Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

Entlassen ins stürmische Tal

Elnur/Fotolia

von Redaktion, am 26.01.2015

Thomas Middelhoff war einer der mächtigsten Manager Deutschlands. Als Vorstandsvorsitzender des Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor hat er zwischen 2005 und 2009 in der ersten Liga der Wirtschaftsbosse mitgespielt – und das wohl nicht immer ganz gesetzeskonform. Jetzt sitzt Middelhoff im Gefängnis und wird dort aller Voraussicht nach auch die nächsten Jahre bleiben. Ein tiefer Absturz, der in der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte seinesgleichen sucht.

In den wenigsten Fällen enden erfolgreiche Managerkarrieren in einem derartigen Fiasko, denn in den wenigsten Fällen wiegen die berufstechnischen und moralischen Verfehlungen so schwer, wie in der Causa Middelhoff. Und während sich die Medien auf diese skandalträchtigen Geschichten stürzen, wird darüber hinaus fast vergessen, dass es auch Top-Manager gibt, die nicht aufgrund krimineller Machenschaften, sondern auf ganz legale Weise ihren Job verlieren und danach teilweise wieder ganz von vorne beginnen müssen. In der heutigen Arbeitswelt ist das eher die Regel als die Ausnahme.

Diesen Umstand nahm eine Forschergruppe der HPO Research Group in Zusammenarbeit mit der Personalberatung von Rundstedt zum Anlass, um zu untersuchen, wie die betroffenen Manager ihren Karriereknick psychisch und emotional verarbeiten. Jörg Bauer, Absolvent der Hochschule Fresenius Köln, war an diesem spannenden Forschungsprojekt beteiligt, hat in dessen Rahmen seine Masterarbeit geschrieben. Im Interview berichtet er von seinen Erlebnissen während der Projektphase und nennt die wichtigsten Ergebnisse.

Zunächst einmal Glückwunsch zu Ihrem Masterabschluss! Gefallene Helden: Kognitionen, Emotionen und Bewältigungsstrategien von Senior-Executives in ungewollten Umbruchphasen“ – schon der Titel Ihrer Arbeit lässt ein spektakuläres Thema vermuten. Wie sind Sie darauf gestoßen?

Vielen Dank. Ich schätze, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Herr Dr. Heidbrink, einer meiner Dozenten im Master Wirtschaftspsychologie, hat mich kurz vor Beginn der Bearbeitungsphase für die Masterarbeit angesprochen. Er hat mich gefragt, ob ich meine Thesis nicht im Rahmen des von ihm mitbetreuten Forschungsprojekts „Top-Manager in ungewollten Umbruchphasen“ schreiben will. Ich war sofort begeistert! Schließlich lassen Top-Führungskräfte nur selten Wissenschaftler so nah an sich ran. Dank der Kontakte von von Rundstedt, die ja auch mit im Boot saßen, war aber klar: bei diesem Projekt wird es klappen.

Sie waren dann tatsächlich ganz nah dran, waren dabei, als die Manager im Rahmen qualitativer Interviews befragt wurden. Wie war das für Sie?

Für mich persönlich war das eine tolle Erfahrung. Ich konnte den Fragekatalog konzipieren und war bei den meisten der insgesamt 21 Interviews, die jeweils rund zwei Stunden gedauert haben, mit dabei. Mich hat sehr überrascht, wie offen und emotional die Befragten über ihre Erlebnisse und deren Verarbeitung gesprochen haben. Am Ende der empirischen Phase war mir klar: Mein Stereotyp des knallharten Top-Managers hat sich nicht bestätigt.

Wie sah dieser Stereotyp aus?

Naja, das, was man mächtigen Bossen eben nachsagt: Sie sind kontrolliert, zeigen kaum Gefühle, haben kräftige Ellenbogen und ein mächtiges Ego. Dazu natürlich das Vorurteil, es ginge diesen Leuten immer nur ums Geld. Ganz klar, diese Personen gibt es auch. Aber man sollte von den Einzelfällen, die in der Öffentlichkeit und in den Medien diskutiert werden, nicht auf die Allgemeinheit schließen. Das ist mir nach diesem Projekt klarer denn je.

Zurück zur Untersuchung. Welche Kriterien mussten die Probanden erfüllen, damit sie in Ihre Stichprobe aufgenommen werden konnten?

