Psychologie und Wirtschaftspsychologie

„Nicht nur gegenüber anderen verhalten wir uns manipulativ – auch uns selbst gegenüber!“

sdecoret/Shutterstock

von Redaktion, am 31.03.2014

„April, April!“ – am 1. April werden wieder unzählige Deutsche auf die Scherze von Freunden, Verwandten oder Kollegen hereinfallen. Andere geschickt zu manipulieren, das ist an diesem Tag ausdrücklich erlaubt. Dabei ist Manipulation auch an allen anderen Tagen im Jahr fester Bestandteil unseres Sozialverhaltens, wie Dr. Fabian Christandl von der Hochschule Fresenius Köln im Interview verrät. Der Wirtschaftspsychologe hat soeben seine Habilitation abgeschlossen und ist deshalb von der adhibeo-Redaktion zum Fresenius-Kopf des Monats März erklärt worden.

Das Interview ist gleichzeitig der fünfte Teil unserer Serie „Grundbegriffe der Psychologie“.

Manipulation ist etwas ganz alltägliches: um uns gegenüber anderen besser darzustellen, lassen wir in Erzählungen unsere Karriere erfolgreicher, unsere sportlichen Leistungen besser und unsere Partner attraktiver erscheinen. Man könnte fast sagen, Manipulation ist aus unserem Sozialverhalten nicht wegzudenken, oder?

Das kann man durchaus so festhalten. Doch nicht nur gegenüber anderen verhalten wir uns manipulativ – auch uns selbst gegenüber! Untersuchungen belegen zum Beispiel, dass wir uns immer besser sehen als andere es tun. Oder um mit dem amerikanischen Sozialpsychologen David Dunning zu sprechen: „Wir neigen dazu, unsere eigene Unfähigkeit nicht zu erkennen.“

Diese These lässt sich übrigens ganz gut im eigenen Freundeskreis überprüfen. Fragen Sie dort einmal herum, wie viele Personen sich, verglichen mit Ihren anderen Freunden, für bessere Autofahrer halten. Sie werden ein statistisch unmögliches Ergebnis erhalten.

Selbst Kinder versuchen schon zu manipulieren: „Ich war´s nicht!“, heißt es, wenn die Mutter fragt, wer denn die Kommode angemalt hat. Wird uns die Fähigkeit, manipulieren zu können, bereits in die Wiege gelegt?

Hier bewegen wir uns auf schwierigem Terrain. In der Psychologie entzündet sich ja immer wieder Streit an der Frage, ob eine Verhaltensweise angeboren ist oder erlernt wurde.

Aus lerntheoretischer Perspektive würde ich das manipulative Verhalten des Kindes damit erklären, dass es vielleicht bei anderen Personen ein ähnliches Verhalten beobachtet und dieses schließlich nachgemacht hat. Genauso ist es möglich, dass das Kind das Benehmen an den Tag legt, weil es in der Vergangenheit dafür belohnt wurde. Denken Sie zum Beispiel an den Säugling, der deswegen zu schreien beginnt, weil er gelernt hat, dass ihm die Eltern dann seine Milch geben – in diesem Zusammenhang von bewusster Manipulation zu sprechen, ist vielleicht ein wenig übertrieben. Dennoch: der Säugling wird dieses Verhalten wiederholt zeigen.

Legt man stattdessen evolutionspsychologische Annahmen zugrunde, ist die Fähigkeit manipulieren zu können, vermutlich angeboren. Man geht also davon aus, dass manipulatives Verhalten in der Entwicklungsgeschichte des Menschen bestimmte Vorteile mit sich gebracht hat – zum Beispiel beim Beschaffen von Nahrung, bei der Auseinandersetzung mit Feinden oder auf der Suche nach Fortpflanzungspartnern. Auf diese Weise wurde die genetische Anlage für dieses Verhalten von Generation zu Generation weitergegeben.

