Mann in den Bergen

Warum brauchen wir Urlaub?

Wolkenloser Himmel, strahlender Sonnenschein und perfekte Badetemperaturen – wer jetzt im Büro sitzt und davon tagträumt, der ist dem Volksmund zufolge urlaubsreif. Doch was bedeutet das eigentlich und wieso brauchen wir alle Urlaub? Prof. Dr. Nikolai Egold, Diplom-Psychologe und Leiter der Psychology School an der Hochschule Fresenius in Frankfurt, erklärt, warum ein gut geplanter und bewusst erlebter Urlaub für eine ausgeglichene Work-Life-Balance wichtig ist.

IN DER REGEL ARBEITEN WIR IN DEUTSCHLAND FÜNF TAGE IN DER WOCHE UND HABEN ZWEI TAGE FREI. WARUM BRAUCHEN WIR DANN EIGENTLICH NOCH URLAUB?

Entscheidend ist nicht die offizielle oder gesetzlich geregelte Arbeitszeit. Laut Statistischem Bundesamt arbeiten durchschnittlich elf Prozent aller Vollzeiterwerbstätigen mehr als 48 Stunden pro Woche und damit mehr als die gesetzlich vorgeschriebene Zeit; bei den 55- und 64-Jährigen sind es sogar 14,4 Prozent. Hinzu kommt die zunehmende Digitalisierung, welche die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend verwischt, das heißt E-Mails und Anrufe werden auch am Wochenende oder nach Feierabend bearbeitet. Berufstätige sind daher oft rund um die Uhr erreichbar.

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass von 100 Beschäftigten fast die Hälfte (statistisch gesehen 46,5 von 100) Frauen sind, die häufig in Teilzeit arbeiten und gleichzeitig die Aufgaben von Kinderbetreuung und im späteren Lebensalter die Pflege von Angehörigen übernehmen. Frauen sind somit öfter einer Doppelbelastung ausgesetzt. Gerade Erziehungs-, Betreuungs- und Pflegeaufgaben ruhen nicht, sondern sind auch am Wochenende fortzuführen.

So gesehen trifft die Vorstellung einer Fünf-Tage-Woche, die wir mit berufsbezogenen Tätigkeiten verbinden, heute nur für einen geringen, vor allem den männlichen Teil der Erwerbstätigen zu.

Im Urlaub haben wir die Gelegenheit, von einer echten Erholung zu profitieren, sofern berufsbezogene Tätigkeiten auf ein Minimum reduziert und die Erreichbarkeit nur in Notfällen genutzt wird. Wichtig ist, dass wir „wirklich abschalten“ können und den Urlaub bewusst genießen, um Zeit gemeinsam mit den Menschen zu verbringen, die uns wichtig sind. Urlaub ist also essentiell für unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit.

WIE KÖNNEN WIR DENN IM URLAUB „WIRKLICH ABSCHALTEN“? WENN WIR BEI EINER BERGERKLIMMUNG ÜBER UNS HINAUSWACHSEN, AUF SAFARI GEHEN ODER EINFACH ZUHAUSE BLEIBEN UND URLAUB AUF BALKONIEN MACHEN?

Es gibt zwei entscheidende Aspekte für einen erholsamen Urlaub. Zum einen ist eine gute Vorbereitung wichtig. Dabei spielt nicht nur die Vorfreude eine Rolle, sondern auch, dass Unerledigtes nicht mit in den Urlaub genommen wird, da unsere Gedanken ansonsten immer wieder zu diesen unerledigten Aufgaben zurückkehren. Eine gute Planung reduziert zudem mögliche Belastungen, die entstehen, wenn man noch eben schnell ein Bahnticket kaufen muss, ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung buchen oder die Versorgung der Haustiere regeln muss.

Ein anderer Aspekt ist die bewusste Vorfreude. Es macht also Sinn, sich damit zu beschäftigen, worauf man sich im Urlaub freut. Wichtig dabei ist, keine unrealistischen Erwartungen aufzubauen, um nicht enttäuscht zu werden. Sich etwa romantische Stunden zu zweit in der Abendsonne vorzustellen, wenn die Kinder mit in den Urlaub fahren, könnte so eine unrealistische Vorstellung sein.

Weniger sinnvoll ist es, sich für den Urlaub sehr viele Unternehmungen vorzunehmen. Das führt oft dazu, dass sich Menschen gestresst fühlen, weil sie wieder den gleichen Termindruck verspüren wie bei der Arbeit. Urlaub bedeutet daher vor allem die Freiheit zu entscheiden, welchen Aktivitäten wir nachgehen wollen – und das darf ruhig spontan und stimmungsabhängig passieren. Ein weiterer Aspekt für einen sinnvollen Urlaub wäre eine gewisse Abwechslung an Aktivitäten, zum Beispiel neben der Erholung am Strand einen Ausflug zu machen und sich vor allem dem zu widmen, wofür im Alltag wenig Zeit bleibt. Dabei sollte es im Urlaub durchaus Herausforderungen geben, wie etwa eine unbekannte Gegend zu erkunden. Forscher haben herausgefunden, dass kleinere Herausforderungen im Urlaub kognitive Ressourcen aufbauen, so dass sozusagen die geistige Batterie wieder aufgeladen wird.

WANN IST DENN EIN ARBEITNEHMER SO RICHTIG „URLAUBSREIF“?

Menschen sind individuell und haben ein unterschiedliches Empfinden von Belastungen – was für den einen eine lösbare Herausforderung darstellt, ist für den anderen purer Stress. Grundsätzlich brauchen wir immer dann Erholung, wenn wir das Gefühl haben, dass uns die Arbeit nur noch fordert und mit Gefühlen von Gereiztheit oder Müdigkeit einhergeht, aber kaum mehr Freude oder Zufriedenheit bereitet. Wenn dieser Zustand auch nach einem Wochenende andauert, dann sind wir „so richtig urlaubsreif“.

Wissenschaftlich betrachtet, könnte das Phänomen, dass Menschen im Urlaub krank werden, als Zeichen dafür gewertet werden, dass jemand dringend Erholung brauchte. Denn in diesem Fall wird durch den „plötzlichen“ Urlaub zusätzlicher Stress ausgeübt, der dann durch die ebenso plötzlich aufkommende Entspannung die Abwehrkräfte hemmt. Und dann werden wir anfällig für Infektionen.

WIE OFT UND WIE VIEL URLAUB BRAUCHT DER DURCHSCHNITTSMENSCH?

Studien zufolge sind die Effekte von Urlaub – zum Beispiel erhöhte Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit – nur bis zu vier Wochen im Anschluss nachweisbar und zudem eher gering. Weiterhin zeigen Forschungsergebnisse, dass die Dauer des Urlaubs für die positiven Effekte keine Rolle spielt. Daraus könnte man schließen, dass ein Sommerurlaub, der etwas länger dauert, und mehrere kleinere Auszeiten die optimale Mischung zur Erholung sind, damit die positiven Effekte im Jahr wiederholt werden können.