Medien

Wirtschaft und Management

„Die mediale Welt läuft immer schneller vor der Wissenschaft her“

von Redaktion, am 14.11.2013

„The Next Big Thing“ – mit diesem Titel belegen Experten Medienphänomene, die das Zeug dazu haben, einen tiefgreifenden Wandel zu verursachen. Nach der Erfindung des Flachbildfernsehers wurde dieser Ausdruck bemüht, genauso im Zusammenhang mit dem Erfolg von Facebook oder Twitter. Die zeitlichen Abstände zwischen diesen Phänomenen werden immer kürzer, der Innovationsdynamik in der Medienwelt sei Dank. Für das Wissenschafts- und Bildungssystem bedeutet das: man läuft viel hinterher. Denn kaum hat man ein Phänomen ausreichend erforscht, um es auch sinnvoll in das Curriculum eines Studiengangs integrieren zu können, ist es schon nicht mehr aktuell. Hier müsse man eben die Möglichkeiten der „Freiheit der Lehre“ ausschöpfen, fordert Prof. Axel Beyer, Studiendekan Medien- und Kommunikationsmanagement berufsbegleitend an der HS Fresenius Köln. Im Interview erklärt er, was es damit auf sich hat – und warum man heute über rechtliches Wissen verfügen muss, um in der Medienwelt erfolgreich zu sein.

In einer Rede haben Sie vor kurzem darauf hingewiesen, welch große Herausforderung es für Wissenschaftler, Lehrende und Studierende ist, mit dem Wandel der Medien Schritt zu halten. Wie kann man diese Herausforderung meistern?

Das ist eine gute Frage, die mich häufig umtreibt. Wir haben das Problem – das ist uns als Hochschule im Übrigen sehr bewusst –, dass unsere Curricula, sobald vom Wissenschaftsrat verabschiedet, in Stein gemeißelt sind. Eigentlich müssten wir vier oder fünf Jahre warten, bis wir wieder etwas verändern können. Das ist eine lange Zeit, in der in der Medienwelt viel passiert.

Deswegen müssen wir immer wieder darüber nachdenken, ob und wie wir Themen integrieren können, die vielleicht vor zwei, drei Jahren noch gar nicht relevant waren. Nehmen wir das Thema „Aufmerksamkeitsökonomie“: Das gibt es natürlich schon lange, aber es ist in den letzten Jahren extrem virulent geworden. Plötzlich müssen wir es in unseren Lehrplan aufnehmen, obwohl es im offiziellen Curriculum nicht enthalten ist.

In der Aufmerksamkeitsökonomie geht es um die menschliche Aufmerksamkeit als wirtschaftliche Größe, richtig?

Anlässlich des Twitter-Börsengangs am 07.11. hat die adhibeo-Redaktion ein Medienspezial gestartet. In insgesamt fünf Artikeln werden aktuelle Medienthemen vorgestellt und von Experten beleuchtet. Zum Auftakt sprach Prof. Dr. Dominik Große Holtforth, Studiendekan Medien- & Kommunikationsmanagement an der HS Fresenius Köln, über die Gefahren und Chancen des Twitter-Börsengangs. In Teil 2 erzählte RTL-Moderator Parviz Khosrawi über seine Erfahrungen als Promireporter. Im heutigen Beitrag steht die Schnelllebigkeit der Medien im Mittelpunkt, die nicht nur unseren Interviewpartner Prof. Axel Beyer vor große Herausforderungen stellt. Es folgen in den kommenden Tagen:

  • Druck bleibt frisch: Eine Studie der HS Fresenius belegt, dass Verlage auch zukünftig auf Printprodukte setzen wollen
  • Erweitertes Erfahren: Was uns die Augmented Reality bringt

Genau. Aufmerksamkeit ist heute ein Wirtschaftsgut geworden. Es geht nicht mehr nur darum, Menschen dazu zu bewegen, den Fernseher einzuschalten oder im Internet zu surfen. Es geht vielmehr darum, dass sie das, was sie tun, auch wirklich wahrnehmen – und das bei der Vielzahl an Medien und medialen Reizen, denen Menschen heute ausgesetzt sind. Unternehmen buhlen hier also um die Aufmerksamkeit einzelner Personen. Darum, dass der Käufer einer Zeitung sie nicht nur durchblättert, sondern auch die darin geschaltete Werbeanzeige registriert oder, dass der Radiorezipient sein Gerät nicht nur nebenbei laufen lässt, sondern an ganz bestimmten Stellen auch richtig hinhört. Früher hat man die Aufmerksamkeit der Konsumenten für eine Werbeanzeige durch die Verkaufszahlen einer Zeitung gemessen – und das war damals durchaus sinnvoll. Heute jedoch erscheint diese Methode problematisch: beim Käufer liegt die Zeitung womöglich nur zuhause in einer Ecke, weil er vor lauter anderen medialen Reizen gar keine Zeit und Energie hat, sich mit diesem Produkt auseinanderzusetzen.