Es gab im Wesentlichen drei Kriterien, die dabei eine Rolle gespielt haben: Erstens, die Person sollte eine gewisse persönliche und zeitliche Distanz zu der ungewollten Umbruchphase, also dem Jobverlust, haben. Zweitens musste die Person zum Zeitpunkt des Jobverlusts in der ersten oder zweiten Managementebene eines mittelgroßen oder großen Unternehmens tätig gewesen sein. Und drittens: es wurden nur Personen berücksichtigt, die mindestens zwanzig Jahre Berufserfahrung haben.

Was sind die zentralen Ergebnisse der Untersuchung? Wie gehen die Top-Manager mit ihrer Entlassung um?

Die Verarbeitung der Entlassung verläuft – das kann man nach der Auswertung der Interviews sagen und so ist es auch in meiner Masterarbeit nachzulesen – grob in fünf Phasen (siehe Abbildung weiter unten, Anm. d. Red.). Am Anfang haben die Personen ihre Stellung noch inne, manche sehen am Horizont aber schon dunkle Wolken aufziehen – die Zeichen stehen auf Entlassung und man versucht nun, sich auf dieses Ereignis bestmöglich vorzubereiten oder den Bock doch noch mal umzustoßen.

Dann ist der Tag der Entlassung da. Für einige kommt die Freistellung dann doch gänzlich unerwartet: Ein Befragter erhielt die schlechte Nachricht per Telefon – im Urlaub. Mit der Entlassung wird Phase zwei eingeläutet: In Abhängigkeit von den Vorbereitungsmöglichkeiten löst der Jobverlust einen schwächeren oder stärkeren emotionalen und psychischen Schock aus. Die Betroffenen berichten, dass sie in dieser Zeit extrem durcheinander sind, teilweise nicht mal mehr in der Lage sind, Auto zu fahren.

Doch dann richtet man sich kurz darauf wieder auf. Die Betroffenen besinnen sich auf ihre Stärken, schöpfen aus dem bisher Erreichten neuen Mut und glauben daran, aufgrund des eigenen Netzwerks schnell wieder in vergleichbarer Position Fuß fassen zu können. Wir nennen diese dritte Phase „Ruhe vor dem Sturm“ – denn leider ist die Krise nach diesem kurzen Aufrappeln noch nicht überstanden.

Trotz ihres Lebenslaufs und ihrer Kontakte finden die geschassten Top-Manager keinen guten Job?

Nein, in den meisten Fällen bleibt die Realität hinter den Erwartungen zurück. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom Phänomen der Wiedereinstiegsillusion. Diese Illusion – und das ist eines der interessantesten Ergebnisse – stürzt die Betroffenen in ein zweites Tal, das viel länger dauert, als man annehmen würde. Die Befragten berichten in diesem Zusammenhang, wie schwierig es ihnen fiel, eine neue Beschäftigung zu finden. Für Menschen, die ganz oben waren, ist gerade die Erfahrung, nicht mehr begehrt zu sein, ein harter Schlag. Schließlich erkennen sie aber, dass ein Ausweg aus der Krise nur gelingt, wenn man sich mit sich selbst, den eigenen Werten und Zielen intensiv auseinandersetzt.

Erst nach dieser Zeit der Neuorientierung – die in unserem Modell der Phase vier entspricht – klappt es mit dem beruflichen Neuanfang. Der Sturm verzieht sich, die Wolken brechen wieder auf, um im bisherigen Bild zu bleiben. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Personen wieder einen Job im Top-Management annehmen. Vielmehr hat in Phase vier ein Selbstreflektionsprozess stattgefunden, der häufig veränderte berufliche Vorstellungen zur Folge hat. Die Interviewten haben jedenfalls alle angegeben, mit dem neuen Leben gleich zufrieden oder sogar zufriedener zu sein als zuvor.

Dennoch gibt es bestimmt minimale, interindividuell variierende Unterschiede bei der Verarbeitung der Krise. Wovon hängt es ab, wie schnell eine Person wieder auf die Beine kommt?

Hier deuten die Ergebnisse darauf hin, dass der Faktor Selbstkomplexität eine große Rolle spielt. Wer sich nur über seine Managertätigkeit und seinen beruflichen Erfolg definiert, ist mit dem Jobverlust überfordert. Ganz anders bei Personen, die facettenreicher, komplexer sind: Wer sich als Vater, Mutter, Sportler oder Musikliebhaber versteht, tut sich leichter, die Krise zu überwinden.

Man sollte also vor lauter Karrierefixiertheit sein Privatleben nicht zu sehr vernachlässigen – in Zeiten einer gestiegenen Unsicherheit im Berufsleben vielleicht der wichtigste Hinweis, der sich aus der Studie ableiten lässt.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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