Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

„Unsere Kreativität ist ein Wettbewerbsvorteil“

von Redaktion, am 27.02.2014

Ob in den Reden von Wirtschaftsbossen und Politikern oder im Gespräch mit Freunden – der Begriff „Kreativität“ wird überall und ständig verwendet. Woran liegt das? Warum genießt er einen so hohen Stellenwert? Im zweiten Teil unserer Serie „Grundbegriffe der Psychologie“ nimmt István Garda, Psychologe und Kreativitätsexperte an der Hochschule Fresenius München, zu diesen Fragen Stellung – und verrät, wie man mit Hilfe von Kreativitätstechniken der Blickfang auf der nächsten Karnevalsparty wird.

Den Begriff „Kreativität“ findet man heute nahezu überall: Jedes Unternehmen, das etwas auf sich hält, rühmt sich seines kreativen Arbeitsklimas, in den meisten Stellenausschreibungen wird vom Bewerber Kreativität gefordert. Im Privatleben will man seine Kreativität beim Einrichten der Wohnung oder bei ganz alltäglichen Aufgaben, wie dem Kochen, zeigen. Dazu passt auch, dass rund drei Viertel der Deutschen es im Leben für erstrebenswert halten, „die eigene Phantasie und Kreativität zu entwickeln“, wie es in einer Studie heißt. Nicht zuletzt gilt es auch beim Sport, kreativ zu agieren – weshalb beim Fußball immer jene Spieler die größten Stars sind, denen dieses Attribut zugeschrieben wird. Warum hat Kreativität bei uns einen derart hohen Stellenwert?

Dafür sehe ich vor allem drei Gründe. Erstens, ist die individuelle Selbstverwirklichung, wie von der Humanistischen Psychologie postuliert, das höchste Bedürfnis vieler Menschen. Die Kreativität wird allgemein als eine notwendige Voraussetzung dafür angesehen. Gleichzeitig ist der Begriff sehr attraktiv, man kann sich gut mit ihm schmücken. Es geht also auch um Außenwirkung: Ein Mensch, dem das Etikett „kreativ“ anhaftet, wird auch eher als intelligent, selbstbestimmt und erfolgreich angesehen.

Zum Zweiten hat die Wirtschaft den Begriff „Kreativität“ für sich entdeckt: Das Weltwirtschaftsforum in Davos fand 2006 unter dem Motto „Der kreative Imperativ“ statt. Deutsche Top-Manager und Vorstandsvorsitzende werden nicht müde, die Kreativität ihrer Mitarbeiter zu loben. Denn sie gilt als entscheidender Faktor im globalen Wettbewerb.

Der dritte Aspekt ist der grundlegendste: Kreativität ist eine definierende Eigenschaft des Menschen. Sie ist die Voraussetzung des technologischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritts. Diese elementare Rolle der Kreativität ist spätestens seit der Antike im öffentlichen Bewusstsein verankert. Ein Beleg dafür ist der Prometheus-Mythos: Der den Göttern gestohlene Funke steht für die schöpferische Kraft und sorgt für den Aufstieg des Menschengeschlechts. Solche „Feuerbringer-Mythen“ sind unabhängig voneinander in vielen Kulturen entstanden. Ein gutes Beispiel bietet auch die Ilias von Homer. Im Kampf gegen Troja setzen die Griechen viele tapfere, starke und geschickte Helden ein. Dennoch gelingt es ihnen über Jahre nicht, die belagerte Stadt einzunehmen. Den Erfolg bringt schließlich ein höchst kreativer Ansatz des Odysseus: Das Trojanische Pferd. Liebe, Angst, Kreativität, Stress – alltägliche Begriffe, deren psychologische Hintergründe oft nicht bekannt sind. Deshalb widmet sich adhibeo in den kommenden Wochen diesen Begriffen und lässt dazu Experten zu Wort kommen. Bisher erschienen:

  • Prof. Dr. Simon Hahnzog, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Fresenius München und praktizierender Paartherapeut, über die Liebe.

Der Begriff „Kreativität“ genießt also zu Recht einen so hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Doch welche Gefahren resultieren aus seiner inflationären Verwendung?

