Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

Trotz Social Media: „Wahlplakate werden auch künftig eine große Bedeutung haben“

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von Redaktion, am 20.05.2014

Am 25. Mai ist Europawahl. Um auf Stimmenfang zu gehen, setzen die Parteien auch in diesem Wahlkampf wieder auf ein altbewährtes Mittel: das Wahlplakat. Hundertausende von ihnen hängen derzeit an Laternenmasten oder Bäumen im ganzen Land. Doch welche Wirkung erzielen Wahlplakate eigentlich beim Betrachter? Und sind sie in Zeiten des Internets überhaupt noch nützlich, um Wahlentscheidungen zu beeinflussen? Prof. Dr. Wera Aretz, Studiendekanin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius Köln, gibt Antworten auf diese Fragen.

Loriot hat einmal gesagt: „Der beste Platz für den Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“ Neben seiner satirischen Botschaft transportiert das Zitat eine wichtige Information: Ein Wahlplakat spricht nur den visuellen Kanal des Rezipienten an. Kann man auf diese Weise wirklich Wahlent- scheidungen beeinflussen?

Das visuelle System hat eine sehr große Bedeutung für die werbliche Kommunikation. Allerdings ist der Einfluss von Wahlplakaten auf die Wahlentscheidung nur schwer zu ermitteln. Wahlberechtige sind ja insbesondere unmittelbar vor der Wahl mit ganz verschiedenen Faktoren konfrontiert, die einen Einfluss auf ihre Entscheidung ausüben können: den Wahlplakaten, der Berichterstattung in den Massenmedien, Informationsständen einzelner Parteien und direkten Gesprächen mit Parteivertreten, Gesprächen mit Freunden und Verwandten und nicht zuletzt einer eigenen politischen Haltung und emotionalen Bindung zu einer Partei. Wahlplakate sind also nicht die einzige Einflussquelle einer politischen Entscheidung.

Dennoch geben die Parteien Millionen für dieses Wahlkampfmittel aus. Was genau soll und kann politische Kommunikation durch Wahlplakate erreichen?

Auf der Seite der Partei geht es oftmals darum, Wählerstimmen zu maximieren und sich möglichst prägnant, eindeutig, positiv und im Vergleich zu den anderen Parteien trennscharf darzustellen und zu positionieren. Untersuchungen zeigen, dass die politische Kommunikation hierbei grundsätzlich drei Wirkungen erzielen kann: Erstens, den Wähler verstärken, zweitens, den Wähler aktivieren und drittens, beim Wähler eine Meinungsänderung auszulösen.

Lassen Sie mich das näher erklären. Mit dem Begriff der Verstärkung ist zunächst gemeint, dass durch die Wahlplakate die grundsätzliche Entscheidung des Wählers bestärkt werden kann, er so Sicherheit und Orientierung erlangt, was ihn zur Wahl mobilisieren kann und dadurch auch eine Abwanderung zu einer anderen Partei verhindert wird. Wenn jemand also ein Plakat seiner Partei sieht, mit der er sich identifizieren kann, kann ein Verstärkungseffekt eintreten und er geht zur Wahl, um „seine“ Partei zu wählen.

Auf der anderen Seite können Wahlplakate auch dazu beitragen, noch nicht eindeutige Vorentscheidungen bei dem Wähler zu aktivieren und eine latente politische Meinung in eine deutliche Stimmabsicht umzuwandeln. Hierbei fällt der Wahlkampfkommunikation insbesondere die Aufgabe zu, Aufmerksamkeit und Interesse des Wählers zu wecken und ihn zu binden. Diesem Aspekte kommt heutzutage durch die allgemeine Wahlmüdigkeit eine besondere Bedeutung zu. Viele Wähler sind noch indifferent, ob und welche Partei sie wählen sollen. Wahlplakate können hier also für Klarheit sorgen.

