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Wirtschaft und Management

„Jeff Bezos will die ganze Welt!“

von Redaktion, am 10.09.2014

Turbulente Zeiten für den Smart Phone-Markt: Erst gab Amazon Anfang der Woche den Deutschland-Verkauf seines neuen Fire Phones frei, einen Tag später präsentierte Apple in Cupertino das iPhone 6. Schafft es Amazon-Chef Jeff Bezos mit seinem neuen Produkt den Konkurrenten Apple herauszufordern? Ja, glaubt Jürgen Jacob, Handelsexperte und Dozent an der Hochschule Fresenius München. Das Fire Phone verkürze die sogenannte Reise des Kunden beträchtlich und ermögliche eine Datensammlung von gewaltigem Ausmaß, wie er im Gespräch mit adhibeo erklärt.

adhibeo: Herr Jacob, ab sofort kann man das neue Fire Phone von Amazon in Deutschland vorbestellen. Mit dem Produkt wagt Amazon-Chef Jeff Bezos nun auch in Deutschland den Angriff auf die etablierten Smartphone-Platzhirsche Apple, Google und Windows – und setzt gleichzeitig seine aggressive Geschäftsstrategie fort. Wie würden Sie diese Strategie beschreiben?

Jürgen Jacob: Zunächst einmal folgt Bezos dem Beispiel Apple und schafft eine Art geschlossenes System: Er liefert mit dem Fire Phone die Hardware, auf der ausschließlich die hauseigene Software funktioniert und dockt dann auch noch an den bisherigen Amazon-Service, den Warenversand, an. Insgesamt wird er mit diesem Modell den Handel verändern, so wie iTunes seinerzeit die Musikindustrie nachhaltig verändert hat.

Sie sprechen Amazons Marktmacht im Bereich Online-Vertrieb an. An der Funktion Firefly zeigt sich, wie das Unternehmen diese Macht nutzen wird: Über die integrierte Funktion kann der Fire Phone-Nutzer in Deutschland Informationen zu über 80 Millionen Produkten abrufen, auch ein sofortiger Kauf ist in vielen Fällen möglich. Wer diesen Service nutzen will, muss nur ein Produkt mit dem Fire Phone fokussieren – es funktioniert angeblich sogar beim Fernsehen. Verhilft das dem Fire Phone zum Erfolg?

Amazon verändert durch diesen Service die gesamte Customer Journey. Der Kunde durchläuft bekanntermaßen unterschiedliche Phasen, bis er sich schließlich zum Kauf eines Produkts entscheidet. Für gewöhnlich dauert es, bis aus einem Wunsch ein Kaufentschluss wird.

Der Fire Phone-Nutzer dagegen sieht etwas, das ihm gefällt – egal wo – und kann es sofort kaufen. Ein Beispiel: Ein Zuschauer verfolgt ein Britney Spears-Konzert im Fernsehen und ist davon so begeistert, dass er die DVD dazu haben will. Einmal kurz das Fire Phone auf den Bildschirm richten, das Produkt via Firefly bestellen – und schon am nächsten Tag ist es im Briefkasten. Amazon hat hier einige Hindernisse auf der „Reise des Kunden“ aus dem Weg geräumt.

Dennoch ist der deutsche Smartphone-Markt doch relativ gesättigt – und demnächst kommt das neue iPhone 6, das gestern im US-amerikanischen Cupertino vorgestellt wurde, auf den Markt.

Das stimmt zwar, und Apple hat hier sicherlich auch noch einen Imagevorteil. Aber sollten Preis und Qualität des Fire Phones – hier werden mit Sicherheit bald die ersten Tests veröffentlicht – stimmen, dann hat das Produkt trotzdem eine Chance.

Klar, viele Smartphone-Nutzer in Deutschland befinden sich aktuell in bestehenden Vertragsverhältnissen. Aber wenn Amazon hält, was es mit dem Fire Phone verspricht, werden die Kunden abwandern. Das war schon immer so: Wer mit einer bahnbrechenden neuen Technologie kommt, der kann auch in gesättigten Märkten erfolgreich sein und bestehende Markt- und Machtverhältnisse verändern. Deutschland wird Jeff Bezos dabei übrigens nicht genug sein – er will die ganze Welt!

