Therapie

„Ich mag keine blonden Therapeuten“

Unter diesen Titel stellte Prof. Dr. Lena Sabaß ihre Antrittsvorlesung, die sie im November an der Hochschule Fresenius in München hielt. In ihrem Vortrag widmete sie sich der Beziehung zwischen Psychotherapeuten und ihren Klienten. Im Interview erläutert die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin, wie diese Beziehung die Behandlung psychischer Störungen beeinflussen kann und warum sie selbst auf eine motivorientierte Beziehungsgestaltung setzt.

IN WELCHER WEISE WIRD DIE BEZIEHUNG ZWISCHEN THERAPEUT UND KLIENT AUS IHRER SICHT AKTUELL NICHT AUSREICHEND BERÜCKSICHTIGT?

Mit dem Vormarsch der Verhaltenstherapie als psychotherapeutischer Behandlungsmethode ist es momentan sehr en vogue, standardisierte Behandlungsmanuale zu publizieren und anzuwenden. Das sind sehr strukturierte Handlungsanleitungen, wie Psychotherapeuten bei der Behandlung jeweils einer spezifischen psychischen Störung vorzugehen haben. Die darin beschriebenen Verfahren, zum Beispiel, dass man bei Depressionen zuerst mit einer Verhaltensaktivierung startet oder dass man bei einer Angststörung eine Konfrontation mit dem angstauslösenden Reiz durchführt, sind in klinischen Studien an ausselektierten Patienten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gut überprüft worden. Jedoch werden in diese Studien bestimmte Teilnehmer oft nicht aufgenommen, beispielsweise, wenn Komorbiditäten gegeben sind, wenn also zwei oder mehr Störungen gleichzeitig bestehen, wenn ihre psychische Störung schon chronisch ist oder einfach zu schwer oder wenn sie zudem an einer Persönlichkeitsstörung leiden und Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich zeigen. Hier reichen alleinige Psychotherapietechniken wie die genannte Verhaltensaktivierung nicht aus. Denn was machen Sie, wenn im Manual steht, jetzt XY mit dem Klienten machen, aber dieser gar nicht mitmacht? Psychotherapeuten machen es sich dann leicht, wenn sie sagen, oder zumindest denken: Wer nicht will, der hat schon. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass man oft mit einer reinen Technik nach Schema X ohne die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Ziele des Klienten nicht weiterkommt, sondern die Beziehung zwischen Psychotherapeut und Klient wichtig wird.

WAS GENAU MÜSSEN WIR UNS UNTER EINER MOTIVORIENTIERTEN BEZIEHUNGSGESTALTUNG IN DER PSYCHOTHERAPIE VORSTELLEN?

Klaus Grawe und Franz Caspar haben einen Ansatz entwickelt, wie man die Therapiebeziehung einsetzen kann, um Klienten zu unterstützen, ihre individuellen Ziele zu erreichen. Menschen streben danach, ihre psychischen Grundbedürfnisse wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Bindung zu befriedigen. Nur manchmal sind eben ihre Wege, man nennt das Pläne, dies zu erreichen ungünstig und das sorgt für ein geringeres psychisches Wohlbefinden. Wenn zum Beispiel jemand trinkt, um den Plan „Werde als selbstsicher und geselliger von anderen wahrgenommen“ umzusetzen, um so wiederum Nähe und Zuwendung zu erhalten, dann ist das vielleicht kurzfristig gut, aber langfristig ist die sich gegebenenfalls entwickelnde Sucht keine sehr gute Lösung, um diese Ziele zu erreichen. Oder wenn jemand immer aggressiv abweisend auf andere reagiert, um so vielleicht sicherzustellen, dass er von anderen auf keinen Fall wieder verletzt oder überrollt wird, dann mag das vielleicht früher einmal in unguten, missbräuchlichen Beziehungen hilfreich gewesen und gelernt geworden sein. Jetzt aber verhindert dieses Verhalten, sich auf neue Kontakte einzulassen und neue, eben auch gute Beziehungen aufzubauen. In der motivorientierten Beziehungsgestaltung unterstützen Psychotherapeuten die Klienten, ihre Motive und Ziele mit weniger nebenwirkungsreichen Plänen zu erreichen.

SIE SIND SELBST PSYCHOLOGISCHE PSYCHOTHERAPEUTIN, HABEN IN VERHALTENSTHERAPIE APPROBIERT. WARUM SETZEN SIE SICH DAFÜR EIN, EINE PSYCHOTHERAPEUTISCHE BEHANDLUNG NICHT STRIKT ENTLANG EINER THERAPIERICHTUNG ZU GESTALTEN?

In Deutschland wird die psychotherapeutische Behandlung nur mittels zwei großer Therapieansätze von den Krankenkassen bezahlt. Psychologen müssen sich in einer staatlich geregelten Weiterbildung in Verhaltenstherapie oder in psychoanalytischer Psychotherapie bzw. tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie spezialisiert haben. Beide Therapieansätze haben aber sowohl Vor- als auch Nachteile. Bei der Verhaltenstherapie ließe sich zum Beispiel bemängeln, dass die Therapiebeziehung nur als gutes Arbeitsbündnis verstanden wird, welches man am Anfang herzustellen habe, indem sich Psychotherapeuten und Klienten auf Ziele und Vorgehen inklusive der Methoden einigen, die angewandten Therapietechniken aber für die eigentliche Veränderung stehen würden. Psychoanalytischen Verfahren wird hingegen kritisch nachgesagt, dass es zu viel und in zu langandauernden Therapien nur um alte Beziehungen aus der Kindheit und deren Übertragung auf die Beziehung zum Therapeuten ginge und dabei der Transfer in den Alltag sowie hilfreiche und in der Forschung gut evaluierte Techniken außer Acht gelassen würden.

Als Verhaltenstherapeutin bringe ich also ein gutes Störungswissen mit, das sich mit der medizinischen Sichtweise versteht, sowie einen Schatz an unterschiedlichen Methoden und Techniken, die empirisch gut abgesichert sind. Dieses Wissen und diese Fertigkeiten möchte ich nicht missen. Darüber hinaus müssen sich aber Verhaltenstherapeuten noch etwas zur anderen Seite lehnen und können sich viel abschauen von Therapierichtungen, die sich mehr um das kümmern, was im Kontakt zwischen Therapeut und Klient passiert, und damit arbeiten. Das Gleiche gilt auch für das andere Lager. So beginnen nun psychoanalytisch oder tiefenpsychologisch arbeitende Kollegen, sich auch um Weiterentwicklung und um die empirische Absicherung ihres Verfahrens in klinischen Studien zu bemühen. Wenn beide Therapierichtungen über ihren jeweiligen Tellerrand schauen, können beide Seiten nur gewinnen. Übrigens: Die meisten Klienten denken auch nicht unbedingt in Therapieschulen. Wenn sich jemand entscheidet, Hilfe in einer Psychotherapie zu suchen, dann möchte er für sein individuelles Problem eine individuelle Lösung unter Zuhilfenahme von Methoden, die sich in wissenschaftlichen Studien bereits als wirksam erwiesen haben.