Psychologie und Wirtschaftspsychologie

„Heute wird es immer wichtiger, Wissen zu transferieren“

von Redaktion, am 02.05.2014

„Lernen“ – das ist nicht nur eine lästige Pflicht im Schul- oder Hochschulkontext. Es ist auch der Prozess der Umweltanpassung, der uns das Leben erleichtert. Im Interview spricht Dr. Yvonne Glock, Wirtschaftspsychologin an der Hochschule Fresenius Hamburg, über die verschiedenen Aspekte des Begriffs. Teil sieben unserer Serie “Grundbegriffe der Psychologie”.

Der Begriff „Lernen“ ist in unserer Gesellschaft doch relativ negativ besetzt: Viele verbinden damit Erinnerungen an langweiligen Frontalunterricht und anstrengende Prüfungsvorbereitungen. Hat der Begriff ein Imageproblem?

Ich denke nicht. Die stetig ansteigende Anzahl der Abiturienten und Studierenden ist doch ein klares Indiz dafür, dass eine Bereitschaft zum Lernen vorhanden ist. Was einigen beim Begriff „Lernen“ negativ aufstößt, ist vielleicht, dass in Schulen und Hochschulen zu wenig auf individuelle Lernarten eingegangen wird – wobei sich das in der jüngeren Vergangenheit sehr stark verändert hat.

Inwiefern?

Heute fließen in die Unterrichtsgestaltung an Schulen und Hochschulen viele lernpsychologische Aspekte mit ein. Das heißt, man berücksichtigt, dass es verschiedene Lerntypen gibt. In der wissenschaftlichen Literatur unterscheidet man hier: den Macher, den Entdecker, den Denker und den Entscheider.

Während der Macher zum Beispiel sehr stark durch praktische Anwendung lernt – „Learning by Doing“, wie es so schön heißt –, eignet sich der „Denker“ sein Wissen an, indem er theoretische Überlegungen anstellt oder Modelle entwirft. Auf diese Unterschiede wird heute viel stärker Rücksicht genommen – auch weil die heutige Generation, die sogenannte Generation Y, diese individuelle Behandlung einfordert.

Lernen ist – heute wie früher – Voraussetzung dafür, sich an Umweltbedingungen anpassen zu können. Was bedeutet das in einer zunehmend komplexer werdenden Umwelt?

Es bedeutet, dass es heute immer wichtiger wird, Zusammenhänge zu erkennen, Wissen zu transferieren und auf andere Lebensbereiche anzuwenden. Dabei kann zum Beispiel eine Mind-Map helfen. Genauso anerkannt sind heute sogenannte stütz- und ressourcenbezogene Lernstrategien. Sie berücksichtigen auch die organisatorische Komponente des Lernens: Das Aufstellen von Zeitplänen, das Bilden von Lerngruppen oder die Gestaltung der Lernumgebung sind hier wichtige Bestandteile.

Als weniger zeitgemäß gilt heute der Ansatz des klassischen repetitiven Lernens, wie man es vielleicht vom Auswendiglernen von Vokabeln kennt. Hierbei wird das Wissen meist nur für eine kurze Zeit gespeichert.

Bei der Fülle an Wissen, die in der heutigen Zeit existiert, kann man sich längst nur mehr Ausschnitte davon aneignen. Die Zeit der Universalgenies ist vorüber. Muss ich also beim Lernen selektieren und Themen aussortieren, die es vielleicht nicht wert sind, gelernt zu werden?

Ich denke, eine gewisse Selektion ist schon nötig. Mit Blick auf die berufliche Laufbahn kann ein tiefergehendes Expertenwissen vielleicht erfolgversprechender sein als ein oberflächliches, aber dafür breites Allgemeinwissen. Ich möchte hier aber niemandem ausreden, sich Wissen aus ganz unterschiedlichen Bereichen anzueignen. Man muss nur berücksichtigen, dass die individuellen zeitlichen und kognitiven Kapazitäten begrenzt sind.

Nun wirft man der heutigen Generation vor, sie säße den ganzen Tag nur vor dem Bildschirm und spiele dabei Videospiele, surfe im Internet und kommuniziere über die Sozialen Medien. Kritiker fordern, Kinder sollten wieder mehr draußen in der Natur spielen und lernen – mit echten Menschen. Werden Kinder aber nicht durch das Lernen am Computer genau auf ihre Zukunft in einer technologiedurchdrungenen Welt vorbereitet? Eine Rückkehr zur landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft erscheint ja nun doch eher ausgeschlossen.

Natürlich müssen sich auch Kinder mit dem Computer, den Medien und den neuen Kommunikationsmöglichkeiten auseinandersetzen. Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint mir aber, dass dem die Entwicklung sozialer Kompetenzen vorausgeht. Das heißt, zunächst sollten die Kinder den richtigen Umgang mit anderen Menschen erlernen – gerne in der Natur, Hauptsache aber: in der Realität. Ansonsten werden diese sozialen Fähigkeiten nur unzureichend ausgeprägt – was auch in einer technologiedurchdrungenen Zukunft problematisch werden dürfte.

Leider sind die sozialen Kompetenzen schon heute häufig nicht ausreichend entwickelt. Aus Gesprächen mit Kinderärzten weiß ich, dass es durchaus bemerkbar ist, ob ein Kind überwiegend über die Medien und den Computer die Welt kennenlernt oder über soziale Interaktion und reale Erfahrungen.

Wie sollte Kindern dann der Umgang mit Medien beigebracht werden?

Wenn Eltern den Zugang zu Medien ermöglichen, dann zumindest unter Aufsicht. Denn Kinder kennen häufig keine Grenzen: sie bleiben ohne entsprechende Ermahnung einfach stundenlang vor dem Computer oder dem Fernseher sitzen – und das wirkt sich auf Dauer negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung aus.

Grundbegriffe der Psychologie

Liebe, Angst, Kreativität, Stress – alltägliche Begriffe, deren psychologische Hintergründe oft nicht bekannt sind. Deshalb widmet sich adhibeo in den kommenden Wochen diesen Begriffen und lässt dazu Experten zu Wort kommen. Bisher erschienen:

  • Prof. Dr. Simon Hahnzog über die Liebe.
  • István Garda über den Begriff „Kreativität„.
  • Prof. Dr. Katja Mierke über den Begriff „Stress„.
  • Prof. Dr. Claudia Gerhardt über den Begriff „Glück„.
  • Dr. Fabian Christandl über den Begriff „Manipulation
  • Prof. Dr. Simon Hahnzog über die Funktionsweise von Vorurteilen.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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