner) pro Jahr. Für eine Stadt wie München würde dies 30 Millionen Besucher pro Jahr bedeuten, eine heute fast unvorstellbare Situation. Overtourism ist alles andere als ein Nischenproblem weniger Städte – die zunehmende globale Mobilität stellt auch europäische Städte vor immer neue Herausforderungen.

Drei Ansätze für neue Mobilitätslösungen

Sowohl im mobilen städtischen Umfeld als auch beim Bekämpfen des Overtourism sind drei Ansätze von zentraler Bedeutung:

In einem ersten Schritt geht es um die Verkehrsverbesserung, d. h. die optimalere Steuerung des als gegeben hingenommenen Verkehrs. Hierzu gehören Diskussionen um die richtige Antriebstechnik von Autos, Diesel, Elektro, Wasserstoff, etc. Auch können Verkehrsströme besser gelenkt werden, durch eine optimalere Auslastung der vorhandenen Verkehrswege oder durch eine bessere zeitliche Verteilung von Touristen in Städten wie Dubrovnik oder Barcelona auf das ganze Jahr. Es wird hier kaum hinterfragt, ob der gesamte Verkehr überhaupt nötig ist.

Verkehrsverlagerung in Stufe zwei geht davon aus, dass eine reine Verbesserung der Situation nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Es werden Ausweichmöglichkeiten gesucht, sei es ein neues Einkaufszentrum am Rande der Stadt oder gleich eine ganz neue Hauptstadt wie aktuell in Ägypten. Die Vorteile dieser Ansätze bekommen die vorher betroffenen Gegenden positiv zu spüren, für das gesamte Ökosystem dagegen tritt auch hier keine Verbesserung ein.

Dies wäre nur mit der dritten Stufe möglich – der Verkehrsvermeidung. Klares Ziel ist hier, das allgemeine Verkehrsaufkommen signifikant zu reduzieren. Die damit verbundene teilweise Einschränkung der individuellen Mobilität wird aber vor allem dann möglich sein, wenn erst kaum ein Bedarf für Mobilität entsteht. Hier greifen wieder Konzepte der Gestaltung des urbanen Lebensraums ein. Die Infrastruktur muss also zum Menschen kommen, wenn man nicht möchte, dass der Mensch zu den von ihm benötigten Geschäften oder Arbeitsplätzen fährt.

Die Digitalisierung spielt bei allen Konzepten der Mobilitätsgestaltung natürlich eine wichtige Rolle. Neue Technologien und innovative Geschäftsmodelle leisten heute schon einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der Herausforderungen. Nicht nur in Bereich der Effizienz (Betrieb von Bussen und Bahnen, Car- oder Bikesharing, etc.), sondern auch bei Fragen der Suffizienz (unterstützt durch Big Data, Predictive Analytics oder Künstliche Intelligenz) tragen Smart City Solutions zunehmend zu Lösungen bei.

Die besondere Herausforderung dabei liegt in der Akzeptanz und dem Vertrauen der Bevölkerung. Auch im Bereich der Mobilität sind Smart Cities schwer umzusetzen, wenn die Bewohner „weniger smart“ sind. Bildung und Vertrauensaufbau in der Bevölkerung kommt daher eine entscheidende Bedeutung bei der Um- und Durchsetzung neuer urbaner Mobilitätskonzepte zu.

Mobilität: Mehr als Straßenverkehr

Diese Betrachtungen sollen zeigen, dass Mobilität weit mehr bedeutet, als den aktuellen Straßenverkehr effizienter zu gestalten. Ohne ein komplettes Umdenken über die Rolle der Mobilität, das vor allem in der wesentlich engeren Koordination mit urbanen Lebenskonzepten verankert sein muss, werden wir die zukünftigen Herausforderungen nur schwer lösen können. Dabei spielt das oft als Argument genannte Statusdenken im Zusammenhang mit dem Besitz prestigeträchtiger Autos schon jetzt kaum eine Rolle mehr. Individuelle Statussymbole sind oft flüchtig und können sich im Laufe der Zeit schnell ändern. Was bleiben wird, ist der Wunsch der Menschen nach Freiheit und die damit verbundene Mobilität. Wir stehen erst ganz am Anfang einer spannenden und sehr tiefgehenden Diskussion.

Über den Autor

Prof. Dr. Thomas Osburg
Prof. Dr. Thomas Osburg ist Studiendekan des Studiengangs Automotive & Mobility Management (B.Sc.) und Professor für Sustainable Marketing und Leadership an der Hochschule Fresenius in München.

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