Der Begriff erleidet dasselbe Schicksal wie andere häufig verwendete Begriffe: er nutzt sich ab, verliert an Schärfe und Bedeutung und wird häufig nur noch zu dekorativen Zwecken genutzt. Schließlich entbrennt ein Streit um die Deutungshoheit: Künstler, Philosophen, Politiker, Manager – sie alle beanspruchen den Begriff „Kreativität“ für sich, meinen dabei aber nicht das gleiche.

Muss man Klarheit in dieses Chaos bringen, indem man eine neue Debatte um eine einheitliche Definition anstößt?

Hierfür sehe ich keinen Grund. Warum sollen wir unsere Energie darauf verwenden, statt auf die kreative Tätigkeit selbst? Die Bedeutung dieses Begriffs variiert ohnehin je nach Zusammenhang und Anwendungsbereich. Sie kann sowohl Eigenschaft eines Menschen als auch eines Produkts sein. Und ein Malwettbewerb unter Schülern ist eben mit der systematischen Ideengenerierung zu einem technischen Produkt nicht vergleichbar – beides sind aber kreative Prozesse.

Sie behaupten, die Fähigkeit zum kreativen Denken sei in der westlichen Welt besonders stark ausgeprägt und somit auch ein wirtschaftlicher Standortvorteil. Warum haben wir anderen Regionen der Welt in Sachen Kreativität etwas voraus?

Zunächst möchte ich vorausschicken, dass es keine wissenschaftlichen Hinweise gibt, dass Bewohner bestimmter Regionen oder Angehörige bestimmter Kulturen von Natur aus kreativer sind als andere. Dennoch existiert gerade in Europa eine lange Tradition des kritischen Denkens. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Errungenschaften der Aufklärung zu nennen: Diskursfähigkeit, Meinungsfreiheit, kritisches Denken – dank ihrer ist man bei der Ausschöpfung des kreativen Potentials in Europa sehr weit.

Historisch eher autoritär geprägte Gesellschaften haben hier dagegen klassischerweise Probleme. Das konnte ich auch immer wieder in meinen Workshops beobachten, in denen Angehörige dieser Gesellschaften anfangs ihre Schwierigkeiten mit non-konformem Denken hatten.

Unsere Kreativität ist daher tatsächlich ein Wettbewerbsvorteil. Es ist wichtig, dass wir uns das bewusst machen und diese Ressource weiter fördern. Ein auf pure Effizienz getrimmtes Bildungssystem, in dem Schulen und Hochschulen zu bloßen Lernfabriken verkommen, die kritisches Denken nicht aktiv fördern und keinen Platz für freie Entfaltung lassen, ist nicht erstrebenswert.

Trotz des kreativen Klimas: Auch in der westlichen Hemisphäre zweifeln viele Menschen am eigenen kreativen Leistungsvermögen – und besuchen deshalb Kreativitätskurse oder -workshops, von denen heute so viele angeboten werden. Kann man Kreativität tatsächlich erlernen und ist die Teilnahme an solchen Kursen hierfür der richtige Weg?

Ob man Kreativität erlernen kann, darüber ist sich die Wissenschaft uneins. Einigkeit herrscht aber darüber, dass man den Umgang mit Kreativität fördern kann – und hierfür eignen sich eben auch Workshops und Trainings. Leider treiben in diesem Bereich selbsternannte Gurus und Pseudowissenschaftler ihr Unwesen, oft sind auch die Trainer fachfremd. Deshalb sollte man eine Angebotsbeschreibung genau überprüfen und sich dabei folgende Fragen stellen: Erstens, hat der Trainer einen wissenschaftlichen Hintergrund und spezifische Arbeitserfahrung im Bereich der Innovation? Zweitens, sind praktische Übungen Teil des Angebots? Die Stiftung Warentest hat hier zum Beispiel herausgefunden, dass in vielen Kreativitätstrainings die Inhalte unsinnigerweise per Frontalunterricht vermittelt werden. Und drittens, ist der Kurs transferorientiert, das heißt, kann ich das, was dort vermittelt wird, auch auf meine eigenen Probleme anwenden?

