Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

„Man sollte Fehler als notwendigen Bestandteil innovativer Leistungen begreifen“

von Redaktion, am 28.07.2016

Arbeitnehmer und Studierende fühlen seine Präsenz derzeit am deutlichsten: das Sommerloch breitet sich langsam aus! In den urlaubsverwaisten Büros hierzulande geht es vergleichsweise entspannter zu, Studierende genießen nach der stressigen Prüfungsphase ihre Semesterferien. Eine Zeit, in der deutlich weniger Druck zu spüren ist, hat begonnen – auch eine Zeit, um besonders innovativ zu sein? Schließlich wird immer wieder behauptet, unter Druck könne man nicht kreativ sein. adhibeo hat den Psychologen und Kreativitätsexperten István Garda gefragt, was dran ist.

Herr Garda, man hört häufig, Druck vernichte Kreativität. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass man unter Druck erst richtig kreativ sein könne. Was stimmt denn nun?

Kreativitätsforscher sind hier unterschiedlicher Meinung. Einerseits wird immer wieder belegt, wie Zeitdruck und geringer Handlungsspielraum innovatives Denken in Unternehmen unterbinden. Andererseits ist es erstaunlich, wie im Krieg die technologische Entwicklung sprunghaft voranschreitet. So war das Flugzeug 1914 als Waffe noch unbekannt, 30 Jahre später war es dann der entscheidende Kriegsfaktor und es gab bereits erste Düsenjäger.

„Kreativität in kriegerischen Zeiten: Wie der französische Kampfpilot Roland Garros eine Innovationskette in Gang brachte“

  • Im Ersten Weltkrieg hatte der französische Flugzeughersteller Saulnier die Idee, Flugzeugpropeller mit Geschossabweisern auszustatten, damit feindliche Kugeln abgelenkt werden können. Die meisten Kampfpiloten waren nicht begeistert: ihre Maschinen hatten nun mehr Gewicht, waren aber nur von vorne und in geringem Maße geschützt. Die Idee wurde deshalb nie umgesetzt.
  • Das Fliegerass Roland Garros sah in der Idee die Lösung für ein anderes Problem. Die Maschinengewehre der Flugzeuge waren damals am Flügel montiert, man konnte damit nur schlecht zielen. Garros montierte die Geschossabweiser von Saulnier kurzerhand an der Innenseite seines Propellers und war so in der Lage, durch den eigenen Propellerkreis hindurchzuschießen, ohne dabei Schaden anzurichten. Einige Geschosse wurden dabei zwar durch den Propeller abgelenkt, der Rest lag aber gut im Ziel. Denn Garros hatte nun die Waffe direkt vor sich und konnte hervorragend zielen. Er schoss in kurzer Zeit sechs deutsche Flugzeuge ab und eroberte praktisch im Alleingang für Monate die Lufthoheit.
  • Im April 1915 dann musste Garros hinter den feindlichen Linien notlanden – seine Erfindung fiel den Deutschen in die Hände. Doch als diese die Idee des Feindes an ihren eigenen Flugzeugen ausprobierten, kam es zu Problemen: Die Geschosse durchschlugen die Abweiser und zerstörten die Propeller. Der Grund: Die Schutzvorrichtungen konnten französischen Kupfermantelgeschossen standhalten, nicht aber den effektiveren deutschen Chrommantelgeschossen. Die Erfolgsgeschichte von Garros` Idee schien zu Ende geschrieben. Doch der Problemdruck aufgrund der französischen Überlegenheit sorgte auf deutscher Seite dafür, dass man sich weiter mit ihr beschäftigte.
  • Anthony Fokker, ein holländischer Ingenieur in deutschen Diensten, wurde schließlich beauftragt, das Problem zu lösen. Das Ziel war klar: mit deutschen Maschinengewehren sollte durch Flugzeugpropeller geschossen werden können. Konfrontiert mit dieser Herausforderung, kam Fokker auf eine geniale Idee: Er baute in die Flugzeuge Synchronisatoren ein. Dank dieser Vorrichtungen, die den Propellermotor direkt mit dem Abzug des Maschinengewehrs verbinden, war es möglich, eine Kugel immer nur dann abzufeuern, wenn kein Propellerblatt im Weg war. Damit war das Kräftegleichgewicht im deutsch-französischen Luftkrieg wiederhergestellt. Vorerst.

