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Wirtschaft und Management

Medientage bei adhibeo

von Redaktion, am 07.11.2013

Lärmend zog Twitter heute an die Börse: Laut Medienberichten wird der Börsengang dem Internetunternehmen über 2 Milliarden Dollar in die Kassen spülen. Kritiker zweifeln jedoch daran, ob die Aktie, deren Ausgabepreis bei 26 US-Dollar pro Stück liegt, hält, was sie verspricht. Andere wiederum sehen in Twitter „the next big thing since Facebook“. Egal, wer am Ende recht behält: Die adhibeo-Redaktion nimmt den Börsengang zum Anlass, ein mehrteiliges Medienspezial zu starten. In insgesamt fünf Artikeln werden in den kommenden Tagen aktuelle Medienthemen vorgestellt und von Experten beleuchtet. Zum Auftakt spricht Prof. Dr. Dominik Große Holtforth, Studiendekan Medien- & Kommunikationsmanagement an der Hochschule Fresenius Köln, über die Gefahren und Chancen des Twitter-Börsengangs. Es folgen:

  • Berufsperspektive Boulevard: RTL-Promireporter Parviz Khosrawi gibt Einblicke
  • Nur hinterher: Wie das Wissenschafts- und Bildungssystem mit der Schnelllebigkeit der Medien umgeht
  • Druck bleibt frisch: Eine Studie der HS Fresenius belegt, dass Verlage auch zukünftig auf Printprodukte setzen wollen
  • Erweitertes Erfahren: Was uns die Augmented Reality bringt [/quellen]

Interview mit Prof. Dr. Dominik Große Holtforth: „Der für Twitter relevante Markt wächst“

Twitter ist seit heute an der Börse notiert – und das, obwohl das Unternehmen bislang kein Geld verdient. Im Gegenteil: im dritten Quartal 2013 verzeichnete das Unternehmen einen Nettoverlust von 64,6 Millionen Dollar, geht es aus einem IPO-Antrag hervor. Dennoch wird eine enorme Orderschwemme erwartet. Ist das nicht widersinnig? Wo sind die Gründe für dieses optimistische Verhalten der Anleger zu suchen?

An der Börse ist die Zukunftsperspektive entscheidend, weniger die Ergebnisse der letzten Jahre. Die entscheidende Frage für Investoren ist also: Hat Twitter ein Geschäftsmodell, das hohe Renditen ermöglicht, ist die Aktie also attraktiv? Offensichtlich, das kann man schon jetzt sagen, beantworten viele Aktionäre diese Frage positiv, weil sie bei Twitter mit seinen 218 Millionen monatlich aktiven Nutzern ein hohes Umsatz- und Ertragspotenzial sehen.

Wie lässt sich der Wert des Unternehmens Twitter – er beläuft sich momentan auf rund 14 Milliarden Dollar – und demnach auch der Wert der Aktie berechnen?

Die Marktkapitalisierung, die sie ansprechen, lag ja Mittwochabend schon knapp unter 20 Milliarden Dollar. In der Tat stellt sich die Frage, wie solche Aussagen zum Unternehmenswert zustande kommen. Rechnerisch ist die Bestimmung der Marktkapitalisierung relativ einfach: Man nimmt die Zahl der ausgegebenen Aktien und multipliziert diese mit dem aktuellen oder einem durchschnittlichen Kurswert der Aktie.

Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob die Marktkapitalisierung den tatsächlichen Unternehmenswert wiedergibt. Ohne allzu sehr in das komplexe Thema Unternehmensbewertung einzusteigen, sind bei der Marktkapitalisierung als Wertindikator für Unternehmen Zweifel anzumelden. Die Höhe der Marktkapitalisierung ist vor allem vom Kurswert bestimmt, der ja bei den meisten Aktien durchaus volatil ist. Kurswerte entstehen durch Abgleich von Angebot und Nachfrage nach bestimmten Aktien, sie sind also maßgeblich durch das Börsengeschehen geprägt. Und das wiederum hängt eben nicht nur von den geschäftlichen Parametern der Unternehmen ab, sondern auch von der Lage am Kapitalmarkt insgesamt, vom Zinsniveau, von der Risikoneigung der Investoren und von vielen anderen, häufig auch sehr subjektiven Faktoren. Will man ein Unternehmen dagegen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive möglichst objektiv bewerten, geht man in der Regel über den künftigen Ertragswert, der bei einem Unternehmen erwartet werden kann. Danach ist der aktuelle Wert eines Unternehmens die auf die Gegenwart diskontierte Summe zukünftig zu erwartender Erträge. Aber auch hier sieht man, dass das Ertragswertverfahren, das üblicherweise als Discounted Cash Flow-Methode bezeichnet wird, auch nicht frei von Subjektivität ist. Es muss stets eine Einschätzung der zukünftigen Unternehmens- und Marktentwicklung durchgeführt werden und die ist nun mal subjektiv unterschiedlich.

Wie schätzen die Anleger die Entwicklung des Unternehmens Twitter denn ein?

Bei Twitter geht es vor allem um die Monetarisierung der 218 Millionen Nutzer und deren Aktivitäten auf Twitter. Eine Monetarisierung dieser Aktivitäten gelingt ja bereits schon, Twitter erzielt Umsätze durch Werbung, die vor allem bei der mobilen Nutzung eine Rolle spielen dürften. Also ist der Businessplan von Twitter danach zu bewerten, ob die getroffenen Annahmen zur weiteren Nachfrage nach mobiler Werbung insgesamt und speziell auf der Twitter-Plattform zutreffend sind oder nicht. Grundsätzlich – und da teile ich die Auffassung der Investoren – wächst der für Twitter relevante Markt. Entscheidend wird aber sein, welche Rolle Twitter dabei spielt. Ob Twitter es wirklich schafft, die oder eine entscheidende Plattform für kommerzielle Werbung zu werden, ohne dass Nutzer verloren gehen. Wir müssen grundsätzlich davon ausgehen, dass Mediennutzer werbeavers sind. Aber vielleicht gelingt Twitter ja das, was Google gelungen ist: relevante Werbung einzusetzen, die als weniger störend empfunden wird.