Ganz klären, warum schon kleine Kinder bestimmte Verhaltensweisen zeigen, lässt es sich also nicht. Man geht aber heute davon aus, dass menschliches Verhalten immer das Ergebnis des komplexen Zusammenspiels von Sozialisation und Evolution sind.

So oder so ist Manipulation also ein fester Bestandteil unseres Verhaltensrepertoires. Trotzdem oder gerade deswegen, haben wir ständig Angst davor, selbst Opfer von Manipulationsversuchen zu werden. Kaum anders ist es zu erklären, dass schon seit Menschengedenken Verschwörungstheorien zirkulieren. Meist ist in ihnen die Rede davon, dass die Mächtigen im Hintergrund die Fäden ziehen und die Öffentlichkeit für dumm verkaufen. In der jüngeren Vergangenheit rankten sich diese Theorien immer wieder um den 11. September 2001. Wie ist das zu erklären?

Für mich ist diese Anfälligkeit für konspirative Weltanschauungen ein starkes Indiz dafür, wie wichtig uns unsere Selbstbestimmungs- und Entscheidungsfreiheit ist. Aus der Psychologie wissen wir, dass wir Versuchen, die uns darin beschränken sollen, energisch entgegentreten. Wir begegnen ihnen mit „Reaktanz“, wie es im Fachjargon heißt. Ich glaube, diese Verschwörungstheorien entwickeln sich aus einem Gefühl der Angst heraus, nicht Herr über sich selbst zu sein, sondern von außen kontrolliert zu werden.

Ist so auch die häufig allergische Reaktion zu erklären, die Sie und Ihre Fachkollegen bei vielen Menschen auslösen? Viele werfen den Werbepsychologen ja vor, ihre wissenschaftliche Expertise nur dazu zu nutzen, Verbraucher zum Kauf von Produkten zu bewegen, die sie nicht haben wollen. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf?

Zunächst einmal ist eine Beobachtung sehr interessant: die meisten Menschen sind der Überzeugung, werbliche Manipulation würde zwar bei anderen wirken, nicht aber bei ihnen selbst. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Third-Person-Effekt. Wie schon bei der Frage nach den Autofahrkünsten, manipulieren wir uns hier zunächst einmal wieder nur selbst.

Den Vorwurf, dass wir Werbepsychologen mit unserem Wissen nur Böses im Sinn haben, möchte ich gerne entkräften. Denn durch die Techniken der Werbe- und Verkaufspsychologie lassen sich ja durchaus auch gesellschaftlich wünschenswerte Ziele erreichen. In einer Studie habe ich zum Beispiel vor kurzem herausgefunden, welcher psychologische Mechanismus beim Konsum von Fairtrade-Produkten zum Tragen kommt. Dieses Ergebnis kann nun genutzt werden, um den Absatz dieser Produkte zu steigern – und das ist doch durchaus eine gute Sache.

Auch gesellschaftliche Missstände lassen sich mit werbepsychologischem Wissen beseitigen, wie Sie immer wieder betonen. Können Sie ein Beispiel geben?

Nehmen Sie das Setzen von Standards: In Österreich gilt in Sachen Organspende die Regel, dass man aktiv und offiziell bekunden muss, kein Organspender sein zu wollen. Tut man das nicht, werden im Todesfall die Organe automatisch weitergegeben und dadurch Leben gerettet. In Deutschland verhält es sich anders: hier müssen wir uns als Organspender registrieren lassen, ansonsten darf keiner die Organe entnehmen. Das hat dazu geführt, dass es hierzulande viel weniger Spender gibt – und dementsprechend weniger Empfänger.

Das gleiche psychologische Prinzip, das hinter diesem Verhalten steckt, ist in der Werbepsychologie längst bekannt. Unternehmen setzen es dazu ein, um Kunden zu binden. Die BahnCard muss man zum Beispiel aktiv kündigen, damit man nicht nach Jahresfrist wieder eine neue zugeschickt bekommt – was dazu führt, dass sie bei hunderttausenden Bahnfahrern Anfang des Jahres im Briefkasten liegt. Auf den mit der Kündigung verbundenem Aufwand haben nämlich nur die wenigsten Lust.

