Medien

Mode und Design

„Die Marktentwicklung hat die Existenzgrundlage vieler professioneller Fotografen vernichtet“

von Redaktion, am 10.02.2015

Wir leben in einer ikonografischen Gesellschaft. Und während bestimmte gesellschaftliche Gruppen Bildern enormen Wert beimessen, sich gar über sie definieren, wird die Arbeit der Bildproduzenten immer weniger wertgeschätzt. Wird es in Zeiten von Smartphones und Sozialer Medien also schwierig, mit Fotografie seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Ja, befürchtet nicht nur Eberhard Wolf, Professor für Visuelle Kommunikation im Fachbereich Design an der Hochschule Fresenius München. Im Interview mit adhibeo führt er diese Gedanken näher aus  und erklärt, warum ihn ein Magazincover mit dem Titel „Kauf, du Arsch“ so begeistert.

Wenn man heute im Bahnhofskiosk steht – einem der wenigen verbliebenen Orte, an dem man noch zahlreiche Printpublikationen auf einem Fleck findet ­–, erschlägt einen fast die schiere Masse an Magazinen und Zeitungen. Wenn ich nicht schon eine Lieblingspublikation habe, warum greife ich zu welcher Publikation?

Wenn ich keine Ahnung habe, was ich lesen will, werde ich mich in dieser Situation von meinen persönlichen Vorlieben steuern lassen. Jemand, der sich für Autos interessiert, schaut eher in die Auto-Ecke, jemand, der sich für Technik oder Mode interessiert, orientiert sich dementsprechend woanders hin. Das sind zunächst einmal sehr individuelle, subjektive und auch situative Bedürfnisse.

Allerdings kann es natürlich auch vorkommen, dass ich den Kiosk mit dem Vorhaben betrete, ein Technik-Magazin zu kaufen – und am Ende verlasse ich den Laden mit einem Architektur-Titel unter dem Arm. Für einen solchen Meinungsumschwung ist in der Regel das Cover verantwortlich. Wir lassen uns hier durchaus vom Titelbild und seiner Gesamtanmutung steuern.

Aus dem Buchhandel wissen wir zum Beispiel, dass dort fast niemand gezielt nach einem bestimmten Buch sucht, außer er hat sich schon im Vorfeld auf einen Autor oder Titel festgelegt. Die meisten Menschen, die sich im angesprochenen Bahnhofskiosk herumtreiben und nach einer Lektüre für die anstehende Zugfahrt umschauen, wissen aber noch nicht, was sie wollen. Sie entscheiden sich dann spontan für das Produkt, das sie emotional am meisten anspricht – und genau in diesem Zusammenhang spielt das Titelbild eine zentrale Rolle. Man muss versuchen, die emotionale Bilder- und Symbolwelt der Leute zu treffen. Das sind Farben, Formen, Gesichter und auch Symbolkombinationen, die den Betrachter schließlich dazu verleiten, zuzugreifen.

Was muss ein gutes Cover, eine gute Titelseite können? Wann haben Sie das letzte Mal gesagt „Wow, das ist ein super Cover!“?

Das ist sehr schwierig zu beantworten. Ich sitze ja in der „Cover des Monats“-Jury und muss daher jeden Monat etwa 40 bis 50 Cover beurteilen. Und ich kann Ihnen sagen: Es gibt wirklich viele tolle Cover! Vor allem aber gibt es einige wenige Magazine, die sich in dieser Hinsicht regelmäßig hervortun. Zum Beispiel Cicero. Die Macher schaffen es immer wieder, über Illustrationen sehr interessante Themen zu transportieren. Auch brand eins fällt in Sachen Titelbildgestaltung positiv auf. Den Verantwortlichen gelingt es, Themen auf eindeutige und irritierende Art und Weise zu reduzieren. Da wird ein Symbol gezeigt, das auf den ersten Blick gar nichts mit dem Titelthema zu tun hat – die Trillerpfeife beim Thema Führung zum Beispiel. Das bringt den Betrachter zum Nachdenken und macht das Produkt gleichzeitig interessant. Nicht umsonst hat brand eins den zweiten Platz in der Rubrik „Cover des Jahres 2014“ erreicht. Die Gewinnerausgabe des Magazins hatte den Schwerpunkt Werbung. Die Macher haben auf das ansonsten komplett weiße Titelbild nur den Satz „Kauf, du Arsch“ in dicken Buchstaben geschrieben. Eindeutiger kann man Werbung kaum definieren.