Dabei sollte man meinen, dass der Druck in Kriegszeiten besonders hoch ist. Jeder Fehler kann schließlich die Niederlage und vielleicht sogar den eigenen Tod zur Folge haben. Ist das nicht ein Widerspruch? 

Nicht unbedingt, wenn man sich anschaut, wie genau der Druck hier wirkt. Nehmen wir aber zunächst ein Beispiel aus Friedenszeiten: den VW-Abgasskandal. In der Wirtschaftswelt von heute gibt es einen hohen Perfektions- und Erfolgsdrang. In Unternehmen werden anspruchsvolle Ziele vorgegeben und gleichzeitig Fehler kaum toleriert. Das führt einerseits dazu, dass Mitarbeiter lieber keine Risiken eingehen – oder in der Not auf schädliche Weise kreativ werden, wie es bei VW der Fall war. Der VW-Skandal ist deshalb ein sehr schönes Beispiel für kreatives Out-of-the-Box-Denken – zugegebenermaßen waren die positiven Effekte daraus nur sehr kurzfristig zu beobachten.

Wie funktioniert Kreativität in Kriegszeiten? 

Wie Sie schon richtig gesagt haben, herrscht im Krieg natürlich gewaltiger Erfolgsdruck. Das hat aber auch zur Folge, dass viele Ressourcen auf das Problem fokussiert werden. Gleichzeitig gibt es, wenn man wie im Krieg fast ständig am Abgrund steht, auch eine vergleichsweise höhere Fehlertoleranz – und das ist entscheidend!

Um auf das Flugzeug-Beispiel zurückzukommen: In der aktuellen Lage wäre es in Deutschland völlig undenkbar, einen Testpiloten in ein neu entwickeltes, noch nicht sicheres Flugzeug zu setzen, selbst wenn die Erkenntnisse des Testflugs sehr wertvoll wären. Im Zweiten Weltkrieg ist man diese Risiken dagegen ständig eingegangen.

Eine solche Situation lässt sich in Friedenszeiten allerdings nur schwerlich simulieren.

Das stimmt und darüber hinaus ist Krieg natürlich auch kein wünschenswerter Zustand. Trotzdem sollte man aus dem, was in kriegerischen Zeiten im Zusammenhang mit Kreativität zu beobachten ist, seine Lehren ziehen. Historisch dokumentierte Beispiele, wie der Fall des Luftfahrtpioniers Roland Garros, zeigen auf, wie kreative Leistungen zustande kommen können. Garros, der im ersten Weltkrieg als französischer Kampfpilot gekämpft hat, steht exemplarisch für das sogenannte Chancendenken. Dieses Denken wirkt dem Phänomen entgegen, dass Menschen für gewöhnlich die Schwierigkeiten und Nachteile neuer Ideen viel eher sehen als das verborgene Potenzial.

Was kann ich tun, um dieses Chancendenken zu fördern und welche Lehren lassen sich noch aus den Beispielen ziehen?

Wie schon angesprochen, haben es neuartige Ideen nicht leicht: die Gegenargumente sind dem Entwickler meist sofort gedanklich parat, die Ablehnung der Idee erfolgt sozusagen automatisch, reflexhaft. Das ist der Weg, den wir normalerweise beschreiten. Wir sollten diesen Weg aber meiden und uns stattdessen fragen: Wie könnte die Idee trotzdem funktionieren? Welche Teile der Idee haben vielleicht Potenzial? Auf diese Weise schöpft man das kreative Potenzial viel stärker aus.

Andererseits – auch das lernen wir aus den Kriegsbeispielen – ist zur Förderung von Kreativität auch eine gewisse Fehleroffenheit erforderlich. Man sollte Fehler – ganz generell – als notwendigen Bestandteil innovativer Leistungen begreifen, anstatt sie zu bestrafen. Diesen Gedanken sollten vor allem Unternehmen, die von ihren Angestellten kreative Leistungen einfordern, berücksichtigen: Die Mitarbeiter müssen sich trauen, Neues auszuprobieren, wohl wissend, dass es auch schiefgehen kann. Und sie dürfen dabei keine Angst vor Bestrafungen haben. Ohne Fehler keine Innovation.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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