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Wirtschaft und Management

„Die Marktforschung hat kein Innovationsproblem“

von Redaktion, am 14.06.2017

In einem Fachartikel hat der Psychologe Michael Pusler, Dozent an der Hochschule Fresenius München, kürzlich seine Gedanken zur Zukunft der Marktforschung festgehalten. In Teil zwei des Interviews geht er unter anderem auf die Frage ein, ob große Datensammler wie Google oder Facebook eine Bedrohung für klassische Marktforschungsunternehmen darstellen. Teil eins des Interviews findet sich hier.

Welche Rolle spielen eigentlich die Giganten der digitalen Welt wie Google oder Facebook für die Marktforschung?

Die Möglichkeiten von Facebook oder Google sind natürlich enorm. Dazu scheint dort die Bereitschaft zu steigen, bereitwillig Daten preiszugeben. Man kann sich also schon die Frage stellen, welchen Mehrwert kostspielige Marktforschung überhaupt noch hat. So – und nicht anders – sehen das zumindest ganz viele auf „Entscheiderseite“, das heißt, diejenigen, die in Unternehmen über Budgets und den Einkauf auch von Forschungsleistungen entscheiden. Und so ganz Unrecht haben sie dabei auch nicht – zumindest, wenn man unter Marktforschung das Sammeln von Unmengen von Daten versteht.

Und das Phänomen Facebook liefert zudem noch etwas Anderes: Mittlerweile fast zwei Milliarden Menschen weltweit geben freiwillig Daten von sich preis! Vor dem Hintergrund sinkender Ausschöpfungen, das heißt steigender Verweigerungszahlen in der wissenschaftlich-empirischen Marktforschung, mag das schon fast wie Hohn klingen. Und liest man die Ausführungen des Internet-Apologeten Jeff Jarvis, so sehen viele Social-Media-Nutzer in der neu gewonnenen „Öffentlichkeit“ einer sogenannten „Sharing Economy“ fast ausschließlich Chancen, und so gut wie keine Risiken.

Wie reagiert man in der Branche? Hat man angesichts dieser neuen Konkurrenz schon resigniert?

Auf der einen Seite wird durchaus geklagt. Auf der Fachmesse Research & Results 2016 war von Marktforschungsinstituten beispielsweise zu hören, dass Kunden immer weniger bereit seien, für Marktforschungsleistungen adäquate Preise zu bezahlen. Auf der anderen Seite werden für mein Dafürhalten aber auch Chancen zu wenig genutzt: Man beschäftigt sich zu wenig mit „Bestseller“-Themen, beispielsweise im Bereich der Entscheidungsforschung, wie sie in den letzten Jahren von Autoren wie Thaler, Sunstein oder Kahneman einem breiten Publikum vermittelt wurden.

Hierin liegt aber gerade ein großes Potenzial, die Investitionsentscheider im Bereich Marktforschung – die eben mittlerweile auch solche Bücher lesen bzw. in Seminaren hierüber erfahren – mit inhaltlich modernen Forschungslösungen zu begeistern und eben die Diskussionen um die Zukunft der Marktforschung nicht nur den Apologeten der „Big Data“-Bewegung zu überlassen!

Heute ist vielfach von „Disruption“ zu hören und zu lesen. Dinge seien allgemein im Wandel, und Neues ersetzt Altes unwiederbringlich. Dabei ist nicht das Ablösen des Einen durch das Andere das, was die Marktforschungsbranche jetzt benötigt. Statt Schwarz-Weiß-Malerei sollte vielmehr Vielfalt angesagt sein. Und damit hat insbesondere die akademische Wissenschaft immer wieder gute Erfahrungen gemacht.

So ist die Neuromarktforschung als eigene Forschungsdisziplin selbst eine fast logische Folge des Ineinanderwirkens unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen – und sie hat sich in den letzten Jahren als äußerst fruchtbar und gewinnbringend erwiesen. Von dieser Interdisziplinarität sollte man weiter versuchen zu profitieren.

