Gesundheit, Therapie und Soziales
Wirtschaft und Management
„Die Medizin im Allgemeinen muss viel geschlechtsspezifischer werden“
von Redaktion, am 08.04.2014
Gesundheit, Therapie und Soziales
Wirtschaft und Management
von Redaktion, am 08.04.2014
Der soziale Faktor Geschlecht spielt auch im Gesundheitswesen eine wesentliche Rolle, das belegen zahlreiche Studien. Im Jahrbuch Gendergesundheit sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Prof. Dr. Clarissa Kurscheid, Studiendekanin Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius Köln, hat das Buch mitherausgegeben. Im Interview spricht sie über das unterschiedliche Behandlungsverhalten männlicher und weiblicher Ärzte, die geschlechtsspezifische Wirkung von Medikamenten und die zukünftigen Inhalte von Beipackzetteln.
In dem Buch untersuchen wir unterschiedliche gesellschaftliche und medizinische Kontexte des Gesundheitswesens, in denen der soziale Faktor Geschlecht eine Rolle spielt. Meine Fachkollegen und ich haben uns dabei sowohl die einzelnen Akteure, also Patienten, Ärzte oder auch Pharmazeuten, als auch die strukturellen Bedingungen angesehen.
Die Genderperspektive ist weiterhin eine nicht zu vernachlässigende Einflussgröße im deutschen Gesundheitswesen. Positiv lässt sich aber hervorheben, dass auch eine gewisse Sensibilisierung stattgefunden hat. Es ist ins Bewusstsein vieler Beteiligter vorgedrungen, dass Gesundheit und Medizin eine geschlechtsspezifische Dimension haben.
Nehmen Sie zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient. Untersuchungen belegen, dass insbesondere chronisch kranke Patienten ein höheres Maß an Compliance an den Tag legen, also den ärztlichen Ratschlägen und Handlungsempfehlungen stärker nachkommen, wenn sie von einer Frau behandelt werden. Die erhöhte Empathiefähigkeit von Ärztinnen scheint bei Patienten – egal, ob diese nun männlich oder weiblich sind – gut anzukommen.
Nicht egal ist das Geschlecht eines Patienten in einem anderen Zusammenhang. In mehreren Studien belegt Frau Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, dass Frauen mit Herzinsuffizienz anders behandelt werden als Männer: da sie die Schmerzen, die von der Insuffizienz herrühren, anders empfinden und lokalisieren, wird das Krankheitsbild seltener erkannt – was im schlimmsten Fall zum Herzinfarkt führt. Hier muss die Medizin im Allgemeinen viel geschlechtsspezifischer werden. Das gilt übrigens auch für die Pharmazie.
Lange Zeit wurde die Wirkung von Medikamenten nur an männlichen Probanden getestet. Frauen wurden aufgrund ihres Schwangerschaftsrisikos nicht berücksichtigt – das war sogar so vorgeschrieben. Eine derartige Regelung macht natürlich nur wenig Sinn, da Frauen sich hinsichtlich ihres Gewichts, ihrer Größe und ihrer gesamten physiologischen Konstituierung von Männern unterscheiden und Medikamente bei ihnen dementsprechend anders wirken.
Heute kommen vermehrt auch Frauen als Testpersonen zum Einsatz. Defizite bei der Erforschung der geschlechtsspezifischen Wirkung von Medikamenten sind aber weiterhin vorhanden.
Natürlich ist dieser Tag eine gute Gelegenheit, das Thema Gendergesundheit ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Ich möchte aber auch sagen, dass es dort eigentlich schon relativ gut angekommen ist. Seit einigen Jahren steht das Thema Gender ja ganz oben auf der gesellschaftlichen Agenda – und davon hat eben auch das Gesundheitswesen profitiert.
Mittlerweile haben die Akteure dort eine gewisse Sensibilität für die geschlechtsspezifische Wirkung von Medikamenten entwickelt und erkannt, dass ärztliches Diagnose- und Behandlungsverhalten noch immer in vielen Fällen von geschlechtsbezogenen Vorurteilen angeleitet wird.
Nicht zuletzt wird das Thema Gender auch bei genauerer Betrachtung der strukturellen Ebene des Gesundheitswesens immer wichtiger: Frauen sind dort überrepräsentiert, der deutsche Gesundheitssektor ist eindeutig weiblich geprägt. Und er wird es – mit Blick auf das Geschlechterverhältnis in Studienfächern wie Medizin oder Pharmazie – auch bleiben.
Ich glaube, es ist noch viel zu tun. Auf lange Sicht, also sagen wir bezogen auf einen Zeitraum von zehn Jahren, wünsche ich mir, dass jeder Beipackzettel eines Medikaments die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Wirksamkeit ausweist. Genauso soll darauf auch schon in Medizin- und Pharmazielehrbüchern aufmerksam gemacht werden, damit die nachrückenden Arbeitskräfte schon früh dafür sensibilisiert werden.
Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.
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