Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

Zeit ist Geld? – Geld ist Zeit!

von Redaktion, am 05.06.2014

Die Zeit – eine der wichtigsten Bestimmungsgrößen in unserem Leben. Umso interessanter ist es, wie verschieden wir sie wahrnehmen: Manchmal vergehen Stunden wie Sekunden, dann wieder dehnen sich Tage auf Wochenlänge aus. Prof. Katja Mierke und Dr. Fabian Christandl, Wirtschaftspsychologen an der Hochschule Fresenius Köln, haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Hintergründe dieser Wahrnehmungsunterschiede zu erforschen – erste Ergebnisse zeigen Erstaunliches, wie die beiden im Interview erzählen. Teil neun unserer Serie „Grundbegriffe der Psychologie“.

Frau Prof. Mierke, Herr Dr. Christandl, beginnen wir doch mal philosophisch: Die Zeit schreitet stetig voran, sie „läuft uns davon“, ist ständig „knapp“. Dagegen können wir nichts tun. Ist die Zeit die mächtigste Determinante in unserem Leben?

Katja Mierke: Sicher ist sie mächtig. Vermutlich sind Geschichten über Zeitmaschinen und Zeitreisen deshalb so populär, weil die Vorstellung wirklich faszinierend ist, dass wir Kontrolle über die Zeit haben und sie beliebig umkehren, verlangsamen oder uns einfach frei in ihr bewegen könnten. Aber  es ist, wie Sie es sagen: das können wir nicht.

Fabian Christandl: Ich denke auch, dass die Zeit eine wichtige Determinante in unserem Leben ist und mit Sicherheit eine der elementarsten Ressourcen für unsere Entscheidungen. Aber natürlich gibt es noch weitere einflussreiche Faktoren: Zum Beispiel müssen wir auch in der heutigen Zeit noch fundamentale physische Bedürfnisse wie Essen und Trinken befriedigen, auch Geld kann heutzutage als elementare Ressource verstanden werden.

Der Satz „Zeit ist Geld“ setzt die von Ihnen genannten Größen zueinander in Beziehung. Er gilt vielen Menschen als Leitgedanke. Sind Zeit und Geld tatsächlich ineinander überführbare Ressourcen?

Fabian Christandl: Im ökonomischen Sinne, ja: Wenn ich arbeite, habe ich keine Freizeit und wenn ich Freizeit habe, verdiene ich kein Geld. Interessant ist: Die Ressource Geld scheint die Gedanken der Menschen verhältnismäßig stärker zu bestimmen. In einer Studie der Harvard University konnte gezeigt werden, dass Menschen im Laufe eines Tages wesentlich häufiger über Geld nachdenken als über Zeit.

Katja Mierke: Dieser Befund könnte allerdings auch damit erklärt werden, dass die Ressource Zeit relativ gleich verteilt ist: Der Tag hat eben für jeden Menschen 24 Stunden. Eine Stunde dieses Tages bringt jedoch dem einen mehr, dem anderen weniger Geld ein, wenn er sie für Arbeit aufwendet. Vielleicht kreisen die Gedanken deswegen öfter um das Thema Geld, weil hier eine viel stärkere Ungleichverteilung vorliegt.

Das Prinzip, wonach wir in der jüngeren Vergangenheit in den westlichen Ländern gelebt haben, nämlich unsere Zeit gegen Geld einzutauschen, wird von immer mehr Menschen hinterfragt. Sie merken: diese Logik führt dazu, dass man irgendwann sehr viel Geld hat – aber keine Zeit mehr, es auszugeben und damit seinen eigentlichen Wert zu genießen.

Und deswegen gehen inzwischen einige Menschen wieder den umgekehrten Weg und tauschen Geld gegen Zeit ein, verzichten also auf den nächsten Karriereschritt und das höhere Gehalt zugunsten von mehr Freizeit.

Man spricht in diesem Zusammenhang ja auch von der Entschleunigungsbewegung. Wie versuchen ihre Anhänger, die Ressource Zeit sinnvoller zu nutzen?

