Medien

„Wir lassen uns von den großen Diensten domestizieren“

von Redaktion, am 29.09.2016

Erst kürzlich hat Prof. Chris Wickenden, Studiendekan 3D-Design und Management an der Hochschule Fresenius Köln, auf der gamescom über das Thema Medienkompetenz diskutiert. Im Interview erklärt er, wann Menschen seines Erachtens als kompetent im Umgang mit Medien einzustufen sind und was unter dem Begriff „Filter Bubble“ zu verstehen ist.

Irgendwann kommt der Punkt, da können Eltern über das Verhalten ihrer Kinder nur noch den Kopf schütteln – Generationenkonflikte gab es schon immer. In modernen Zeiten stehen diese Konflikte mit dem technologischen Fortschritt in Zusammenhang: die ältere Generation verliert den Anschluss und kann zum Beispiel mit den Mediennutzungsgewohnheiten der Jugendlichen nichts mehr anfangen. Aktuell verläuft der technologische Wandel schneller denn je: Was hat das für Generationenkonflikte zur Folge?

Die quantitative und qualitative Veränderung der Technologien verursacht zunächst mal eine Verkleinerung der Generationsabstände. 1985 lagen diese Abstände bei rund 15 Jahren. Seit 2000 kommt es zu einer rasanten Verdichtung, so dass man heute davon ausgeht, dass Generationen nur noch ungefähr drei bis vier Jahre auseinanderliegen.

Unsere gelernte Medienkompetenz muss daher ständig „upgedatet“ werden, um mitsprechen zu können und Neues miteinander auszutauschen. Im Umkehrschluss bedeutet das – hier kommt der bekannte Generationenmechanismus zum Tragen –, wer nicht mithält, ist raus und verliert den Anschluss – auch im Alltag. Und dann kann es natürlich hin und wieder vorkommen, dass Gleichaltrige über Gleichaltrige den Kopf schütteln.

Der Begriff Medienkompetenz steht ja seit einiger Zeit im Zentrum bildungspolitischer Debatten. Wann ist eine Person in Ihren Augen im Umgang mit den Medien als kompetent einzustufen?

Ganz grundsätzlich: wenn sie die eigene Mediennutzung kritisch reflektiert und über eine gewisse Navigationskompetenz verfügt.

Können Sie näher erläutern, was Sie unter Navigationskompetenz verstehen?

Was früher im Heft oder im Kopf gespeichert werden musste, ist jetzt im Smartphone, bei Google, Wikipedia oder in der Cloud aufzuspüren und abzurufen. Die Fragen, die sich heute also stellen, sind: Welche Plattform muss ich aufrufen, welche Taste muss ich drücken und wie ist die korrekte Frage, um auch die richtige Quelle mit der richtigen Antwort zu erhalten? Ich muss lernen, richtige Wege zu gehen – zu navigieren.

Läuft man dann nicht Gefahr, es sich zu einfach zu machen? Schließlich gelangt man über den kürzesten Navigationsweg ja nicht automatisch an die richtige Antwort – auch Wikipedia sagt nicht immer die Wahrheit!

Absolut richtig. Und hier kommt jetzt der zweite zentrale Baustein der Medienkompetenz ins Spiel: Ich sollte so reflektiert sein, zu wissen, dass ich mich nicht auf nur eine Quelle verlassen kann. Es reicht nicht aus, nur auf Wikipedia nachzulesen. Ich muss auf der Suche nach der Wahrheit recherchieren, Quellen vergleichen und kritisch hinterfragen. Vor allem, da man im Hinterkopf haben muss, dass einem die heutigen Services gerne das geben, was man sich wünscht.

Wie meinen Sie das?

In den Medienwissenschaften spricht man von der „Filter Bubble“: Viele bekannte und vielgenutzte Dienste, wie zum Beispiel Google oder Spotify, haben Personalisierungstechnologien in ihr Angebot eingebaut. Das heißt, bei jeder Suchanfrage wird – ohne dass der Nutzer davon erfährt – eine personalisierte Trefferliste berechnet, basierend auf dem bisherigen Suchverhalten der Person. Daher kann es vorkommen, dass Person A bei der Eingabe eines identischen Suchbegriffs ein anderes Ergebnis angezeigt bekommt als Person B.

Die Gefahr ist hier, dass man sich zunehmend um sich selbst dreht und nur sehr selektiv Informationen aufnimmt. Wir sollten hier nicht bequem sein und uns auf die Services verlassen. Wir müssen uns stattdessen wieder aktiver auf die Suche begeben, ansonsten lassen wir uns von den großen Diensten domestizieren. Ich ziehe hier immer gerne den Vergleich zu jenen Tieren, die aus Bequemlichkeit lieber die Futterstelle aufsuchen, anstatt sich selbst auf die Jagd zu begeben.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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