Was die Zukunft auch bringt: Der Börsengang wird viel Geld in die Kassen des Onlineunternehmens spülen. Experten gehen von zwei Milliarden Dollar oder mehr aus. Was wird Twitter mit diesem Geld anstellen?

Twitter muss das akquirierte Kapital vor allem dazu einsetzen, um das Geschäftsmodell weiter auszubauen und die Umsätze zu erhöhen. Man braucht neben Entwicklern, die neue Lösungen programmieren, vor allem Werbefachleute, die für die werbetreibende Industrie neue Konzepte entwickeln. Es ist ja nicht so, dass wir einen Mangel an Werbemöglichkeiten haben, die Konkurrenz ist riesig. Nicht zuletzt Facebook zeigt, dass es kein Selbstläufer ist, ein soziales Netzwerk durch Werbung zu finanzieren.

Was sind die konkreten Modelle, mit denen Twitter in Zukunft versuchen wird, Geld zu verdienen? Der Verkauf von Nutzerdaten?

Man hört ja häufig, dass irgendwo Nutzerdaten verkauft werden. Diese Formulierung ist mir zu allgemein, denn es geht nicht um den rechtlich nicht zulässigen Verkauf von Datensätzen. Die wirtschaftliche Leistung von Twitter, Facebook und anderen Netzwerken ist die Vermittlung eines Kontakts zu allen oder spezifischen Nutzern. Ich kann als Werbekunde aus der sehr großen Zahl von Nutzern einzelne Segmente herausfiltern und gegenüber diesen meine Werbung ausspielen. Das heißt, die Daten, die Nutzer freiwillig über an das Netzwerk übertragen haben, werden herangezogen, um die Relevanz der Werbung zu erhöhen. Grundsätzlich ist das ja durchaus im Sinne der Nutzer.

Twitter muss meines Erachtens noch daran arbeiten, ein spezifisches, innovatives Werbemodell zu entwickeln. Bislang sehe ich nur Sponsored Posts, die Werbekunden ja auch bei Facebook buchen können. Twitter muss für mein Dafürhalten den hohen Grad an Viralität nutzen, den bestimmte Tweets haben. Es entstehen ganz kurzfristig sehr viele qualifizierte Nutzerkontakte, wenn sich irgendwo auf der Welt ein ungeahntes Ereignis ergibt. Das dürfte viele Werbekunden interessieren.

Zur Situation in Deutschland: Twitter ist fester Bestandteil der hiesigen Medienkultur, das hat der unlängst stattgefundene, medial ausgeschlachtete „Twitter-Krieg“ zwischen Oliver Pocher und Boris Becker gezeigt. Unter deutschen Internetnutzern ist der Kurznachrichtendienst dagegen wenig beliebt: Zwischen vier und sechs Prozent von ihnen lesen aktiv das Gezwitscher anderer oder zwitschern selbst. Zum Vergleich: in den USA sind dort knapp 51 Prozent der Internetnutzer aktiv, in Großbritannien rund 17 Prozent. Woran liegt das? Befindet sich Deutschland nur in einem frühen Entwicklungsstadium oder funktioniert das Twitter-Prinzip hierzulande einfach nicht?

Natürlich haben die USA in vielen Medien eine Vorreiterrolle gespielt und spielen sie noch. Aber genauso gut sind die Kultur und strukturelle Unterschiede in der Mediennutzung ein wichtiger Faktor, warum ein Dienst in Deutschland seltener genutzt wird als in den USA. Entscheidend bei Twitter ist die Verbreitung von Smartphones, da sind die USA noch etwas weiter. Ich denke aber, dass der Anteil der Smartphone-Nutzer auch in Deutschland bald deutlich über 60 Prozent liegen wird. Bei den kulturellen Faktoren sehe ich allerdings Unterschiede, die nachhaltiger sein dürften: die Deutschen gelten als weniger technikaffin und in Sachen Unterhaltungsmedien weniger begeisterungsfähig als die Amerikaner.

Die deutsche Wirtschaft sollte das Potential von Twitter dennoch nicht unterschätzen, oder?

Nein. Twitter sollte nicht ignoriert werden, wenn der Dienst für die wesentlichen Zielgruppen des Unternehmens relevant ist. In diesem Fall, zum Beispiel bei jungen, urbanen Zielgruppen, lässt sich Twitter gut in die Social Media-Strategie des Unternehmens einbinden, das können auch kleinere und mittelgroße Unternehmen hinbekommen. Es geht darum, in einem vernünftigen Rhythmus soziale Signale auszusenden, die die Ziel- und Kundengruppen an das Unternehmen und – bei Twitter vor allem wichtig – an einzelne Personen aus den Unternehmen zu binden. Es gibt ja bereits viele Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer oder Vorstände, die bloggen, bei Facebook posten und twittern. Natürlich machen sie das in der Regel nicht persönlich, sondern stellen nur ihren Namen, ihr Profil zur Verfügung. Aber wenn auf diese Weise ein authentisches, interessantes Bild vom Unternehmen vermittelt werden kann, ist das ein hervorragendes Instrument der Kundenbindung. Nebenbei gibt es eine Vielzahl von Tools, die Social Media Marketing erleichtern, was ja für kleine Unternehmen wichtig ist. Ich empfehle zum Beispiel die Hootsuite, mit der sie mehrere soziale Netzwerke gleichzeitig betreuen können.

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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