Psychologie und Wirtschaftspsychologie
Kampfbereit in die PowerPoint-Präsentation
von Redaktion, am 07.03.2014
Psychologie und Wirtschaftspsychologie
von Redaktion, am 07.03.2014
„Ich bin so gestresst!“ – kaum ein Tag vergeht, an dem dieser Satz nicht von einer Arbeitskollegin, einem Freund oder von uns selbst ausgesprochen wird. Stress ist ein Modewort – und doch viel mehr als das: es ist die Reaktion unseres Körpers auf Gefahrensituationen. Warum diese Reaktion heute allerdings manchmal unangebracht ist, erklärt Prof. Dr. Katja Mierke, Wirtschaftspsychologin an der Hochschule Fresenius Köln, im Interview. Teil drei der Serie „Grundbegriffe der Psychologie“.
Selye definierte Stress als das Bündel allgemeiner typischer Reaktionsmuster auf alle Arten von Stressoren. Das entsprach der damaligen personenzentrierten Perspektive auf psychologische Fragestellungen. Als Definition finde ich das allerdings ein bisschen einfach und vor allem zirkulär.
Moderner ist das vielzitierte transaktionale Stress-Modell nach Lazarus. Es geht davon aus, dass wir in einem ersten Schritt abschätzen, ob ein Ereignis für uns möglicherweise bedrohlich ist. In einem nächsten Schritt wägen wir dann ab, was wir dem an Ressourcen entgegenzusetzen haben. Unter Ressourcen versteht man in diesem Zusammenhang Fähigkeiten, Energie, Zeit, Widerstandsfähigkeit, aber auch so etwas wie soziale Unterstützung, eben alles, was bei der Bewältigung hilft. Gewinnen wir nun den Eindruck, dass wir der Situation nicht gewachsen sind, entsteht Stress.
Ich persönlich schätze an diesem Ansatz den systemisch-konstruktivistischen Blickwinkel. Er betont, dass wir uns in ständiger, dynamischer Wechselwirkung mit unserer Umwelt befinden, und vor allem, dass unser Erleben relativ ist: Exakt die gleiche Aufgabe empfindet eine Person als total belastend und überfordernd, eine andere hingegen als bereichernd und im positiven Sinne aktivierend. Aber auch diese Unterschiede zwischen Menschen sind nicht überdauernd: eine Woche später kann sich die subjektive Einschätzung der Situation oder der persönlichen Ressourcen verändert oder gar ins Gegenteil umgekehrt haben.
Zunächst einmal kommt es zu physiologischen Reaktionen, was aus evolutionärer Sicht ja auch durchaus sinnvoll ist. Unser Puls geht hoch, der Blutdruck steigt, damit Gehirn und Muskeln besser mit Sauerstoff versorgt werden. Außerdem werden Adrenalin, Cortisol und andere Neurotransmitter ausgeschüttet – kurz: der ganze Organismus fährt hoch und schaltet auf Handlungsbereitschaft. Das kann sehr hilfreich – um nicht zu sagen: überlebensnotwendig – sein, wenn wir zum Beispiel einem wilden Tier oder einer feindlich gesinnten Gruppe gegenüber stehen und schlagartig fliehen oder unter maximalem Krafteinsatz kämpfen müssen. Weniger nützlich ist diese körperliche Hochspannung dagegen, wenn unter Zeitdruck der Rechner abstürzt oder ständig das Telefon klingelt.
Auf der emotionalen Ebene geht der Stress, den wir in einer solchen Situation empfinden, einher mit erhöhter Reizbarkeit oder Gefühlen von Schwäche und Unzulänglichkeit. Schwerwiegender wird es, wenn Versagensängste oder gar Panikattacken hinzukommen. Auf kognitiver Ebene ist Gedankenkreisen ein typisches Reaktionsmuster: Wir können nicht mehr richtig abschalten und gehen vor unserem inneren Auge immer wieder To-do-Listen oder bestimmte Szenarien durch. Ein- und Durchschlafstörungen sind die Folge. Außerdem beobachtet man oft eine Veränderung der Ernährungs- und Konsumgewohnheiten: Wir essen häufiger Fast Food und Süßigkeiten, trinken mehr Alkohol und zünden uns ständig eine Zigarette an. Das verschafft zwar kurzfristig Belohnung oder Entspannung, langfristig wird der Körper aber mehr geschwächt als gestärkt.
Das kann man so nicht sagen, insbesondere, wenn man die transaktionale Perspektive zugrunde legt. Wie schon erwähnt, entsteht Stress demnach immer, wenn die persönlichen Ressourcen nicht zur Bewältigung der Umweltanforderungen ausreichen – oder wir zumindest diesen Eindruck haben.
Unterm Strich, glaube ich, hat sich die quantitative Bilanz aus Anforderungen und Ressourcen über die Jahrhunderte nicht wirklich verändert. Wir sind heute mehr Umweltanforderungen ausgesetzt, können aber gleichzeitig auch auf mehr Ressourcen zurückgreifen.
Veränderungen sehe ich vor allem in qualitativer Hinsicht. Wo uns früher ein heranrasendes Mammut gestresst hat, ist es heute vielleicht die Powerpoint-Präsentation vor einem anspruchsvollen Geschäftskunden. Hunger und Seuchen, beides lange Zeit omnipräsente Bedrohungen, sind für Bewohner der sogenannten ersten Welt längst keine mehr – im Gegenteil: die Mehrheit der Menschen in den Industrienationen hat objektiv soviel Komfort wie noch nie.
