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„Wenn sich MOOCs in der Weiterbildung etabliert haben, werden sie ihren Siegeszug auch in den Hochschulen und Schulen fortsetzen“

von Redaktion, am 27.01.2017

Spätestens seit dem Erfolg der Massive Open Online Courses (MOOCs) denkt man auch in Deutschland über die Chancen des E-Learnings nach. Diese Chancen müsse man nun aber konsequenter nutzen, fordert Prof. Dr. Dominik Große Holtforth, Dozent an der Hochschule Fresenius Köln und Leiter des e-Commerce institut, im Interview.

Herr Prof. Große Holtforth, in Ihrer Forschung setzen Sie sich derzeit mit dem Phänomen E-Learning auseinander und ziehen dabei Parallelen zum Thema E-Commerce. Für viele Experten ist E-Learning ein Zukunftsthema, für einige sogar „The Next Big Thing“. Wie ist der Hype zu erklären?

E-Learning steht für die Umsetzung der Digitalen Transformation im Bildungssektor. Sie bietet viele Chancen, bringt aber auch einige bildungspolitische und ökonomische Herausforderungen mit sich.

Der Hype lässt sich meines Erachtens mit dem großen Problemdruck in den Bildungssystemen vieler Länder erklären. In den USA gibt es in diesem Zusammenhang ein großes Verschuldungsproblem, in anderen Ländern muss überhaupt erst einmal ein allgemeiner Zugang zur Bildung geschaffen werden. Für die Lösung dieser und weiterer Probleme sehen viele im E-Learning großes Potenzial. Und natürlich werden geschäftliche Chancen gesehen, die sich aber im Großen und Ganzen noch nicht haben umsetzen lassen.

In Entwicklungsländern sollen sogenannte MOOCs dazu beitragen, dass dort mehr Menschen Zugang zu hochwertiger Bildung erhalten. Wie funktionieren MOOCs, wer darf mitmachen – und wer zahlt am Ende für die Bildungsangebote?

MOOCs sind zunächst nichts anderes als digitalisierte Vorlesungen. Man nehme eine Dozentin oder einen Dozenten, zeichne eine Vorlesung mit einer Videokamera auf und poste das Ganze als Video auf einer digitalen Plattform. Fertig ist der MOOC.

Das Besondere, aber auch zugleich für die Digitalisierung typische ist, dass sich bereits große Plattformen etabliert haben, die mit Tausenden von angebotenen MOOCs Millionen von Menschen erreichen. Diese großen Plattformen sind vor allem Coursera, edX und Udacity, die bereits als „The Big Three“ bezeichnet werden. Während Coursera seinen Ursprung in Stanford nahm, ist edX eine Gründung der Harvard University und des MIT. Udacity ist dagegen ein Unternehmen, das vom Informatik-Professor Sebastian Thrun mitgegründet wurde. Thrun hatte als Leiter von Google X zuvor bei Google und anderen die technologischen Grundlagen für das selbstfahrende Auto gelegt.

Diese Plattformen verfolgen alle ein Freemium-Modell: Die digitalisierten Onlinekurse können kostenfrei angesehen werden. Möchte man einen Kurs allerdings mit einer Prüfung zur Erlangung eines Zertifikats abschließen, muss eine Prüfungsgebühr entrichtet werden. Mitmachen dürfen also alle, die einen Internetanschluss haben. Die Zahl derjenigen, die tatsächlich auch etwas bezahlen, ist dagegen noch gering.

E-Learning-Angebote könnten in Zukunft dafür sorgen, dass die Präsenzlehre – also das klassische Unterrichtssetting mit einem Lehrenden, der einer bestimmten Anzahl an Zuhörern gegenübersteht – immer mehr zur Randerscheinung wird. Dabei ist doch gerade der direkte Kontakt und Austausch mit anderen ein wichtiges Element der Hochschulbildung. Wie bewerten Sie das?

Ich glaube nicht, dass die Präsenzlehre zumindest in der Erstausbildung an Hochschulen allzu sehr in die Defensive gerät. Der direkte Austausch, die Kommunikation face-to-face ist nach wie vor wesentlich effektiver als die passive Rezeption von Online-Kursen. Das könnte sich höchstens in einer ferneren Zukunft ändern, wenn Virtual und Augmented Reality zu Bildungszwecken eingesetzt werden.

