Psychologie und Wirtschaftspsychologie
„Wir verspüren heute einen ungeheuren Selbstverwirklichungsdruck“
von Redaktion, am 20.03.2014
Psychologie und Wirtschaftspsychologie
von Redaktion, am 20.03.2014
„Glück“ – ein erstrebenswerter Zustand und auch ein strapazierter Begriff, das zeigt ein Blick in deutsche Buchläden. Dort rühmen sich Kabarettisten, Mönche und selbsternannte Gurus, den richtigen Weg zum Glück zu kennen. Nach dem Bedeutungsverlust von Konventionen und Religionen scheinen viele Menschen diesen Weg nicht mehr zu finden. Heute, am Internationalen Tag des Glücks, hat adhibeo deshalb Prof. Dr. Claudia Gerhardt, Wirtschaftspsychologin und Expertin für Positive Psychologie an der Hochschule Fresenius Hamburg, zum Thema Glück befragt. Teil vier unserer Serie „Grundbegriffe der Psychologie“.
Das stimmt. In der deutschen Sprache verwenden wir das Attribut „glücklich“ ja zum Beispiel, wenn eine Person mehr durch günstige Schicksalsfügung als durch eigenes Können eine schwierige Situation meistert – „mehr Glück als Verstand“ unterstellt man ihr dann. Die Glücksforschung legt einen anderen Begriff zu Grunde: sie definiert Glück als einen über den einzelnen Moment hinausreichenden Zustand relativer Lebenszufriedenheit. Im englischsprachigen Raum spricht man in diesem Zusammenhang von „happiness“. Im Satz „mehr Glück als Verstand“ würde Glück dagegen eher mit „luck“ übersetzt. Die englische Sprache ist hier wesentlich präziser.
Eigentlich ganz gut. In Deutschland ist offenbar ein positiver Trend zu beobachten. Laut Eurobarometer und Glücksatlas sind wir in den vergangenen Jahren glücklicher bzw. zufriedener geworden. Im internationalen Vergleich liegen wir momentan im oberen Drittel. Natürlich muss man diesen Trend auch mit der aktuell guten wirtschaftlichen Lage in Zusammenhang bringen: den meisten Menschen hierzulande geht es finanziell gut, die Arbeitslosigkeit ist sehr niedrig. Und man muss auch differenzieren: Menschen in den westlichen Bundesländern fühlen sich im Schnitt zufriedener als in den östlichen Regionen.
Nicht unbedingt. Natürlich spielt die Wirtschaftssituation für die Zufriedenheit der Bevölkerung eine Rolle. Dennoch gilt es heute als gesichert, dass sich ab einem gewissen Niveau Glück und Wohlstand voneinander entkoppeln. Faktoren, wie die Qualität der sozialen Beziehungen oder die Sinnhaftigkeit des alltäglichen Tuns werden dann viel wichtiger.
Ich denke, da ist durchaus etwas dran. Wir unterliegen heute kaum mehr Handlungsbeschränkungen – paradoxerweise haben wir in den letzten hundert Jahren genau dafür gekämpft. Jetzt, da wir diese Freiheiten haben, verspüren wir plötzlich einen ungeheuren Selbstverwirklichungsdruck. Wir müssen ständig Entscheidungen treffen und uns am Ende auch noch für jede von ihnen rechtfertigen: „Du hattest die Wahl!“, heißt es womöglich vorwurfsvoll, wenn sich der gewählte Weg im Nachhinein als Sackgasse erweist. Das ist keine einfache Situation.
Dass wir mit einer solchen Vielzahl an Handlungsoptionen nicht klar kommen, zeigt sich übrigens auch immer wieder in wissenschaftlichen Untersuchungen: Aus der Werbepsychologie ist zum Beispiel bekannt, dass Aktionsstände mit Kostproben dann besser funktionieren, wenn die Auswahl begrenzt ist. Wenn dort also zu viele verschiedene Schokoladentafeln angeboten werden, verzichtet der Konsument lieber ganz. Oder denken Sie an all die Kaffeevarianten, die man in großen Ketten erwerben kann. Da sehnt sich mancher nach einfachem Filterkaffee zurück. Und aus Untersuchungen zum Einkaufsverhalten wissen wir: das Produkt, das wir nicht gekauft haben, erscheint im Nachhinein immer als die attraktivere Variante. Das ist kein angenehmer Zustand.
