Medien

„Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen sich nicht auf eine besserwisserische Erziehungsfunktion zurückziehen“

von Redaktion, am 26.02.2016

Es scheint schlecht bestellt zu sein um die deutsche Fernsehunterhaltung, zumindest was die heimischen Produktionen öffentlich-rechtlicher Sender betrifft. Sinkende Zuschauerquoten bei ehemaligen Flaggschiffen der deutschen Fernsehunterhaltung, gescheiterte Wiederbelebungsversuche von Show-Giganten wie „Wetten, dass…?“ oder auch öffentlich ausgetragenes Gerangel zwischen den ARD-Anstalten, wie im Fall der ESC-Nominierung von Xavier Naidoo, zeugen von einer öffentlich-rechtlichen Fernsehunterhaltung in der Krise. Dabei können ARD und ZDF nicht auf Unterhaltung verzichten. Die Anstalten sind gesetzlich verpflichtet, neben Information, Bildung und Kultur auch ein breites Unterhaltungsprogramm für ihre Zuschauer zu bieten.

Was hat zu dieser Entwicklung geführt, welche Rolle spielen die privaten Konkurrenten, die sinkende Attraktivität des Mediums Fernsehen oder die internen Organisationsstrukturen von ARD und ZDF? adhibeo hat zu diesen Themen mit dem früheren ZDF-Unterhaltungschef Axel Beyer gesprochen. Heute stellt der 65-jährige Fernsehexperte seine Kompetenz der Hochschule Fresenius Köln als Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement zur Verfügung.

Was macht gute Fernsehunterhaltung heutzutage aus?

Zunächst einmal kann man feststellen, dass sich das Prinzip von Unterhaltung im Fernsehen nicht verändert hat. Es geht darum, Emotionalität beim Zuschauer zu wecken. Das kann in alle Richtungen gehen: Provokation, Ärger oder Spaß. Nur langweilen dürfen Sie ihre Zuschauer nicht. Nimmt man als Beispiel Unterhaltungsshows, dann gibt es nur wenige Grundideen, auf die Fernsehmacher im Zeitablauf immer wieder zurückgegriffen haben. Etwa die klassischen Quiz- oder auch Musik-Shows. Geändert haben sich auf jeden Fall die technischen Möglichkeiten der Produktion, das Aktionstempo und die Fernsehnutzung.

An was sollte sich der Erfolg von Unterhaltung messen?

Ein wichtiger Gradmesser ist natürlich der Zuschauererfolg, also der Marktanteil. Alle Unterhaltungsformate müssen versuchen, Mehrheiten zu finden. Das ist heute allerdings schwieriger als früher.

Ein weiterer Maßstab für den Erfolg einer Sendung ist die mediale Nachwirkung. Wie wird eine Sendung öffentlich aufgegriffen, etwa in den sozialen Medien? Sofern es Unterhaltungsformate schaffen, dass auch Tage später noch öffentlich über sie diskutiert wird, ist einiges richtig gelaufen.

Welche Zukunft hat Unterhaltung im deutschen Fernsehen?

Ich denke, dass die Zeit der großen Shows vorbei ist. Früher hat sich die gesamte Familie vor dem Fernseher versammelt, wenn „Verstehen Sie Spaß?“ lief oder auch der „Eurovision Song Contest“. Das lineare Fernsehen verliert an Boden, damit sinkt auch seine Fähigkeit, große Zuschauermassen mit einzelnen Leuchtturmformaten vor den Bildschirm zu locken.

Das neue Fernsehen muss sich noch besser auf die Bedürfnisse seiner Zuschauer einstellen. Diese wollen Unterhaltungsprogramme über verschiedene Kanäle schauen, und zwar nicht-linear – also zu einem beliebigen Zeitpunkt – und in dem von ihnen präferierten System. Also beispielsweise im Internet, auf digitalen Kanälen und mit einem hohen Grad an Interaktivität.

Die Nachfrage nach Unterhaltung ist ungebrochen groß. Generell bewegt sich das Entertainment ja bereits seit Jahren aus seinem angestammten Bereich heraus und ist in politische und informative Formate eingezogen. Denken Sie beispielsweise an den Politik-Talk „Hart aber fair“. Die Sendung erfüllt durchaus die Kriterien guter TV-Unterhaltung. Die Zusammensetzung der Gäste sorgt für Spannung, die Einspiel-Filme sind provokativ und humorvoll.

„Hart aber fair“ ist eines der erfolgreicheren Formate, das die ARD in der jüngeren Vergangenheit geschaffen hat. Wie gut sind die öffentlich-rechtlichen Sender im Bereich Unterhaltung aufgestellt?

Bei der klassischen Unterhaltung haben die öffentlich-rechtlichen Sender in den vergangenen Jahren nicht nur den relativen Programmanteil reduziert, sondern gleichzeitig auch personelles Knowhow verloren. ARD und ZDF haben auf die ihnen im dualen System anerkannten Kernkompetenzen gesetzt: Information und Bildung. Dabei haben sie ihre Unterhaltungskompetenz vernachlässigt. Das zeigt sich unter anderem am missglückten Versuch, ein Show-Flaggschiff wie „Wetten, dass…?“ mit einem neuen Moderator zu besetzen, ohne die Show an die Person des Entertainers anzupassen.

Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender auch in Zukunft als Massenmedium wahrgenommen werden wollen, müssen sie dem Publikumswunsch nach gutem Entertainment gerecht werden. Sie dürfen ihre Zuschauer nicht bevormunden und sich auf eine besserwisserische Erziehungsfunktion zurückziehen. Der Zuschauer merkt ja, dass ihm nicht auf Augenhöhe begegnet wird. Dann wandert er zu den Privaten ab oder ins Internet.

Gute Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen muss also weit mehr sein als „Verstehen Sie Spaß?“ – auch wenn das eine gut gemachte Show und Guido Cantz ein toller Moderator ist. Aber leider haben die Versäumnisse in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Unterhaltungsredaktionen bei ARD und ZDF mittlerweile deutlich schlechter besetzt sind als früher. Viele gute Leute sind gegangen und heute mehr bei privaten Produktionsfirmen zu finden.

Sie waren ja selbst seit den 80er Jahren Redakteur und später Leiter der WDR Fernsehunterhaltung. Beim ZDF haben Sie zwischen 1995 und 1998 „Wetten, dass…?“ verantwortet. Was hat sich gegenüber früher verändert?

Das waren damals natürlich andere Zeiten. Die Privaten sind erst 1984 auf Sendung gegangen und waren in den Anfangsjahren keine Konkurrenz. Wir konnten unsere Ideen weitgehend ohne Druck entwickeln. Selbst Anfang der 90er Jahre zeichnete sich das Unterhaltungsangebot von RTL noch durch Shows wie „Tutti Frutti“ aus, einem Erotik-Quiz. Allerdings haben viele Fernsehverantwortliche bei ARD und ZDF damals die künftige Rolle der Privaten unterschätzt.

Aktuell gibt es national wie international im TV-Geschäft generell nur wenige neue Erfolgsformate. Einige sind für ARD und ZDF nicht umsetzbar. Sie erfordern eine aufwendige Verwertungsmaschinerie im Nachgang – etwa die kommerzielle Vermarktung von Casting-Show-Siegern oder extrem hohe Preisgelder. Über Gebührengelder ist das nicht finanzierbar. Und auf manche Sachen können sich ARD und ZDF auch nicht einlassen.

Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern wird in vieler Hinsicht geäußert. Diese bezieht sich nicht nur auf das Programm, sondern auf Strukturen, zu hohe Beiträge, mangelnde Reformfähigkeit oder unklare Entscheidungsprozesse. In welchen Bereichen halten Sie Kritik für gerechtfertigt?

Öffentlich ausgetragene Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Mitgliedern der ARD oder auch den Programmbereichen Unterhaltung, Information und Bildung schaden auf jedem Fall dem Ansehen. Das haben wir im letzten Winter bei der ESC-Nominierung von Xavier Naidoo gesehen. Hier bedarf es im Vorfeld einer besseren Abstimmung zwischen den ARD-Anstalten und die Offenlegung interner Entscheidungsprozesse. Das Thema Transparenz ist enorm wichtig. Und dabei reicht es nicht aus, die Intendanten-Gehälter zu veröffentlichen. Erforderlich ist ein klares Signal nach außen, der Wille zu Reformen und ein Bekenntnis zu transparenten Entscheidungen.

Und natürlich sind massive Strukturreformen notwendig. Hier stehen die Sender vor enormen Herausforderungen. Der größte Anteil des Beitragsaufkommens wird heute nicht für das Programm verwendet, sondern von den Personalkosten verschluckt. Damit das System auch in Zukunft noch bezahlbar bleibt und nicht kollabiert, bedarf es weitreichender Eingriffe. Das wird strategisch teilweise noch unterschätzt. Gute Ansätze sind da. Die Bündelung von Knowhow und die Zusammenlegung von Redaktionen macht Sinn. Beispielsweise prüft der Bayerische Rundfunk, inwieweit sich ein Sender überhaupt noch getrennte Hörfunk- und Fernsehredaktionen leisten kann. Auch das föderale Nebeneinander von neun ARD-Anstalten, neun dritten Programmen und einem ZDF darf hinterfragt werden. Passt das noch in die heutige Medienlandschaft, ist das politisch noch vertretbar?

Und was raten Sie den öffentlich-rechtlichen Sendern im Hinblick auf Ihre Unterhaltungsangebote?

Gute Fernsehunterhaltung darf man nicht den Privatsendern überlassen, sie gehört zum öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrag. ARD und ZDF können es sich nicht leisten, Unterhaltung als „Anhängsel“ anderer, vermeintlich wichtigerer Programmbereiche wie Information oder Bildung zu behandeln. Die Sender müssen mitbekommen, was ihre Zuschauer interessiert, was sie aufregt oder beschäftigt. Das sollten sie aufgreifen, ohne das Publikum „von oben herab“ zu behandeln. Letztlich muss die Idee stimmen, und man braucht gut ausgebildete Redakteure in den Unterhaltungsredaktionen. Der Stellenwert der Unterhaltung bei ARD und ZDF sollte also wieder deutlich aufgewertet werden.

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Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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