Katja Mierke: In diesem Zusammenhang spielt vor allem das Konzept der Achtsamkeit, das auch in der psychologischen Beratung angewendet wird, eine große Rolle. Hierbei wird die Aufmerksamkeit ganz gezielt auf bestimmte Aspekte des Erlebens gelenkt ­– und zwar des gegenwärtigen Erlebens. Wir tendieren ja oft eher dazu, uns stark mit dem Vergangenen und Zukünftigen zu beschäftigen. Entschleunigung kann man aber vor allem im Hier und Jetzt erfahren.

Fabian Christandl: Hier kann ich mich nur anschließen. Ein Bewusstsein für den Moment kann nämlich auch verhindern, dass wir mehr anhäufen, als wir in Zukunft verbrauchen können. Denn dazu tendieren wir nun einmal – und zwar nicht nur in Bezug auf monetäre Belohnungen sondern auch auf materielle, wie Studien belegen.

Von dieser eher gesellschaftspolitischen Betrachtung zurück zum psychologischen Aspekt des Themas Zeit: Nicht mehr lange und die Schulen schließen wieder für mehrere Wochen ihre Türen – die Sommerferien beginnen! Von Schülern hört man immer wieder, dass diese Zeit wahnsinnig schnell vergeht. Warum hat man diesen Eindruck?

Katja Mierke: Auf der anderen Seite hört man von Schülern aber auch das Gegenteil: dass ihnen die Sommerferien nämlich wahnsinnig lange vorgekommen sind, bzw. die Schulzeit davor unendlich weit weg erscheint. Dieser Widerspruch ist sehr häufig zu finden. Aus psychologischer Sicht kann man ihn so erklären: Auf der einen Seite kann die Zeit subjektiv sehr schnell vergehen – geradezu verfliegen – wenn uns etwas viel Freude bereitet, wir in einer Tätigkeit ganz aufgehen. Während einer solchen Flow-Erfahrung vergessen wir alles um uns herum, auch die Zeit. Auf der anderen Seite empfinden wir abwechslungsreiche und vielseitige Tätigkeiten als länger andauernd, einfach weil wir uns ständig in neue Bereiche „eindenken“ müssen und mit wechselnden Situationen konfrontiert sind. Das trifft sicher auch auf Urlaubserlebnisse zu, bei denen wir weit weg von der Alltagsroutine zahlreiche neue Eindrücke sammeln. Zugleich sind diese meist sehr positiv, daher das paradoxe Zeitempfinden.

Fabian Christandl: Wenn wir schon beim Thema Ferien und Urlaub sind, möchte ich noch etwas ergänzen: Laut einer Studie empfindet man interessanterweise die Fahrt in den Urlaub als kürzer, als die Rückfahrt aus dem Urlaub. Das geht konform mit dem, was Frau Mierke eben gesagt hat: Die Vorfreude ist bei der Anreise eben groß, man ist positiv gestimmt und die Zeit vergeht schnell. Bei der Heimreise denkt man dagegen schon wieder an all die Aufgaben, die einen Zuhause erwarten – was durchaus bei dem einen oder anderen zu schlechter Laune führen dürfte.

Momente, in denen wir positiv empfinden, fliegen also vorbei – irgendwie schade. Wie ist es denn mit den Momenten, in denen wir Angst haben oder uns bedroht fühlen?

Katja Mierke: Insbesondere unangenehme Geräusche oder Bilder sowie Gesichter, die negative Emotionen wie Wut ausdrücken, werden subjektiv als länger andauernd wahrgenommen. Das konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden. Bedrohung löst eben physiologische Erregung aus: Puls, Blutdruck und Stresshormonspiegel steigen, und das scheint auf neurophysiologischer Ebene tatsächlich den inneren Taktgeber zu beschleunigen und damit die Zeit „auszudehnen“. Für den Betroffenen kann das den Vorteil haben, dass man in einem solchen Zeitlupenfenster sehr konzentriert und effizient handeln kann – übertrieben wird das in einigen Szenen der Matrix-Trilogie dargestellt.

