Psychologie und Wirtschaftspsychologie

„Die aktuelle Flüchtlingskrise zeigt, wie wichtig Empathie für ein friedliches soziales Auskommen ist“

von Redaktion, am 23.10.2015

Zu Gast in Deiner Wirklichkeit“ heißt das neue Buch von Prof. Dr. Peter Bak, Psychologe an der Hochschule Fresenius Köln. Auf knapp 150 Seiten setzt er sich darin mit dem Thema Empathie auseinander. Im Interview mit adhibeo gibt Bak einen Einblick in die Inhalte seines Buches – und erklärt, welchen Beitrag es zur aktuellen Lage in Deutschland leisten kann.

In Ihrem neuen Buch nennen Sie Empathie den „Schlüssel“ für gelungene Kommunikation. Wie ist das gemeint und was ist eigentlich unter dem Begriff Empathie zu verstehen?

Nun, Empathie bezeichnet die Fähigkeit, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt eines anderen hinein zu versetzen. Wenn ich nicht weiß, was in dem anderen gerade vorgeht, dann fällt es schwer, die Worte und Gesten zu finden, die beim anderen auch so ankommen, wie ich sie gemeint habe. Erfolgreiche Kommunikation bleibt so dem Zufall überlassen.

Häufig entstehen Missverständnisse doch dann, wenn ich etwas sage, der andere es aber in den „falschen Hals“ bekommt. Wenn ich also von Empathie als Schlüssel für gelungene Kommunikation spreche, dann meine ich damit, dass ich nur dann erfolgreich mit jemandem kommunizieren kann, wenn wir über das, was wir besprechen, Einigkeit herstellen können. Und das gelingt am besten, wenn wir uns empathisch begegnen.

Können Sie ein konkretes Beispiel für ein derartiges Missverständnis geben?

Missverständnisse entstehen immer dann, wenn wir den Worten, die wir austauschen, unterschiedliche Bedeutungen geben. Ob wir uns missverstehen, hängt nicht von der intendierten Bedeutung meiner Botschaft ab, sondern davon, was der andere daraus macht. Ein Beispiel: Ein nett gemeintes „Du siehst aber toll aus!“ kann als versteckte Kritik wahrgenommen oder als Zeichen der Nichtbeachtung interpretiert werden. Der Empfänger einer Botschaft bestimmt deren Bedeutung.

Der Sender kann nur insofern Einfluss auf die Bedeutung der Botschaft nehmen, in dem er sich in den anderen hinein versetzt und auf diese Weise prüft, wie er die Botschaft verpacken muss, damit sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch so verstanden wird, wie es beabsichtigt war. Nicht immer ganz einfach, vor allem, wenn man den Zustand des anderen gerade nicht kennt!

Sind Frauen ganz dem Klischee entsprechend empathischer als Männer?

Mir liegen dazu keine empirischen Daten vor. Es gibt aber einige Gründe, die dafür sprechen. Um empathisch zu sein, muss ich mich in die Welt des anderen hinein versetzen können, so denken und fühlen wie mein Gegenüber. Das setzt ein gewisses Maß an Offenheit voraus. Betrachtet man die Sozialisationsziele und -bedingungen für Männer und Frauen, so fällt schon auf, dass Frauen nach wie vor eher für die emotionalen Aspekte des Miteinanders vorbereitet werden, die Wert auf Ausgleich und Verständnis legen.

Männer werden dagegen häufig als die künftigen Entscheider angesehen, die sich auch gegen Widerstände durchsetzen müssen. Da liegt es nahe anzunehmen, dass Empathie bei Frauen vermutlich häufiger eine Rolle spielt. Zumindest solange, solange unsere Rollenverständnisse so sind, wie sie aktuell sind.

Wie bewerten Sie die evolutionspsychologische These, dass Frauen deshalb empathischer sind, da sie sich schon seit jeher um die Aufzucht der Kinder gekümmert haben, und die Fähigkeit zur Empathie dabei natürlich von Vorteil ist?

