Medien

Wirtschaft und Management

„Man wird künftig der Unternehmenskommunikation ausgeliefert sein – die bezahlt die Show schließlich“

von Redaktion, am 25.09.2014

Vor kurzem hat Prof. Dr. Jan Rommerskirchen, Studiendekan des Masterstudiengangs Corporate Communication an der Hochschule Fresenius Köln, sein Lehrbuch „Soziologie & Kommunikation“ veröffentlicht. Darin macht er deutlich, dass PR-Arbeit ohne soziologisches Basiswissen nicht erfolgreich sein kann. adhibeo hat ihn zu dieser These genauer befragt. Teil 1 des Interviews erschien bereits am Dienstag. Im zweiten Teil erklärt Rommerskirchen, wie man den Erfolg einer PR-Maßnahme erfassen kann und warum in Zukunft Unternehmen bestimmen, über was die Medien berichten.

Den Erfolg einer PR-Maßnahme zu erfassen, ist nicht einfach. Wie lässt sich herausfinden, ob eine abgesetzte Botschaft in der Gesellschaft oder einer gesellschaftlichen Gruppe angekommen ist und was sie dort bewirkt hat?

Die Frage hat zwar eigentlich nichts mit meinem Buch „Soziologie & Kommunikation“ zu tun, aber für die Bewertung von PR sollte man sich zunächst mit Kommunikationstheorien beschäftigen. Je nach theoretischem Ansatz – sei es ein systemtheoretischer oder ein pragmatistischer Ansatz – blicken wir aus einer anderen Perspektive auf Kommunikationsprozesse und können den Erfolg und die Wirkung von Botschaften anders verstehen. Entscheidend ist der Gedanke, dass Kommunikation eine soziale Handlung ist, die deshalb die sogenannte Wirklichkeit – also das Denken und das Handeln von Menschen – verändert. Erfolgreich sind daher Botschaften, die diese Wirklichkeiten verändern.

Welche Art von Kommunikation welche Veränderungen ermöglicht, ist daher eine wesentliche Frage, nicht nur für die Theoriediskussion. Die Frage führt zum Konflikt zwischen normativen und interpretativen Paradigmen der Soziologie und ihren jeweiligen kommunikationstheoretischen Ausrichtungen – und nun sind wir doch wieder bei meinem Buch. Ohne Verständnis für die theoretischen Grundlagen bei Talcott Parsons und Niklas Luhmann auf der einen Seite beziehungsweise Ralf Dahrendorf und Jürgen Habermas auf der anderen Seite ist eine Antwort auf die Frage, wie Kommunikation erfolgreich sein kann, kaum möglich. Gute Praxis in der Unternehmenskommunikation ist ohne Theoriekenntnisse ebenso wahrscheinlich wie das Finden einer Oase in der Wüste ohne Karte – es geht, mit Glück.

Sie sprechen Niklas Luhmann an. Er behauptet, Menschen könnten gar nicht kommunizieren – einzig Kommunikation könne kommunizieren. Was meint er damit und was bedeutet das für die Arbeit von Unternehmenskommunikatoren?

Herr Luhmann war sicherlich einer der wichtigsten Soziologen des 20. Jahrhunderts und seine Theorien fanden und finden weltweit große Beachtung. Er hatte aber auch das große Talent, seine Bücher so zu schreiben, dass sie zu aktiven Interpretationen auffordern, die zumeist falsch sind. Luhmann verstand soziale Systeme, wie Unternehmen und Organisationen, als kommunizierende Einheiten, die sich durch Kommunikation nach innen festigen und nach außen abgrenzen. Derartige systemtheoretische Aussagen können uns helfen zu verstehen, warum beispielsweise Investoren mit ihrem sozial- und wirtschaftsschädlichen Handeln nicht auffallen oder Unternehmen durch Leitbilder und Markenführung Identifikationen zu erzielen hoffen.

Für die praktische Arbeit in der Unternehmenskommunikation halte ich persönlich jedoch die Konkurrenztheorie des Pragmatismus und des ihm verwandten symbolischen Interaktionismus für tragfähiger. Ihre Vertreter, wie Robert Brandom, sind in den angelsächsischen Ländern heute wesentlich wichtiger für die Diskussion. In Deutschland betreiben viele Kommunikationstheoretiker mit großer Begeisterung die Exegese des Werkes von Niklas Luhmann. Ich sehe dabei aber keine Relevanz außerhalb dieser Diskussionsrunden.

Welche Relevanz haben demgegenüber die anderen Theorien?