Was muss man tun, wenn man im Alltag mal eine kreative Idee benötigt? Wie kann man seine Kreativität anregen?

Interessanterweise berichten die meisten Menschen, dass sie dann am kreativsten sind, wenn sie gerade nicht gezielt nach Ideen suchen und stattdessen Tätigkeiten nachgehen, bei denen die geistige Beanspruchung nicht hoch ist: Duschen, Bügeln, Joggen. Gemäß der Vier-Phasen-Theorie der Kreativität ist dafür der sogenannte Inkubationseffekt verantwortlich: Wenn eine intensive Auseinandersetzung mit einem Problem nicht zur Lösung führt, kommt einem häufig später, wenn man sich bereits mit etwas anderem befasst, scheinbar beiläufig die Idee.

Obwohl diese Theorie als Ganzes umstritten ist, gibt es zum Element der Inkubation positive Befunde. Daher kann man das bewusst einsetzen, in dem man sich zwar intensiv mit dem Problem befasst, dann aber nicht krampfhaft eine Lösung erzwingt, sondern gedanklich auf Abstand geht und etwas anderes macht. Falls die Idee nicht auftaucht, setzt man sich wieder mit dem Problem auseinander, am besten diesmal aus einem neuen Blickwinkel, und geht dann erneut auf Abstand.

Bald erreicht die närrische Zeit ihren Höhepunkt, im ganzen Land feiern wieder die Leute – die meisten sind dabei verkleidet. Wer ein besonders kreatives Kostüm trägt, der kann schon mal zum Star der Party werden. Welchen Rat können Sie Personen geben, die dieses Ziel anstreben? Die Reizwortmethode ist eine der klassischen Kreativitätstechniken. Unser Beispiel zeigt, wie man in nur fünf Schritten zum außergewöhnlichen Kostüm kommt:

  • Zufallswort im Wörterbuch: Scheuche
  • Assoziationen: schwarz, wind, furchteinflößend, menschengemacht, Vertreibung, Lumpen, abgerissen…
  • Assoziationen zu „schwarz“: matter Glanz, Tod, Dunkelheit, Teer, Nacht, Eleganz, Begräbnis, …
  • Assoziation zu „Lumpen“: Bettler, Armut, Mittelalter, Recycling, Lumpensammlung…
  • Mögliche Verkleidungsidee aus der Kombination von „Mittelalter“ und „Tod“: Ein Pestkranker oder, anspruchsvoller, die Verkörperung der Pestseuche.

Ich empfehle den Einsatz von einfachen, aber wirksamen Kreativitätstechniken. Die Provokationstechnik funktioniert beispielsweise schon mit einer einzigen Frage, die man sich selbst stellt. Ich frage mich nicht, „Was passt zu mir?“, sondern im Gegenteil: „Was passt überhaupt nicht zu mir?“. Das kann ich nun mit einem Perspektivenwechsel verbinden: Ich gehe gedanklich gute Freunde durch und versuche diese Frage aus deren Perspektive zu beantworten. Dabei sollten einige außergewöhnliche Ideen entstehen.

Oder ich probiere es mit der Reizwortmethode. Hier schlage ich nach dem Zufallsprinzip irgendeine Seite in einem Wörterbuch auf und wähle dort das oberste Wort auf der linken Seite aus. Jetzt gilt es zu assoziieren, das heißt, Begriffe zu sammeln, die mir bei diesem Wort in den Sinn kommen. Habe ich sechs bis zehn Begriffe, wähle ich drei oder vier davon aus und bilde zu diesen jeweils erneut Assoziationen. Auf diese Weise erhalte ich die sich immer weiter spreizenden Verästelungen eines Assoziations-Baumes. Somit ist ein großer Bereich von Möglichkeiten aufgespannt. Nun sollte ich versuchen, die außergewöhnlichen Begriffe auszuwählen und sie eventuell auch miteinander zu kombinieren. Ist eine Idee entstanden, die mich begeistert, bin ich aber noch nicht am Ziel: Nun beginnt die Umsetzung der Idee, also ein neuer kreativer Prozess.

Über den Autor

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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