Mit evolutionspsychologischen Thesen tue ich mich, ehrlich gesagt, allgemein schwer. Zum einen erklärt der Verweis auf die Evolution gar nichts, zum anderen impliziert dies immer die Annahme, wir wären jetzt am Ende der Evolution angekommen. Die Fähigkeit zu Empathie ist für alle Lebewesen, die nicht alleine überleben können, sondern im Sozialverband organisiert sind, von existenzieller Bedeutung. Für uns Menschen gilt dies für beide Geschlechter. Wenn wir heute davon sprechen, dass Frauen empathischer sind, dann sehe ich das nicht als Folge genetischer Differenzen, sondern eher als Folge des erlernten Sozialverhaltens.

Wenn man nun – aus welchen Gründen auch immer – nur sehr begrenzt empathiefähig ist: Kann die- oder derjenige diese Fähigkeit denn irgendwie erlernen?

Wenn jemand nicht zu Empathie fähig ist, dann mag das durchaus auch hirnphysiologische Ursachen haben. Etwa wenn spezielle Neuronenverbände, zum Beispiel die Spiegelneuronen, nicht richtig funktionieren.

Dass man Empathie allerdings auch lernen kann, davon bin ich völlig überzeugt. In dem Buch beschreibe ich das auch ausführlich. Letztendlich, so die Kernaussage, verstehe ich den anderen umso besser, je mehr gleiche oder ähnliche Erlebnisse ich mit ihm teile. Wie ich die Welt sehe, das hängt von meinen Erfahrungen ab. Teile ich viele Erfahrungen mit einem anderen Menschen, so sehen wir die Welt auf ähnliche Art und Weise, dann sind wir empathischer füreinander.

Das kann man doch wunderbar beobachten, bei Paaren, die jahrelang zusammen leben. Die verstehen sich quasi per Telepathie. Ein Augenzwinkern reicht aus, um sich einer gemeinsamer Situationsinterpretation zu versichern. Insofern, ja, wir können Empathie, oder besser gesagt, wir können unsere prinzipielle Empathiefähigkeit kultivieren, z. B. in dem wir selber viele Erfahrungen machen, die wir mit anderen Menschen teilen.

Einer aktuellen Studie zufolge gibt es einen Zusammenhang zwischen mangelnder Empathie und Internetsucht. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich bin mir nicht sicher, ob man mangelnde Empathie als Ursache der Internetsucht ansehen kann, oder eher davon ausgehen sollte, dass Personen, die internetsüchtig sind, eben auch weniger Möglichkeiten nutzen, ihre empathischen Fähigkeiten zu nutzen.

Eindeutig scheint mir dagegen zu sein, dass die Kommunikation über das Internet dem empathischen Verständnis im Wege steht. Da nicht alle Sinneskanäle durch die Online-Kommunikation angesprochen werden, bleibt die Kommunikation unvollständig. Das Verständnis des anderen wird erschwert. In gewisser Weise kann dies auch kurzfristige Vorteile bringen: Je weniger ich mich in den anderen hinein versetzen kann, desto mehr kann ich ihn mir so denken, wie ich ihn haben möchte. Das kann eine verlockende Vorstellung sein, die durchaus Suchtpotenzial besitzt, gerade übrigens, wenn ich im analogen Leben mit sozialen Rückmeldungen zu kämpfen habe, die mich unzufrieden machen.

Gibt es eigentlich einen speziellen Anlass für Ihr Buch?

Einen Anlass gab es nicht direkt. Allerdings zeigen die aktuelle Flüchtlingskrise und vor allem die vielen Ressentiments, die mittlerweile ganz offen zum Ausdruck gebracht werden, wie bedeutsam und wichtig Empathie für ein friedliches soziales Auskommen ist. Die Angst vor Fremden ist ja in den meisten Fällen eine Angst vor dem Unbekannten. Menschen aus anderen Kulturkreisen sind uns fremd, genauso wie wir ihnen fremd sind. Aus dieser Fremdheit erwächst Unverständnis und aus Unverständnis Feindseligkeit. Ich behaupte, dass wir dem begegnen können, in dem wir den Fremden kennen lernen. Je häufiger wir zu „Gast in seiner Wirklichkeit“ werden, desto eher sind wir zu Empathie fähig und umso besser verstehen wir uns. Anstelle von Feindseligkeit rückt Verständnis. Aus Fremden würden Bekannte. Vielleicht eine idealistische Sicht, aber keine unmögliche Perspektive.

Über den Autor

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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