Drittens kann Wahlkampfkommunikation zu einer Meinungsänderung führen und den Wähler zu einem Wechsel der bisherigen Wahlentscheidung bewegen. Dieser würde dann eine andere Partei wählen, zu der er bislang eine eher negative Haltung hatte. Diese Wirkung stellt nach bisherigen empirischen Befunden aber wohl eher die Ausnahme dar.

Egal, welche Ziele man nun mit Hilfe eines Wahlplakates erreichen will: Wie sollte es aus werbepsychologischer Sicht denn gestaltet sein?

Aus der Werbepsychologie weiß man, dass Werbung seitens der Rezipienten nicht besonders gesucht wird und die durchschnittliche Betrachtungsdauer von großformatiger Außenwerbung nur zwischen zwei und drei Sekunden liegt.

Damit ein Wahlplakat in Gänze wahrgenommen werden kann, sollte es begrenzt und reduziert sein: Wenig Text, eindeutige, prägnante Bilder, die eine klare Aussage oder ein eindeutiges Gefühl transportieren und sich in Gestaltung, Farbe, Text von den Plakaten anderer Parteien abheben – diese Aspekte könnte man als Mindestanforderungen definieren.

Dabei lassen sich verschiedene Kommunikationsstrategien entdecken. Einige Parteien versuchen zu provozieren, die anderen formulieren ambitionierte Ziele, wieder andere versuchen vor allem die Emotionen der Wähler anzusprechen. Werbepsychologisch gesprochen, können die Kommunikationsstrategien der Parteien unter anderem danach unterschieden werden, ob eher auf die emotionale, die kognitive oder die physische Reizwirkung hingewirkt wird. Dabei ist es wichtig sicherzustellen, dass der Wähler – genauer gesagt, die Zielgruppe der Partei, die angesprochen werden soll – das Plakat überhaupt wahrnimmt, die Botschaft mitsamt Text und Bild versteht und diese auch annehmen kann.

Kurzum: Wahlwerbung muss Aufmerksamkeit erzielen, informieren, vereinfachen, Themen setzen, Ziele formulieren und Versprechen artikulieren und glaubwürdig sein – und dies kann in ganz unterschiedlicher Form geschehen.

Dem Wahlplakat wird immer wieder unterstellt, es mache mehr Werbung für den jeweiligen Kandidaten und weniger für eine Partei oder politische Ideen. Stimmt das?

Das kommt ganz auf die Kommunikationsstrategie der jeweiligen Partei an. Wenn man die aktuellen Plakate der Europawahl betrachtet, lassen sich schon Unterschiede erkennen. Um ein paar Beispiele zu nennen:

Die FDP setzte ihren Spitzenkandidaten Alexander Graf Lambsdorff in den Mittelpunkt – und somit den Namen „Graf Lambsdorff“, der eine gewisse Bekanntheit hat, auch bei Wählern, die sich kaum für Politik interessieren. Bei dem überwiegenden Anteil der Plakate der SPD steht nicht den Spitzenkandidaten Martin Schulz im Vordergrund, sondern es werden auf verschiedenen Plakaten jeweils zwei Personen vor einem farbigen Hintergrund in Szene gesetzt, die durch ihre Gestik und Körperhaltung die Textaussagen der jeweiligen Plakate verdeutlichen und Gefühle vermitteln, wie z. B. Vertrautheit, Geborgenheit oder Wachstum. Die Plakate der Linken verzichten ebenfalls auf die Darstellung ihrer Spitzenkandidatin. Sie rücken ihre Leitsprüche in den Vordergrund, deren Aussagen durch Piktogramme unterstützt und verdeutlicht werden sollen. Auch in der CDU-Kampagne spielt der Spitzenkandidat David McAllister keine Rolle. Vielmehr führt die Kanzlerin Merkel selbst durch den Wahlkampf und ihr Bild wird mit dem Leitsatz „Gemeinsam erfolgreich in Europa“ verknüpft.

Kurz gesagt: Während wir es von Bundestagswahlen eher gewohnt sind, dass mit Spitzenkandidaten geworben wird, setzen die Parteien in der aktuellen Europawahl auf unterschiedliche Strategien.