Fabian Christandl: Es gibt beim Zusammenhang von Emotionen und Zeitwahrnehmung übrigens noch ein weiteres interessantes Phänomen: Wenn Menschen das Gefühl haben, die Zeit schreitet schneller voran, bewerten sie Tätigkeiten, aber auch Lieder oder Geräusche, positiver – selbst wenn sie in dieser Hinsicht manipuliert wurden.

Kann man diesen Befund irgendwie für andere Bereiche nutzbar machen – zum Beispiel um die Motivation von Mitarbeitern zu steigern?

Fabian Christandl: Als Wirtschaftspsychologen beschäftigen wir uns natürlich mit solchen Fragestellungen. In einer aktuellen Untersuchung haben wir den beschriebenen Mechanismus in einer bekannten Situation angewendet: beim Einstellungsgespräch. Es ist bekannt, dass auf dem Arbeitsmarkt derzeit der sogenannte „War for Talents“ herrscht. Da müssen Unternehmen Wege finden, begabte Kandidaten davon zu überzeugen, dass man der richtige Arbeitgeber ist. Und empfindet ein Kandidat den Verlauf eines Einstellungsinterviews als angenehm, kann das durchaus den Ausschlag geben.

In unseren Experimenten zeigte sich, dass Bewerber den Verlauf eines solchen Gesprächs tatsächlich positiver, die Interviewpartner sympathischer und das Unternehmen attraktiver bewerteten, wenn die Gesprächszeit vermeintlich schnell vorbei ging. In Wahrheit war das natürlich nicht der Fall, die Variable Zeit wurde von uns manipuliert.

Katja Mierke: Diese Ergebnisse lassen sich theoretisch auch auf den Bereich Mitarbeitermotivation anwenden, indem man zum Beispiel potenziell unangenehme Aufgaben als länger andauernd ankündigt. Wenn es dann subjektiv schneller ging als erwartet, sollte die Bewertung im Nachhinein positiver ausfallen. Das könnte wiederum die Motivation für das nächste Mal heben und damit vielleicht sogar die Bearbeitung verbessern. Wir haben aus unseren Untersuchungen erste Hinweise auf solche Effekte. Allerdings ist das in der Praxis natürlich ethisch problematisch, und wenn die Manipulation irgendwann aufgedeckt wird, stehen den Unternehmen heftige Reaktionen von der Belegschaft und der Öffentlichkeit ins Haus.

Ehrlicherweise muss man sagen, dass in bisherigen Studien zu diesem Thema – so auch in unseren Versuchen – unter extrem kontrollierten Bedingungen und teils mit sehr kleinen Zeitintervallen gearbeitet wurde. Deswegen ist eine Übertragung in komplexe Alltagssituationen nicht immer ohne weiteres möglich. Hier steht noch eine Menge Forschungsarbeit aus. Wir haben dazu einige Ideen, die wir gern umsetzen möchten – sobald wir die Zeit dafür finden…

Grundbegriffe der Psychologie

Liebe, Angst, Kreativität, Stress – alltägliche Begriffe, deren psychologische Hintergründe oft nicht bekannt sind. Deshalb widmet sich adhibeo in den kommenden Wochen diesen Begriffen und lässt dazu Experten zu Wort kommen. Bisher erschienen:

  • Prof. Dr. Simon Hahnzog über die Liebe.
  • István Garda über den Begriff Kreativität.
  • Prof. Dr. Katja Mierke über den Begriff Stress.
  • Prof. Dr. Claudia Gerhardt über den Begriff Glück.
  • Dr. Fabian Christandl über den Begriff Manipulation.
  • Prof. Dr. Simon Hahnzog über die Funktionsweise von Vorurteilen.
  • Dr.  Yvonne Glock über den Begriff Lernen.
  • Dr. Kristin Härtl über die Mechanismen hinter der Angst.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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