Meeting

„Diese Arbeit ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich aus einer Abschlussarbeit bestmöglicher Nutzen ziehen lässt“

Isabel Reichel hat sich in ihrer Bachelorthesis mit dem Thema Agilität auseinandergesetzt. Ihr Betreuer Prof. Dr. Lutz Becker, Studiendekan Sustainable Marketing & Leadership an der Hochschule Fresenius Köln, fand die Arbeit so gelungen, dass er Reichel den Vorschlag machte, die Ergebnisse in einer Publikation festzuhalten. Gesagt, getan: Der gemeinsam verfasste Aufsatz ist vor kurzem im Fachbuch „Advanced Project Management (Vol. 4)“ erschienen. Im Interview gehen die beiden Autoren auf die Inhalte ihres Buchbeitrags ein.

FRAU REICHEL, HERR PROF. BECKER, SIE HABEN GEMEINSAM EINEN BUCHBEITRAG ZUM THEMA AGILITÄT VERÖFFENTLICHT. UM WAS GEHT ES DARIN?

Lutz Becker: Im Kern geht es um das Thema Agilität beim Projektmanagement, also die Fähigkeit, sich im Verlauf eines Projektes an dynamische Rahmenbedingungen anzupassen und das Projekt immer wieder neu zu justieren. Betriebliche Organisation ist heute – in einer projektifizierten Welt ­– weniger an langfristig stabilen Prozessen ausgerichtet, sie manifestiert sich vielmehr in kürzeren Folgen von Projekten. Nach einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement findet heute schon ein gutes Drittel der Arbeit in Projekten statt. Dieser Anteil wird bis Ende des Jahrzehnts auf mehr als 40 Prozent wachsen.

Parallel dazu verändern sich durch agile Managementmethoden das Arbeiten und das Management dieser Arbeit dramatisch. Für uns hat sich die Frage gestellt, ob mit diesen Veränderungen eine andere, spezielle Motivation notwendig wird. Dazu gibt es bislang kaum Forschung. Diese Lücke wollten wir ein Stückweit schließen.

Isabel Reichel: Über das Thema Agilität bin ich während eines Praktikums bei Bosch gestolpert und fand es sofort sehr spannend. Mir ist aufgefallen, dass viele Mitarbeiter, die nach agilen Methoden gearbeitet haben, sehr motiviert waren. Mich hat interessiert, warum das so ist und deshalb habe ich entschieden, diese Frage im Rahmen meiner Bachelorarbeit zu beantworten. Herr Prof. Becker, der ja Experte auf dem Gebiet ist, hat netterweise die Betreuung übernommen.

WAS HABEN SIE GENAU UNTERSUCHT?

Isabell Reichel: In einem ersten Schritt musste das Konstrukt „Motivation“ definiert werden. Um das zu tun, habe ich die Selbstbestimmungstheorie nach Ryan und Deci gewählt. Zudem musste definiert werden, was ein agiles Mindset ist. Den Begriff findet man in der Literatur, jedoch wird er nirgendwo konkret beschrieben.

Darauf aufbauend wurden die Hypothesen formuliert. Die erste Hypothese lautete, dass Mitarbeiter, die innerlich agil eingestellt sind, also ein agiles Mindset nach unserer Definition haben, eher intrinsisch motiviert sind – dass sie also aus inneren Anreizen heraus arbeiten und nicht etwa nur des Geldes wegen. Die zweite Hypothese lautete: Wenn Mitarbeiter agil eingestellt sind, dann sind die psychologischen Grundbedürfnisse, beispielsweise nach Sicherheit und Bindung, auch eher befriedigt.

HABEN SICH IHRE ANNAHMEN BESTÄTIGT?

Isabell Reichel: Überraschenderweise hat sich die erste Hypothese nicht bestätigt, die zweite dagegen schon. Konkret deutet das darauf hin, dass ein agiles Mindset die Motivation nicht unmittelbar erhöht, aber sehr wohl für die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse sorgt.

Lutz Becker: Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass Isabels Arbeit ein Paradebeispiel dafür ist, wie sich aus einer Abschlussarbeit bestmöglicher Nutzen ziehen lässt. Isabel ist in ihrem Praktikum auf ein Problem gestoßen, das sowohl für Wissenschaft als auch für die Praxis hoch relevant ist. Sie hat sich eine Vorgehensweise erarbeitet und ihre Ideen immer wieder mit mir diskutiert, um dann aber konsequent ihr Ding zu machen. Sie hat ihre Arbeit als Chance gesehen, ihre Kompetenzen weiter zu entwickeln. So soll es sein. Auf Basis der großartigen Arbeit war es dann nur noch ein verhältnismäßig kleiner Schritt zu einem publikationsfähigen Artikel.    

HABEN SIE ZUM ABSCHLUSS NOCH EINEN KONKRETEN RATSCHLAG FÜR ARBEITGEBER, DIE IHRE MITARBEITER ERFOLGREICH MOTIVIEREN WOLLEN?

Lutz Becker: Je komplexer die Aufgabe und je qualifizierter die Mitarbeiter, desto wichtiger wird es, dass sich die Mitarbeiter autonom entwickeln und ihre Kompetenzen entfalten können. Andererseits ist es wichtig, dass die Mitarbeiter Zugehörigkeit empfinden. Dessen sollte man sich als Führungskraft bewusst sein. Gerade in Projekten, in denen Kreativität und Flexibilität gefragt sind, erweisen sich Zuckerbrot und Peitsche als völlig ungeeignet. Stattdessen ist es besser, seinen Mitarbeitern Entfaltungsmöglichkeiten, Freiräume und einen angemessenen sozialen Kontext zu bieten.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es wenig nützt, ein Team einfach mit Zielvorgaben zu konfrontieren. Die Gefahr, dass man so Mitarbeiter nachhaltig demotiviert, wird offensichtlich unterschätzt. Deutlich effektiver kann es zum Beispiel sein, wenn die Mitarbeiter ihre eigenen Ziele, Lösungswege und Aufgaben im Team festlegen. Und genau das entspricht auch der Philosophie des agilen Managements.