Während man Wahlwerbespots wegzappen und Flugblätter ungelesen wegwerfen kann, ist es nahezu unmöglich einem Wahlplakat aus dem Weg zu gehen: Gerade jetzt, im Vorfeld der Europawahl, sind die Straßen mit ihnen regelrecht zugeklebt. Löst das beim Bürger nicht irgendwann Reaktanz aus?

Nun – man wird ja nicht gezwungen hinzuschauen. In der Tat wird man vor einer Wahl mit unzähligen Plakaten konfrontiert. Hierbei stellt sich dann aber eher die Frage, welche man überhaupt noch wahrnimmt und erinnert und inwiefern es eine Partei schafft, ein eindeutiges Wahlversprechen glaubhaft zu vermitteln. Studien zeigen leider oftmals, wie austauschbar die Leitsätze einzelner Parteien sind. Und wenn sie heute jemand nach dem Leitsatz und dem Bildmotiv einer Partei zur aktuellen Europawahl fragen, werden die Ergebnisse wohl auch eher ernüchtern.

Mit Wahlplakaten kann man ganz leicht ganz viel negative Publicity auslösen. Erst kürzlich wurde in Bayern ein Lokalpolitiker durch den Kakao gezogen, weil er unter seinem Konterfei den Satz „Chabos wissen, wer der Babo ist“ abbildete. Ein Satz, der durch einen Rapsong bekannt wurde und mit dem sich der Politiker wohl ein jugendliches Image zulegen wollte. Welche Überlegungen sollte man bei der Auswahl seines Wahlspruchs anstellen, um derartige Häme zu verhindern?

Der Wahlspruch muss natürlich glaubhaft sein, zu der Programmatik der Partei, des Kandidaten und der avisierten Zielgruppe passen. Als vorteilhaft hat es sich erwiesen, eher die Stärken einer Person hervorzuheben und nicht zu versuchen, die potenzielle Defizite eines Kandidaten zu fokussieren – natürlich mit dem Ziel, die Wahrnehmung des Wählers zu verändern. Wenn eine Person beispielsweise in der Öffentlichkeit als weniger familienfreundlich wahrgenommen wird, löst man dieses Problem ja nicht unmittelbar dadurch, dass man den Kandidaten in einer Kita mit vielen Kindern fotografiert. Solche Strategien werden seitens der Rezipienten oftmals entlarvt und als unglaubwürdig bewertet.

Wahlplakate spielen im Wahlkampf trotz aller Kritik eine wichtige Rolle. Wird sich daran in Zukunft etwas ändern?

Poltische Wahlplakate haben eine lange Tradition. Ihre Bedeutung mag sich allerdings in den letzten Jahren etwas verändert haben – spätestens seit dem Obama-Wahlkampf im Jahre 2008 wissen wir, dass dem Internet und sozialen Netzwerken eine nicht unerhebliche Bedeutung zukommen kann: Der Erfolg der Obama-Kampagne wird vor allem mit dem Einsatz von Social Media zur Wählermobilisierung in Verbindung gebracht. So zeigen auch aktuelle Studien aus Deutschland, dass fast jeder Bundestagsabgeordneten ein Profil bei einem sozialen Netzwerk hat und digitale Medien für den Wahlkampf genutzt werden. Allerdings kommt eine Studie von Hoffjann und Gusko aus dem Jahre 2013 zu dem Schluss, dass Parteien soziale Medien vorwiegend für Verlautbarungen und zur Einweg-Kommunikation nutzen. Und ein Großteil der Wähler möchte gar nicht von Volksvertreten und Parteien über soziale Medien angesprochen werden.

Fasst man diese Ergebnisse zusammen, lässt sich sagen, dass soziale Medien eine weitere Möglichkeit bieten, gerade junge Wähler zu informieren und zu mobilisieren. Meiner Meinung nach werden Wahlplakate auch künftig eine große Bedeutung haben. Aus der Medienpsychologie wissen wir: Ein neues Medium löst das alte Medium nicht komplett ab. Lediglich die Funktion der einzelnen Medien verändert sich.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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