Und darüber hinaus haben wir ja theoretisch auch noch so viel Zeit wie kaum eine Generation vor uns. Viele Alltagsverrichtungen werden uns heute von Haushaltsgeräten abgenommen, unsere Computer und Transportmittel ersparen uns Arbeits- und Reiseaufwand.
Die Theorie der sozialen Beschleunigung, wie sie von Hartmut Rosa vor zehn Jahren formuliert wurde, hat hierfür folgende Erklärung: Die Auflösung von Konventionen und der technologische Fortschritt führen dazu, dass uns eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Verfügung steht, unser Leben, im Grunde jede freie Stunde zu gestalten. Da wir deswegen ständig Entscheidungen treffen müssen, und zwangsläufig ständig alternative Optionen verpassen, fühlt es sich an, als stünden wir unter Zeitdruck.
Was wir nicht vergessen sollten ist, dass wir hier über den Stress sprechen, den wir in der ersten Welt erleben. Kriege, Hunger, Durst und Krankheit und die existentielle Angst ums Überleben sind in weiten Teilen der Erde auch heute Alltag. Makabererweise mag es ein Vorteil sein, dass sich die natürliche physiologische Reaktion auf Stress dort viel eher zur Bewältigung von Situationen eignet als im Alltag einer Bürokraft.
Zunächst einmal: das ist gut! Nicht, dass man gestresst ist, aber, dass man sich dessen bewusst ist. Das ist eigentlich der erste und wichtigste Schritt zu dem, was man in der Psychologie „Selbstfürsorge“ nennt. Man sollte wirklich auf sich zu achten und die Signale ernst nehmen, die einem der Körper vermittelt.
Was ich nun in so einer Situation tun kann? Sport! Sportliche Betätigung ist im Grunde das perfekte Ventil, da hier die vom Körper bereitgestellte Energie sinnvoll eingesetzt und verbraucht werden kann. Reichern sich hingegen Anspannung und Adrenalin im Organismus an, kommt es zu den typischen Herz-Kreislauferkrankungen.
Wichtig ist auch, immer wieder bewusst Raum für schöne Momente in die Woche einzubauen, zum Beispiel Auszeiten mit Freunden oder Familie, oder auch allein in der Natur. Auf diese „Inseln“ kann man dann gedanklich flüchten, wenn der Stress gerade übermächtig zu werden droht. Das heißt, man denkt sich zurück in Momente des Glücks und der Zufriedenheit, lässt diese wieder aufleben. Die positiven Gefühle, die einen dabei überkommen, können den Frust oder den Druck der aktuellen Situation relativieren und einem ins Gedächtnis rufen, was im Leben wirklich wichtig ist oder wo die eigenen Stärken liegen. In der Beratung und beim Coaching arbeiten wir hier viel mit Bildern oder Symbolen. Manche Menschen stellen sich dann entsprechende Fotos oder Gegenstände auf den Schreibtisch, die in stressigen Situationen als Anker oder Wegweiser zur Insel dienen. Ein kurzer Blick darauf kann schon die stressmindernden internen Vorgänge in Gang setzen.
Außerdem helfen Entspannungsverfahren wie Atemtechniken, die sich sogar zwischendurch, während des Studiums- oder Arbeitsalltags durchführen lassen, und neue Kraft schenken. Wer unter körperlichen Verspannungen oder Schlafstörungen leidet, dem sei die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson empfohlen. Eine bewährte Methode, die sich sehr körpernah das bewusste Wechselspiel zwischen Anspannung und Entspannung zunutze macht.
Absolut. Zum einen im Sinne eines Gewöhnungseffektes, nach dem Motto: „Was uns nicht tötet, härtet uns ab.“ Aber abgesehen davon und noch viel wichtiger: Wir brauchen die Herausforderung, um mit ihr zu wachsen. Wer in Watte gepackt aufwächst und wem immer alles aus der Hand genommen wird, der entwickelt keine eigene Stärken und auch keine Widerstandskraft.
Schwierige Situationen zu meistern, ist eine ganz wichtige Erfahrung auf dem Weg zu einem positiven Erleben von Handlungskontrolle. Wenn wir kennenlernen, wie es ist, eine schwierige Aufgabe gelöst zu haben, entsteht das, was man in der Sozialpsychologie „Selbstwirksamkeitserwartung“ nennt – oder um es mit Obama zu sagen: Yes I can!
Jede Erfolgserfahrung bringt uns nicht nur soziale Anerkennung, möglicherweise auch materielle Entlohnung oder Status. Sondern wir gewinnen vor allem das gute Gefühl, den Anforderungen der Welt gewachsen zu sein und über die notwendigen Ressourcen zu verfügen – und das ist vielleicht die wichtigste Ressource überhaupt.
Liebe, Angst, Kreativität, Stress – alltägliche Begriffe, deren psychologische Hintergründe oft nicht bekannt sind. Deshalb widmet sich adhibeo in den kommenden Wochen diesen Begriffen und lässt dazu Experten zu Wort kommen. Bisher erschienen:
Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.
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