Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

„Man sollte den Studierenden so viel Lehr- und Lernverantwortung wie möglich übertragen“

von Redaktion, am 26.03.2015

Die Befähigung zu innovativem Denken und Handeln ist in einer dynamischen Welt überlebenswichtig. Das gilt für Individuen und Organisationen gleichermaßen. Doch kann man eigentlich lernen, innovativ zu sein? Ja, meint Prof. Dr. Lutz Becker, Studiendekan Sustainable Marketing & Leadership an der Hochschule Fresenius Köln. Im Interview erklärt er, auf welche Methode man dabei setzen sollte.

Sie setzen sich schon seit einiger Zeit mit der Frage auseinander, ob man Innovation erlernen kann, haben dazu kürzlich auch einen Beitrag im „Handbuch der Aus- und Weiterbildung“ veröffentlicht. Wie können Sie diese Frage nach Ihren bisherigen Erkenntnissen beantworten?

Ganz klar, man kann Innovation lernen. Aber man muss entsprechend methodisch vorgehen – und gerade das wird in vielen Bereichen nicht gemacht. Dabei ist es in einer sich immer schneller wandelnden Welt – wir leben immerhin in einer Zeit, in der das Moorsche Gesetz gilt –, dringend notwendig, dass man dazu in der Lage ist, sich diesem Wandel anzupassen. Das gilt für Individuen genauso wie für Organisationen.

An dieser Stelle wird übrigens auch wieder deutlich, wie stark die Begriffe Innovation und Evolution miteinander verwoben sind: „Survival of the fittest“, dieser Satz, der häufig mit Charles Darwin in Verbindung gebracht wird, aber eigentlich von dem Soziologen Herbert Spencer stammt, ist ein wichtiger Grundgedanke in der Innovationsdiskussion.

Innovation ist also die Befähigung, sich veränderten Umständen anpassen zu können. Mit welcher Methode lässt sich diese Befähigung denn nun entwickeln?

Ich halte mich in diesem Zusammenhang an die „Lernen durch Lehren“-Methode, die von Jean-Pol Martin, einem französischen Didaktiker, in den 1980er Jahren entwickelt wurde. Im Zentrum dieser Methode steht das Leitbild, dass der Mensch für das Lernen grundsätzlich in höchstem Maße selbstverantwortlich ist. Es geht also weniger darum, Wissen von außen an ihn heranzutragen, wie es zum Beispiel beim Frontalunterricht passiert. Die Aufgabe des Bildungssystems ist es vielmehr, die angesprochene Selbstverantwortung und damit einhergehend die Motivation zum Lernen zu fördern. Gelingt das, sind auch die Grundlagen für die Entwicklung von Innovationsgeist gelegt.

Wie setzen Sie die Methode konkret in der Unterrichtspraxis um?

Das fundamentale Prinzip der „Lernen durch Lehren“-Methode ist es, den Studierenden so viel Lehr- und Lernverantwortung wie möglich zu übertragen. Das heißt, man bringt sie in eine Position, in der sie für den Lernerfolg einer Gruppe verantwortlich zeichnen. Sie haben dabei die Aufgabe, einen bestimmten Lernstoff so zu vermitteln, dass ihre Kommilitonen ihn auch verarbeiten können. Das funktioniert natürlich nur, wenn man sich selbst tief in ein Thema eingearbeitet hat und entsprechende Unklarheiten und Fragen aus dem Stehgreif aus der Welt schaffen kann. Der Austausch und Dialog mit der Gruppe, der nicht nur bei Unklarheiten stattfinden soll, fördert zudem die Fähigkeit zur Perspektivübernahme, die für den Umgang mit Wandel und Innovation unabdingbar ist.

Und wer dazu in der Lage ist, die Sichtweise des anderen einzunehmen, der kann übrigens auch viel besser mit Kritik umgehen. Man versteht kritische Einwände besser, erkennt darin keinen persönlichen Affront, sondern vielmehr Schwierigkeiten beim Verstehen. Kritik bedeutet nicht immer, dass man etwas falsch gemacht und am Ende gar einen Gesichtsverlust erlitten hat. Das muss unbedingt raus aus den Köpfen – nicht nur in den Hochschulen, sondern auch in der Wirtschaft.

Das dürfte aber angesichts bestehender Organisationsstrukturen und -kulturen in den Industrieländern ziemlich schwierig sein, oder?

Klar, ist das nicht einfach. Man muss Geschäftsführung und leitende Angestellte mit ins Boot holen und sie dazu bewegen, die „Lernen durch Lehren“-Methode fest in der Unternehmenskultur zu verankern. Dazu gehört dann aber nicht nur ein Konzept, das die eben genannten Aspekte berücksichtigt, sondern auch, dass man den Mitarbeitern entsprechende Freiräume gibt. Starre Hierarchien, Vereinbarungen und Regelungen sind Gift für die Entwicklung von Innovationskompetenz!

Man sollte den Mitarbeitern stattdessen entsprechende Gelegenheiten und Räumlichkeiten bieten, in denen sie „out of the box“ denken können. Auch gängige organisatorische Instrumente wie Zielvereinbarungen sollten hinterfragt werden. Aus Gesprächen mit Arbeitnehmern weiß ich, dass diese sich regelmäßig und wider besseres Wissen gegen eine bestimmte Vorgehensweise entscheiden, weil diese die vereinbarte Zielerreichung gefährden würde.

Mit einer solchen Kultur wird ein Unternehmen es immer schwer haben, sich dem Wandel anzupassen. Die Unternehmen, die in den letzten Jahren mit innovativen Ideen erfolgreich waren, wie Apple oder Google, lassen eben ein Denken außerhalb der Strukturen, die es natürlich in irgendeiner Form auch geben muss, zu.

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Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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