Wie sieht die Zukunft der Marktforschung denn nun aus? Kommen vor allem Algorithmen, wie sie Google, Amazon oder Facebook nutzen, zum Einsatz oder setzt man doch auf die in der Psychologie beliebten Heuristiken?

Wäre Facebook heute bereits das größte Marktforschungsunternehmen der Welt, was wäre sein Output? Was können uns Marktforscher Algorithmen bzw. Techniken wie das so genannte „Collaborative Filtering“ bei Amazon über Konsumentenmotive letztlich wirklich sagen? Zunächst einmal wäre der Zusammenhang zwischen personenindividuellen Daten und der direkten Auslieferung von Werbung, wie sie momentan passiert, gar nicht mit den datenschutzrechtlichen Grundlagen der wissenschaftlich begründeten Marktforschung vereinbar.

Darüber hinaus basieren Algorithmen immer auf Vergangenem und können eine Zukunft nur vor dem Hintergrund des „Gelernten“ vorhersagen. Menschliches Verhalten, menschliche Entscheidungen sind aber vielfach sprunghaft und folglich wenig vorhersagbar. Unser Verhalten ist durch Heuristiken, also vereinfachende Entscheidungsmuster gekennzeichnet. So, dass wir weniger nach einer umfassenden Kosten-Nutzen-Relation, sondern vielmehr nach emotionalen bzw. sozialen Impulsen Konsumentscheidungen treffen. Diese herauszubekommen gelingt nur, indem man sich – marktforscherisch – direkt und unmittelbar mit dem Menschen in Gesprächen beschäftigt, d. h. aktiv auseinandersetzt, und nicht indirekt über mathematisch generierte Zusammenhänge auf Motive seines Kaufverhaltens schließt. Auch dabei lassen sich Algorithmen finden, die aber nur schwer mathematisch, sondern vielmehr psychologisch darstellbar sind.

Sie glauben also, dass sich die Marktforschung vor allem auf qualitative Methoden stützen sollte?

Nicht unbedingt. Gerade auch im Bereich der quantitativen Markt- und Sozialforschung sind viele Prozesse explorativ, will heißen, es wird hier nicht über vollstandardisierte Befragungen nach dem Gießkannenprinzip erhoben, sondern nach individueller Präferenz- oder Zielgruppenrelevanz.

Die Verhaltensökonomie, der so genannte Behavioral Choices Ansatz, die die rationale Entscheidungstheorie abgelöst hat, lehrt uns, dass individuelle Konsumentscheidungen bei Verbrauchern in Abhängigkeit von den vorgegebenen Auswahlmöglichen äußerst unterschiedlich ausfallen. Und dabei gilt häufig: weniger ist mehr, gerade auch, was die Verlässlichkeit getroffener Aussagen für das spätere prognostizierte Verhalten anbelangt.

Wie fällt Ihr Fazit aus?

Die Marktforschung hat kein Innovationsproblem. Marktforschung muss sich aber in den kommenden Jahren wieder auf ihre sozialwissenschaftlich fundierten Stärken des Verstehens und Erklärens von Prozessen zurückbesinnen. Denn methodisch saubere Arbeit allein, insbesondere auch was die Qualität von Stichproben für belastbare Prognosen angeht, wird gegen die wachsende Konkurrenz größerer Datenaggregatoren aus Social Media, Suchmaschinen oder E-Commerce-Prozessen und eine sinkende Hemmschwelle im Preisgeben persönlicher Daten in den sozialen Medien nicht mehr reichen. Der klassischen Marktforschung und ihren Methoden droht der Verlust ihrer steuernden Funktionen. Umso mehr aber ist sie gefragt, dies durch verstehende angewandte Forschung zu kompensieren. Insbesondere die Methoden und Erklärungsansätze der Verhaltensökonomie mit ihrem psychologischen, den „homo oeconomicus“-ablösenden Menschenbild, liefern die zentrale inhaltliche Grundlage hierfür.

Michael Pusler arbeitet als Psychologe und Dozent an der Hochschule Fresenius in München.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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