Psychologie und Wirtschaftspsychologie
Wirtschaft und Management
Im Glauben liegt die Kaufkraft
von Redaktion, am 13.06.2013
Psychologie und Wirtschaftspsychologie
Wirtschaft und Management
von Redaktion, am 13.06.2013
Die Stimmung unter den Verbrauchern in Deutschland ist gut: Der Konsumklimaindex ist im Juni auf 6,5 Punkte gestiegen – und erreicht damit den höchsten Wert seit knapp sechs Jahren. Dabei hatte die EU-Kommission für das Jahr 2013 europaweit eine Rezession vorhergesagt. Warum bleiben die Deutschen trotz der Euro-Krise so optimistisch? Dr. Fabian Christandl, Studiengangsleiter Business Psychology an der Hochschule Fresenius Köln, gibt in einem Aufsatz eine interessante Antwort.
Die EU sei ein „Sanierungsfall“ verkündete EU-Kommissar Günther Oettinger vor wenigen Wochen. Er ist damit nicht der einzige Schwarzmaler in den Reihen seiner Behörde: Bereits im Februar hatte die EU-Kommission ganz offiziell für 2013 ein weiteres Krisenjahr vorhergesagt. Und während in vielen Ländern der EU tatsächlich Krisenstimmung herrscht, bleiben die Deutschen scheinbar unberührt: Der Konsumklimaindex kletterte im Juni auf 6,5 Punkte, den höchsten Wert seit September 2007. Die Sparneigung ist dagegen so niedrig wie noch nie. So geht es aus der GfK-Konsumklimastudie für Mai 2013 hervor. Warum bleiben die Deutschen trotz der Drohkulisse, die um sie herum aufgebaut ist, so positiv gestimmt?
Schon während des Höhepunkts der Finanzkrise zwischen 2007 und 2009 war man hierzulande vergleichsweise konsumfreudig geblieben: Während der DAX von 8000 auf 4800 Punkte fiel, blieb der GfK-Konsumklimaindex stabil, davon berichtet Dr. Fabian Christandl in seinem Aufsatz „The Belief in a Just World as a Personal Resource“. Christandl leitet den Masterstudiengang Business Psychology an der HS Fresenius in Köln und hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Laienwahrnehmung wirtschaftlicher Zusammenhänge beschäftigt. „Warum denkt der Mensch auf der Straße so anders als der Ökonom?“ – diese Frage habe er sich angesichts der paradoxen Datenlage dabei häufiger gestellt, berichtet der Wirtschaftspsychologe.
Einige Forschungsarbeiten später glaubt Christandl, eine mögliche Antwort auf diese Frage gefunden zu haben: „Es könnte sein, dass das Phänomen ‚Glaube an eine gerechte Welt‘ dafür verantwortlich ist.“ In zwei Studien hat er sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und dabei insgesamt mehr als 500 Personen befragt. Die Ergebnisse finden sich in der Publikation „The Belief in a Just World as a Personal Resource”. Am Beispiel der Finanzkrise und der Mehrwertsteuererhöhung im Jahr 2007 belegt Christandl darin, „dass die Überzeugung, einem selbst widerfahre das, was man verdient, dabei hilft, wirtschaftliche Krisensituationen durchzustehen“, wie er es im Interview ausdrückt.
Diese Pufferfunktion war bislang vor allem beim Umgang mit drastischen Lebensereignissen beobachtet worden: „Der Glaube an eine gerechte Welt gibt Menschen die Kraft, ein Erlebnis wie eine Querschnittslähmung oder eine Vergewaltigung zu verarbeiten“, sagt der Wirtschaftspsychologe. Dass er auch Menschen den Eindruck vermittelt, von ökonomischen Krisen weniger betroffen zu sein, sei dagegen relativ neu.
Nun hat auch der Staat durchaus Interesse daran, den in Christandls Aufsatz beschriebenen Effekt für sich zu nutzen: Schafft man es, seinen Bürgern den Glauben an eine gerechte Welt einzuimpfen, werden sie auch in Zeiten der Krise konsumfreudig bleiben und der Wirtschaft neue Impulse geben. Doch kann man lernen, von der Gerechtigkeit der Welt überzeugt zu sein? „Bis zu einem gewissen Grad schon“, meint Christandl, „denn wer viele positive Erfahrungen macht, dessen Glaube an eine gerechte Welt ist erwiesenermaßen stärker.“ Daher müsse der Staat versuchen, eine optimistische Grundstimmung zu schaffen. Gezielte Medienkampagnen könnten hier ein probates Mittel sein, dieses „positive Framing“ zu erreichen.
Generell wird der Grundstein für diese Lebenseinstellung aber natürlich in der Erziehung gelegt. Welche Rolle die Religion dabei spielt, ist unklar. Eigentlich sollten gerade religiöse Menschen, die Gott als den weisen Entscheider über Leben und Tod im Hintergrund wähnen, an eine gerechte Welt glauben. Laut Christandl ist dieser Zusammenhang aber nicht so stark wie vermutet: „In Deutschland ist der Glaube an eine gerechte Welt sehr weit verbreitet – auch unter Personen, die nicht religiös sind.“
Egal, woher diese Überzeugung nun kommt – sie ist immer ein Stückweit auch verzerrte Wahrnehmung. In Christandls Aufsatz ist hier von einer „positiven Illusion“ die Rede. Sind die Betroffenen womöglich sogar krank? „Nein, soweit würde ich nicht gehen“, sagt der Wirtschaftspsychologe, „auch wenn ein gewisses Gefahrenpotential vorhanden ist.“ Vielmehr wirke das Phänomen in der Logik der Selbsterfüllenden Prophezeiung: „Personen, die von einer gerechten Welt überzeugt sind, malen sich die Zukunft häufig sehr rosig aus – und investieren unbewusst viel mehr Energie, damit dieser Zustand auch eintrifft.“
Übertragen auf das Wirtschaftsleben bedeutet das: Der Bürger investiert nicht nur Energie, er investiert Geld. Er kauft ein und konsumiert – und hält so die Wirtschaft trotz Krisenstimmung am Laufen.
Fabian Christandls Aufsatz „The Belief in a Just World as a Personal Resource in the Context of Inflation and Financial Crises“ erscheint in der Juli-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Applied Psychology – An International Review“.
Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.
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