Psychologie und Wirtschaftspsychologie

„Es ist ein Trugschluss zu meinen, wir hätten die richtige Perspektive zur Interpretation der Welt schon gefunden“

von Redaktion, am 06.09.2016

Missverständnisse sind etwas wichtiges, sagt der Psychologe Prof. Dr. Peter Bak, Dozent an der Hochschule Fresenius Köln. Denn sie zeigen uns die Grenzen unserer Persönlichkeit auf. Wir sollten Missverständnisse deshalb als Möglichkeiten begreifen, den eigenen Horizont zu erweitern.

Herr Prof. Bak, Missverständnisse begegnen uns in schöner Regelmäßigkeit: Einen Arbeitsauftrag erledigen wir nicht wunschgemäß, weil wir die Chefin falsch verstanden haben; in der Öffentlichkeit fühlt sich ein Mitmensch angegriffen, weil wir allzu finster dreinblicken. Warum treten Missverständnisse überhaupt auf?

Missverständnisse tauchen vor allem dann auf, wenn sich die Kommunikationspartner in unterschiedlichen Zuständen befinden. Wir sind ja stets mit einer Sache beschäftigt, denken über etwas nach, verfolgen ein Ziel, haben bestimmte Erwartungen oder sind emotional so oder so gestimmt. Dieser Zustand beeinflusst, was wir von der Welt um uns herum wahrnehmen, welche Informationen uns wichtig sind und worauf wir besonders achten.

Können Sie ein Beispiel geben?

Eine Situation, die jeder kennt: Wenn wir hungrig durch die Stadt laufen, dann fallen uns überall Stände und Buden auf, an denen es etwas zu essen gibt. Haben wir dann gegessen, achten wir auf andere Dinge und allein der Gedanke an Essen ist uns vielleicht unangenehm. Das Problem ist nun, dass wir beim Kommunizieren nicht bedenken, dass wir uns in einem anderen Zustand wie unser Gegenüber befinden könnten, er also die Botschaft völlig anders interpretieren könnte, weil er gerade an etwas anderes denkt oder fühlt.

Insofern sollten wir eigentlich über Missverständnisse froh sein, denn sie zeigen uns, dass wir von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind und das lässt sich ja ändern. Auf jeden Fall ist es besser, wenn das Missverständnis auffällt – sonst hätte man sich ja nur scheinbar verstanden.

Jeder lebt also ein Stückweit in seiner eigenen Welt und bewertet die Realität entsprechend anders. Trotzdem muss es doch bestimmte unmissverständliche Verhaltensweisen geben – gerade in Städten, in denen Menschen täglich hundertfach mit anderen fremden Menschen interagieren, würde es doch sonst zu Problemen kommen, oder?

So viel kommunizieren wir in der Stadt dann aber auch wieder nicht. Und wenn wir beim Metzger zwei Scheiben Wurst bestellen, dann klappt das in der Regel auch. Da sind die Freiheitsgrade zur Interpretation eher gering.

Zudem leben wir zwar alle in unserer eigenen Welt, aber es gibt auch zahlreiche Übereinstimmungen mit den Welten der anderen: Wir leben im selben Kulturkreis, haben ähnliche Lebensverläufe, ähnliche Ziele und Bedürfnisse. Unsere Biologie ist ähnlich und unsere psychologischen Prozesse ebenfalls. Wir sind uns also vielfach ähnlicher als wir das manchmal vielleicht wahrhaben wollen. Zumindest im Prinzip.

Damit wir uns tatsächlich in einer gemeinsamen Welt befinden, um diese schöne Metapher zu verwenden, müssen wir gerade im Jetzt ähnliche Ziele, Erwartungen, Bedürfnisse haben, kurz uns aktuell in einem ähnlichen Zustand befinden. Äußere Faktoren, zum Beispiel, ob wir uns in der Stadt aufhalten, ob wir im Schwimmbad sind, am Arbeitsplatz oder in der Kirche, führen dazu, dass sich unsere aktuell generierten Lebenswirklichkeiten aneinander annähern.

Inwiefern?

Denken Sie beispielsweise an den Stadionbesuch. Da kommen ganz viele Menschen zusammen, die gerade mit den unterschiedlichsten Dingen beschäftigt waren. Der eine hat daran gedacht, sein Auto zu putzen, der nächste an die Arbeit, der dritte daran, dass er seiner Frau noch einen Blumenstrauß kaufen will und so weiter. Je näher sie aber dem Stadion kommen, desto eher fokussieren diese Personen sich allerdings auf ein einziges Thema: das anstehende Fußballspiel. Die Gedanken an die Arbeit, die Frau, das Auto sind dann weit weg.

In einem aktuellen Magazinbeitrag appellieren Sie daran, in sozialen Situationen der Empathie mehr das Ruder zu überlassen und sich auf diese Weise –­ soweit möglich – in die Welt des Gegenübers einzufühlen. Provokant gefragt: Ist das nicht gerade in Ballungsräumen und multikulturellen Gesellschaften auch wahnsinnig anstrengend, vielleicht gar nicht zu bewältigen?

Missverständnisse und Unverständnis kommen ja, wie ich eben angedeutet habe, nur deswegen zustande, weil wir mit unserer Welt im Kopf einem anderen begegnen, der eben seine eigene Welt im Kopf hat. Da es völlig unsinnig ist, jetzt in einen Streit darüber zu geraten, welche Welt die zutreffende sein soll, denn zutreffend sind diese individuellen Welten ja alle, ist es viel zweckmäßiger, die Welt des anderen als eine andere Möglichkeit anzusehen, die Dinge um sich herum zu betrachten.

Es ist doch ein Trugschluss zu meinen, wir hätten die richtige Perspektive zur Interpretation und Deutung der Welt jetzt schon gefunden. Wir sollten die anderen vielmehr als ein permanentes Angebot wahrnehmen, die Welt nicht nur mit den eigenen Augen zu sehen, sondern auch aus seiner Perspektive. Wenn wir solche Angebote früher ausgeschlagen hätten, wer wären wir denn dann? Und warum sollen wir jetzt damit Schluss machen, nur, weil die Angebotsvielfalt zum Beispiel durch die Flüchtlinge angestiegen ist?

Neue Sichtweisen kennen zu lernen ist kein Angriff auf mein bisheriges Denken und Fühlen, auf meine Person, sondern eine Erweiterung meines Horizontes und ein Aufzeigen von eigenen Entwicklungsmöglichkeiten. Ich muss mir ja nicht alle Sichtweisen zu eigen machen. Aber sie zu ignorieren, hieße, sich der eigenen Potenziale von vornherein zu berauben.

Dass dieser Prozess nicht mühelos vonstattengeht, versteht sich von selbst. Aber, was ist schon mühelos?

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

0 Kommentare

Ihr Kommentar

Sie möchten Sich an der Diskussion beteiligen? Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!
Bitte beachten Sie dabei unsere Netiquette. Vielen Dank.

Schreiben Sie einen Kommentar