Ähnlich wie Amazon mit der Firefly-Funktion wartet auch Apple mit einem neuen Service auf: Mit Apple Pay, einer in den neuen Geräten integrierten Software, soll das Zahlen per Fingerabdruck möglich werden. Wie schätzen Sie diese Innovation ein?

Diese neue Funktion hat jetzt die Sicherheitshürden überwunden. Kooperiert der Handel – und das sollte er, denn mit Apple Pay entfallen erhebliche Kosten beim Personal und Geldverkehr –, wird die Innovation auch erfolgreich sein.

Egal, ob Apple Pay oder Amazon Firefly: Klar ist, dass das Smartphone noch stärker zum Datensammeln eingesetzt werden kann als bisher. Werden die Kunden das akzeptieren?

Sollte sich das Fire Phone durchsetzen, dann rückt Amazon dem Datensammler Nummer 1, nämlich Google, tatsächlich dicht auf die Pelle. Der Firefly-Service liefert dem Unternehmen Informationen über die Konsumwünsche und das Kaufverhalten der Nutzer, die Funktion Dynamic Perspektive registriert, wie das Fire Phone momentan bewegt wird – und damit, ob der Nutzer gerade steht, liegt oder schnell geht. Das eröffnet dem Unternehmen neue Erkenntnisse.

Die Frage, ob die Kunden dieses Spiel mitmachen, beantworte ich mit ja. Die Diskussion über den gläsernen Konsumenten wird schon seit einigen Jahren geführt – sind dadurch die Umsätze von Amazon, Google oder Apple eingebrochen? Nein! Auch das Image dieser Firmen leidet nicht darunter: Amazon ist laut Umfragen die vertrauenswürdigste Marke Deutschlands. Wenn mir ein Unternehmen so viele Vorteile bringt, dann sehe ich eben gerne mal über die negativen Aspekte hinweg – leider ist das bei Billig-Textilien und Billig-Fleisch genauso.

Das Geheimnis des Amazon-Erfolgs ist auch die extreme Kundenorientierung, worauf eben auch Jeff Bezos sehr viel Wert legt. „Die Kunden sind Götter”, soll er einmal gesagt haben. Diese Haltung erklärt vielleicht auch, warum das neue Fire Phone mit einer außergewöhnlichen Support-Funktion ausgestattet ist: Bei Nutzungsproblemen kann man sich über die sogenannte Mayday-Taste an einen Amazon-Experten wenden, der dann binnen 15 Sekunden per Live-Video zugeschaltet wird und über den Display hilfreiche Tipps gibt. Lässt sich das technisch und auch vom Personalaufwand her wirklich umsetzen?

Ich glaube, dass Bezos nichts verspricht, was er nicht für umsetzbar hält. Wenn Kunden Götter sind, dann müssen ihnen eben auch Opfergaben gebracht werden – und das sind in diesem Zusammenhang extreme, vor allem innovative Serviceleistungen für den Kunden. Im weltweiten Netz von Callcentern stehen gut ausgebildete und geschulte Kundenbetreuer rund um die Uhr bereit. Irgendwo ist immer Tag, so ist der Service 24 Stunden und sieben Tage in der Woche verfügbar. Klar, wenn Millionen Menschen gleichzeitig die Mayday-Taste drücken, könnte es Probleme geben. Dennoch, ich denke, die Sache ist sicher gut durchdacht.

Durch die Support-Funktion überträgt Bezos übrigens die Vorteile des stationären Handels in den Mobile-Bereich: Der Fire Phone-Nutzer erhält Unterstützung und Beratung von einer Person aus Fleisch und Blut, die ganz individuell auf seine Bedürfnisse eingeht. Das einzige, was noch fehlt, ist die sinnliche Komponente. Riechen, schmecken, fühlen – das funktioniert über das Smartphone nicht, noch nicht.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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