Der Pragmatismus kann uns dabei helfen, die Kommunikation von Unternehmen und Organisationen in einer symbolischen Welt zu verstehen. Seit den 1960er Jahren ist in den meisten westlichen Ländern der tatsächliche Bedarf an Gütern gedeckt, seitdem geht es um die Generierung von Mehrwert durch den Verkauf von Gütern und Dienstleistungen, die keiner wirklich braucht, aber als Symbole begehrt. Dies ist keine Kapitalismuskritik, schließlich verdanken wir diesem Mehrwert Luxusprobleme wie die 35-Stunden-Woche oder die Nachhaltigkeitsdebatten. Der Pragmatismus und der symbolische Interaktionismus sind wichtig, um zu verstehen, wie man den Wunsch nach Symbolen konstruiert und lenkt, um diesen Mehrwert zu erzielen. Von der Systemtheorie sehe ich zu diesem Thema keinen Beitrag.

Fernsehsender wie das ZDF und Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung galten in Deutschland lange Zeit als sogenannte Leitmedien. Über diese Medien, die gleichzeitig für einen unabhängigen Journalismus stehen, informierte sich ein Großteil der Deutschen. Mittlerweile verlieren sie an Bedeutung, Zuschauer- bzw. Leserzahlen gehen zurück. Ist die Krise des unabhängigen Journalismus gleichzeitig eine Chance für die Unternehmens- kommunikation? Was bedeutet das für die Gesellschaft?

Die Krise des Journalismus ist sicherlich auch eine Chance für die Unternehmenskommunikation. Vor zwanzig Jahren kam auf zehn Journalisten ein PR-Mann oder eine PR-Frau, heute kommt auf jeden Journalisten ein PR-Kollege. Diese Verschiebung ist nicht zu Ende und der Publizist Klaus Kocks bezeichnet die Journalisten ja seit Jahren verächtlich als „Mitarbeiter der holzverarbeitenden Industrie“, die die wenigen verbleibenden Flächen zwischen Werbeanzeigen und PR-Mitteilungen mit Druckerschwärze auffüllen müssen. Und je weniger Mitarbeiter den Damm des kritischen und intelligenten Journalismus stützen, umso größer ist die Chance der Unternehmenskommunikation auf Infiltration.

Den Unternehmen kann man dies kaum vorwerfen, sie müssen jede Chance nutzen. Die Krise haben einerseits die klassischen Medien, anderseits die Rezipienten verschuldet. Helmut Thoma, der Ex-Chef von RTL, prägte vor zwanzig Jahren den Spruch „Im Seichten kann man nicht ertrinken“ – RTL verdiente damit viele Jahre viel Geld für Bertelsmann.

Und viele Rezipienten fanden es im Seichten sehr bequem und wenig anstrengend, also ließen auch die anderen Medien auf Druck der Renditekontrolleure immer mehr Wasser ablaufen. Mittlerweile kann man leider den Schlick und den Dreck am Boden sehen und dieser Anblick gefällt einigen Menschen nicht mehr. Es gibt also Hoffnung auf das Überleben der Menschheit.

Gibt es also doch eine Zukunft für die Qualitätsmedien?

Nur bedingt. Im Fernsehen würde ich gerne an die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und einer freien kommerziellen Presse glauben. Die Zukunft des intelligenten Rundfunks wird aber möglicherweise beim hochpreisigen Pay-TV liegen, die anspruchsvolle Presse wird erheblich teurer. Wer sich diese Angebote nicht leisten kann oder will, wird künftig im Rundfunk und in der Presse der Unternehmenskommunikation ausgeliefert sein – die bezahlt die Show schließlich. Knowledge-Gap heißt die Theorie dazu, der Vorsprung einiger Weniger wird wachsen, die Abhängigkeit der meisten Menschen wird größer. Für die Gesellschaft ist das keine gute Perspektive, totalitäre Staaten basieren auf dieser wachsenden Diskrepanz.

Interessant finde ich heute auch die Vorstellungen einiger Medienstudenten an unserer Hochschule: Ich erkläre den Studierenden, dass die Mitarbeiter der klassischen Medien schlecht entlohnt werden und dass die neuen Medien mit Werbung noch erheblich weniger bis gar kein Geld verdienen. Trotzdem finden viele Studierende die Gratisangebote der neuen Medien super. Die Frage, wie die Studierenden in ein paar Jahren als Mitarbeiter der schönen neuen Medienwelt ihre Miete und ihr Leben finanzieren wollen, konnte mir bislang noch keiner von ihnen beantworten. Ich würde mich über Vorschläge von Seiten der Studierenden sehr freuen!

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

0 Kommentare

Ihr Kommentar

Sie möchten Sich an der Diskussion beteiligen? Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!
Bitte beachten Sie dabei unsere Netiquette. Vielen Dank.

Schreiben Sie einen Kommentar