Im Kampf der Cover, der ja an unseren Kiosken tobt, gehen Modezeitschriften wie Vogue oder Madame übrigens völlig unter, die Titel sind oft sehr einfallslos. Aber die Zielgruppe kauft sie eben trotzdem. Bei Frauenzeitschriften wie Echo der Frau oder Das Goldene Blatt, die ich zum Teil selber mitentwickelt habe, verhält es sich ähnlich: Der Inhalt ist hier nicht so wichtig, Hauptsache sehr vereinfacht gesagt –, es ist eine blonde Frau mit weißen Zähnen und blauen Augen auf dem Titelbild zu sehen. Da kann man sich sicher sein, dass bestimmte Zielgruppen reagieren. Wenn diese Bilderwartung nicht erfüllt wird, dann hat man erstmal ein Problem.

Auf den Covern der Magazine sind heute nicht nur Illustrationen, sondern vor allem auch außergewöhnliche Fotografien zu sehen. Fotografieren boomt ja ohnehin: Instagram ist eines der am schnellsten wachsenden Social Networks, jeder Smartphone-Besitzer, so glaubt man manchmal, versteht sich heute als Fotokünstler. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Nicht unbedingt positiv. Aber bevor ich darauf näher eingehe, muss ich zunächst ein wenig ausholen. Klar ist, wir leben heute in der sogenannten ikonographischen Gesellschaft. Das heißt, bestimmte gesellschaftliche Gruppen definieren sich ganz stark über Bilder und Bildsymbole und schaffen auf diese Weise ein Zugehörigkeitsgefühl. Deshalb können heute auch Zeitschriften oder Medien erfolgreich sein, die komplett ohne Text auskommen. Es gibt sogar YouTube-Videos ohne Ton, in denen nur Bildsequenzen zu sehen sind.

Dem Foto kommt in diesem Zusammenhang natürlich eine zentrale Bedeutung zu. Wie Sie schon richtig sagten, ist die Bildproduktion und -verbreitung heute viel einfacher und schneller geworden. Um das mal an einem Beispiel zu verdeutlichen: Als wir vor 15 Jahren ein Bild aus Tokio gebraucht haben, hat das 16 oder 17 Stunden gedauert – wenn es schnell ging. Heute dauert es, je nach Datenleitung, zwei bis drei Sekunden. Das ist schon enorm. Bei großen Sportevents werden Bilder teilweise direkt aus der Kamera heraus in eine zentrale Bildredaktion geschickt, die irgendwo auf unserem Globus sitzt.

Und die Nachfrage ist ja da – jeder schreit nach Bildern! Es gibt einen riesigen Bildermarkt, der von einigen wenigen Bildagenturen dominiert wird. Dazu werden auf dem Markt die sogenannten Royalty Free-Bilder angeboten, die mit Pauschallizenzen ausgestattet sind und vielfältig verwendbar sind. iStock oder Fotolia sind hier die großen Vertriebsportale, da bekommt man Bilder teilweise für weniger als fünf Euro.

Diese Marktentwicklung, zu der auch die Smartphone-Besitzer und die Sozialen Medien beigetragen haben, hat die Existenzgrundlage vieler professioneller Fotografen schlicht und ergreifend vernichtet. Ich war im letzten Jahr auf der Fotografie-Fachmesse photokina und habe dort die Verleihung des Erich-Salomon-Preises mitverfolgt, eine der wichtigsten Auszeichnungen im Fotojournalismusbereich. Der Preisträger Gerd Ludwig, einer der bedeutendsten National Geographic-Fotografen, hat in seiner Dankesrede davon abgeraten, heutzutage seine berufliche Zukunft in der Fotografie zu suchen. Und alle Leute, die im Publikum saßen, einflussreiche und erfahrene Medienpersönlichkeiten, haben ihm zugestimmt. Es gibt einfach so gut wie keine Qualität mehr – und damit meine ich weniger die technische, sondern vor allem die inhaltliche Qualität. Außerdem hat der gigantische Preiskampf die durchschnittlichen Einkommen der Fotografen auf einen monatlichen Bruttoverdienst von 1000 bis 1500 Euro gedrückt – das muss man sich mal überlegen!

Einige wenige Fotografen verdienen aber doch gutes Geld. Was ist deren Erfolgsgeheimnis?

In wenigen Worten: Spezialisierte industrielle Dienstleistung. Es gibt Fotografen, die so eine Art Bilderfabrik betreiben und sich dabei beispielsweise auf Automobil- oder Foodfotografie spezialisiert haben. Diese Leute können dank ihrer Erfahrung, ihres Spezialwissens und ihrer Kontakte richtig gut von der Fotografie leben. Aber wir reden hier von einigen wenigen Personen.

Wenn ich Fotografie dagegen eher als Kunst oder als Berufung begreife oder aus einem altruistischen Antrieb heraus betreibe, sollte ich nochmal überprüfen, ob ich aus einem wohlhabendem Elternhaus stamme.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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