Zunächst einmal glaube ich, dass unsere Gesellschaft dieses Bedürfnis nach Orientierung sehr ernst nehmen sollte. Die Kirche ist zwar auch heute noch für viele Menschen ein richtungsweisender Leuchtturm. Dass sie aber wieder so stark wird, wie noch vor hundert Jahren, das halte ich für unwahrscheinlich. Die Menschen in der westlichen Welt setzen heute auf andere Stabilitätsfaktoren. Zum Beispiel auch wieder vermehrt auf Partnerschaft, Familie, Freunde – viele besinnen sich auf ihre sozialen Beziehungen und suchen dort Halt und Bestätigung. Wir sind nun mal grundlegend soziale Wesen.
Die Menschen haben hier ganz unterschiedliche Strategien entwickelt. Viele bauen eine emotionale Distanz zwischen sich und diesen Geschehnissen auf und verfolgen Immunisierungsstrategien.
Andere sind dazu nicht in der Lage oder möchten es nicht. Sie fühlen sich schuldig gegenüber den Betroffenen, selbst wenn diese sich am anderen Ende der Welt befinden. Man spricht in diesem Zusammenhang von existenzieller Schuld. Jene Personen kompensieren ihre Schuldgefühle schließlich damit, dass sie beispielsweise Geld spenden oder sich karitativ engagieren. Insofern sind Menschen mit solchen Merkmalen für eine Gesellschaft ziemlich wichtig.
Richtig. Und genau das müssen wir auch stärker unseren Kindern vermitteln. In verschiedenen Studien bewerten die Deutschen den Zusammenhalt in der Zivilgesellschaft als eher gering. Scheinbar neigen wir dazu, vor allem auf uns selbst zu achten – das sollte sich ändern.
Die Selbstoptimierung hat ja eine lange Tradition. Mit dem Aufkommen von Smartphones und anderen technischen Hilfsmitteln hat sie aber eine völlig neue Niveaustufe erreicht. Einige setzen die Geräte dazu ein, alles an sich zu vermessen – vom Blutdruck über die Atemfrequenz bis hin zur Schrittlänge. Für die Anhänger dieser sogenannten Quantified-Self-Bewegung hat das oft einen spielerischen Charakter – für Außenstehende eher etwas Absurdes: die Zeit, die die Leute damit verbringen, Daten teils sehr obsessiv von sich selbst zu erheben und auszuwerten, könnten sie ja auch optimaler – um im Bild zu bleiben – oder sinnstiftender nutzen. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg zum Glück ist. Aber das ist meine persönliche Wertung.
Ich kann diese Reaktanz durchaus nachvollziehen. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Thematisierung des Glücksbegriffs sinnvoll ist. Durch stärkeres Reflektieren – und hier kann der eine oder andere Ratgeber vielleicht hilfreich sein – lässt sich nämlich sehr wohl herausfinden, was glücklich macht. Man sollte die Menschen aber nicht zu ihrem Glück zwingen, wie es ja auch schon im Volksmund heißt. Sonst entwickelt sich hier ganz schnell und zu Recht eine Gegenbewegung – und plötzlich wollen die Menschen nicht mehr glücklich, sondern frei sein, auch unglücklich zu sein.
Ein Beleg dafür, dass etwas Derartiges schon existiert: Sie kennen ja Glückskekse. Letztens habe ich in einem Geschäft dann – vielleicht als Reaktion auf den allseitigen „Glücksterror“ – tatsächlich „Pechkekse“ gefunden. Und ich habe mir die Freiheit genommen, einen zu kaufen. Da stand: „Du bist irgendwie komisch. Und damit ist nicht lustig gemeint“.
Liebe, Angst, Kreativität, Stress – alltägliche Begriffe, deren psychologische Hintergründe oft nicht bekannt sind. Deshalb widmet sich adhibeo in den kommenden Wochen diesen Begriffen und lässt dazu Experten zu Wort kommen. Bisher erschienen:
Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.
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