Ein weiteres gutes Beispiel für den gesellschaftlich sinnvollen Einsatz werbepsychologischen Wissens ist eine Anti-Raser-Kampagne. Hier sei an die „Runter vom Gas“-Kampagne erinnert, die mit Autobahnwerbeplakaten für Aufsehen sorgt und vielleicht den einen oder anderen Temposünder zur Vernunft bringen konnte.

Trotz dieser positiven Beispiele: als Konsument sollte man versuchen, eine gewisse Sensibilität gegenüber den manipulativen Techniken der Werbe- und Verkaufspsychologie zu entwickeln. Wie schafft man das?

Die Antwort auf diese Frage ist naheliegend: Bildung! Natürlich ist man besser dazu in der Lage, einen Manipulationsversuch zu erkennen, wenn man sich vorher ausführlich informiert hat. Hierzu empfehle ich zur Lektüre „Die Psychologie des Überzeugens“ von Robert Cialdini. Einen wichtigen Tipp, den der Marketingprofessor darin gibt: Gehen Sie immer wieder auf Distanz zu sich selbst! Wenn Sie in einem Verkaufsgespräch zum Beispiel plötzlich eine gewisse emotionale Unruhe verspüren, hat der Verkäufer womöglich gerade einen psychologischen Trick angewendet. Dann sollten Sie schnell versuchen, wieder die Kontrolle über sich zu bekommen.

Gibt es Menschen, die besonders anfällig für Manipulationsversuche sind?

Aus der bisherigen Forschung wissen wir, dass jene Menschen besonders empfänglich sind, die ängstlich sind oder nur über ein geringes Selbstvertrauen verfügen. Auf der anderen Seite gehen viele Menschen natürlich auch sehr bewusst das Risiko ein, manipuliert zu werden. Auch der ausgebildete Werbepsychologe wird sich womöglich auf ein Verkaufsgespräch zu einer Waschmaschine einlassen. Er weiß zwar, dass der Verkäufer geschult ist. Dennoch ist es vielleicht immer noch sinnvoller, sich beraten und schließlich vom Kauf eines bestimmten Modells überzeugen zu lassen, als sich stundenlang im Internet zu informieren.

Nun steht ja ein Tag unmittelbar bevor, an dem Manipulation ausdrücklich erlaubt ist: der 1. April. Wenn wir jemanden erfolgreich in den 1. April schicken, gibt uns das meist Genugtuung. Warum eigentlich? Welcher psychologische Mechanismus steckt dahinter?

Eine mögliche Erklärung ist, dass uns ein Gefühl der Überlegenheit überkommt, wenn wir den anderen hinters Licht führen. Man könnte hier auch von Schadenfreude sprechen.

Es könnte aber genauso sein, dass wir Spaß an der Planung eines solchen Streichs und dem damit verbundenen kreativen Denken haben. Geht unser Plan schließlich auf, finden wir das natürlich gut – und fühlen Genugtuung.

Grundbegriffe der Psychologie

Liebe, Angst, Kreativität, Stress – alltägliche Begriffe, deren psychologische Hintergründe oft nicht bekannt sind. Deshalb widmet sich adhibeo in den kommenden Wochen diesen Begriffen und lässt dazu Experten zu Wort kommen. Bisher erschienen:

  • Prof. Dr. Simon Hahnzog, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Fresenius München und praktizierender Paartherapeut, über die Liebe.
  • István Garda, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Fresenius München und Innovationsspezialist, über den Begriff „Kreativität“.
  • Prof. Dr. Katja Mierke, Wirtschaftspsychologin an der Hochschule Fresenius Köln und gesundheitspsychologische Trainerin, über den Begriff „Stress“.
  • Prof. Dr. Claudia Gerhardt, Wirtschaftspsychologin an der Hochschule Fresenius Hamburg und Positive Psychologin, über den Begriff „Glück“.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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