Eine hochaktuelle Thematik für die Medienwissenschaft …

… die wir im Unterricht natürlich behandeln müssen. Zum Glück existiert in Deutschland ja die Freiheit der Lehre. Wir können also intern darüber reden, ob wir bestimmte Themen einbauen, die nicht im Curriculum drinstehen – und die wir dort auch nicht nachträglich ergänzen können. Denn das Curriculum ist ja zugelassen und akkreditiert. Dennoch sollte für die Hochschulbildung die dynamische Welt der Bezugsrahmen sein – und nicht ein unveränderliches Schriftstück. Deshalb müssen wir Dozierende uns und unseren Lehrstoff ständig selbst beobachten und fragen: ist das Thema noch aktuell? Sollte man hier – natürlich nach Rücksprache mit den Kollegen – etwas ergänzen?

Nun ist die Veränderungsgeschwindigkeit der Medien ja nicht nur für die Lehre ein Problem, sondern auch für die Wissenschaft: sie kommt mit der Erforschung neuer Phänomene nicht mehr hinterher, ständig löst ein „Big Thing“ das nächste ab. Dadurch lassen sich Entwicklungen kaum noch vorhersagen – und genauso wenig natürlich Fehlentwicklungen. Entzieht sich die mediale Welt der Kontrolle durch die Wissenschaft?

Fakt ist: die mediale Welt läuft immer schneller vor der Wissenschaft her. Wissenschaftler brauchen natürlich eine gewisse Zeit, um Daten zu sammeln, Zusammenhänge zu überprüfen und auf bestimmte Gesetzmäßigkeiten hin zu untersuchen – das gilt allerdings für Wissenschaftler aller Fachrichtungen und deshalb hinkt die Wissenschaft der Entwicklung stets ein wenig hinterher. Das Problem heute aber ist, dass der Abstand zwischen einer neuen Technik und ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung immer größer wird, insbesondere im Medienbereich. Damit haben übrigens nicht nur klassische Medienwissenschaftler ihre Schwierigkeiten, sondern auch die Juristen: Ich erinnere mich, dass es über zehn Jahre gedauert hat, bis Gerichte festgestellt haben, dass die DVD der Nachfolger der Videokassette ist. Das zeigt: die mediale Entwicklung ist so schnell, dass im Prinzip alles damit Zusammenhängende nicht mehr Schritt halten kann.

Wenn wir schon beim Thema sind: den Studierenden ein Verständnis für die rechtlichen Rahmenbedingungen der Medienwelt zu vermitteln, ist Ihnen ein zentrales Anliegen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Denken Sie nur an die klassische Wertschöpfungskette: sie wurde durch die Digitalisierung komplett verändert und mit neuen Möglichkeiten ausgestattet. Man muss hier einfach wissen, dass jedes zusätzliche Medium ein eigenes Recht hat und dass dieses Recht eben zu berücksichtigen ist. Bei der Entwicklung einer neuen medialen Idee muss man diese Wertschöpfungskette im Hinterkopf behalten – auch weil es ja später bei der Zweit-, Dritt- oder gar Viertverwertung Verdienstmöglichkeiten gibt. Am eindrucksvollsten zeigen sich diese Möglichkeiten beim Blick auf die Filmindustrie. Wo es früher nur die Verwertungskanäle „Kino“ und „Fernsehen“ gab, kann man heute DVDs verkaufen, die Filmrechte an einen Pay-TV-Sender abtreten oder Video-on-Demand- und Web-TV-Plattformen als Vertriebsweg nutzen. Im Zusammenhang mit letzteren beiden Punkten wird auch deutlich, dass nationalstaatliche Regelungen bei der Filmverwertung nicht mehr ausreichen – das Internet kennt bekanntlich keine Grenzen.

Als Dozierender nutzen Sie im Unterricht natürlich gängige Definitionen, um Ihren Zuhörern Sachverhalte und Theorien näher zu bringen. Auch diese Definitionen sind aufgrund der Schnelllebigkeit der Medien einem steten Wandel unterworfen. Wie schwierig ist es, damit umzugehen?

Ja, das stimmt. Es herrscht wenig Einigkeit über die Verwendung von Begriffen, sowohl unter Medienwissenschaftlern als auch unter meinen Studierenden. Viele von ihnen bringen ganz unterschiedliche Medienbiographien mit und verknüpfen mit jeder Definition individuelle Erfahrungsbereiche. Ich stelle immer wieder fest, dass die meisten Studierenden an das Fernsehen denken, wenn von „Medien“ die Rede ist. Und wenn man dann danach fragt, was denn eigentlich Fernsehen ist, dann hat auch wieder jeder eine andere Definition. Genau hier beginnt unsere Arbeit mit den Studierenden: wir müssen gemeinsam zu einer eindeutigen Definition kommen, damit wir uns nicht ständig in der Vorlesung missverstehen. Wenn wir leisten können, dass die nachfolgende Generation dazu in der Lage ist, selbstständig Begrifflichkeiten festzulegen, dann haben wir schon ganz viel erreicht. Wenn Studierende unaufgefordert darüber nachdenken, ob die Huffington Post nun eine Zeitung ist oder nicht – und wenn ja warum? –, dann ist ein erster Schritt getan, sich in der dynamischen Medienwelt zurechtzufinden.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

0 Kommentare

Ihr Kommentar

Sie möchten Sich an der Diskussion beteiligen? Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!
Bitte beachten Sie dabei unsere Netiquette. Vielen Dank.

Schreiben Sie einen Kommentar