Außerdem hat die Hochschule über die Lehrveranstaltung hinaus wichtige soziale und Sozialisationsfunktionen. Nicht zuletzt macht es jungen Menschen Spaß, mit anderen jungen Menschen zusammen zu sein. Aber natürlich können MOOCs eine Ergänzung sein und helfen, das manchmal enge curriculare Korsett zu erweitern. Jemand möchte die Programmiersprache Java lernen? Ein MOOC könnte helfen. Man braucht für eine Bewerbung Kenntnisse im Bereich Maschinenbau. Auch hier finden sich Angebote im Netz.

Sollten sich MOOC-Anbieter also vor allem auf den Weiterbildungsmarkt konzentrieren?

Ich denke, der kommerzielle Durchbruch der MOOCs wird auf diesem Gebiet erfolgen, ja. Unternehmen stehen aufgrund der Digitalisierung unter großem Wettbewerbs- und Transformationsdruck. Oft fehlt Mitarbeitern und Führungskräften das Know-how, Digitalisierungspotenziale zu erkennen und umzusetzen. Hier bilden MOOCs und andere Formen des E-Learnings eine große Chance, Bildung zu flexibilisieren und effizienter zu gestalten. Wenn sich MOOCs in der Weiterbildung etabliert haben, werden sie ihren Siegeszug auch in den Hochschulen und Schulen fortsetzen.

Inwiefern kann E-Learning das deutsche Bildungssystem in den nächsten Jahren verbessern? Wo sehen Sie die größten Potenziale?

Das deutsche Bildungssystem steht vor großen Herausforderungen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels muss es immer weniger junge Menschen immer besser ausbilden. Das hört sich komfortabel an, ist es aber nicht. Die Digitalisierung, die ja zu weltweitem Wettbewerb geführt hat, hat das Leistungsniveau in vielen Fachgebieten erheblich gesteigert. Vor allem bei den technologischen Grundlagen der Digitalisierung, die in der Informatik und im Wissen über den Computer liegen, hat das deutsche Bildungssystem erheblichen Nachholbedarf.

Ich empfinde es als großes Defizit, dass Informatik in den meisten Bundesländern kein Pflichtfach an weiterführenden Schulen ist. Auch wir an den Hochschulen machen hier zu wenig. Steve Jobs hat mal gesagt, dass der Computer das Fahrrad für das Gehirn sei. Nur wer den Computer und seine stetig wachsenden Möglichkeiten kennt und beherrscht, kann die digitale Welt mitgestalten.

E-Learning kann und sollte also das Bildungssystem ergänzen und Veränderungsdruck erzeugen. Es wird sein, wie in allen anderen Sektoren und Branchen, die bereits von der Digitalisierung betroffen sind: Online Pure Player, also Unternehmen, die ihr Geschäft ausschließlich über das Internet aufziehen, geben das Tempo und das Ausmaß der Innovationen vor. Flexible und veränderungsbereite Institutionen schließen sich an, aber viele etablierte werden dem Tempo der Veränderung nicht folgen können.

Da in Deutschland Bildung überwiegend staatlich organisiert ist, muss der Veränderungsdruck insbesondere der Politik bewusst werden. Private Bildungsträger wie die Hochschule Fresenius haben einen Vorteil, da sie flexibler und autarker auf die große Veränderung im Bildungsmarkt reagieren können.

Sie sind E-Commerce-Experte: Welche Lehren sollte die E-Learning-Branche aus den Entwicklungen auf dem E-Commerce-Markt in den vergangenen Jahren ziehen?

Es bietet sich definitiv an, aus der Geschichte des E-Commerce zu lernen. Im E-Commerce ist es bis heute nicht gelungen, Multichannel-Angebote, also die Kombination aus stationärem Angebot und Onlineshop, erfolgreich zu gestalten. Vor dieser Herausforderung steht der Bildungssektor auch. Werden wir eine dominierende Onlineplattform für die Bildung haben wie es Amazon für den E-Commerce ist? Oder wird es im Bildungssektor besser gelingen, Online und „Stationär“ miteinander zu verbinden? Ich hoffe und setze auf diese kombinierten Angebote, auch weil Bildung komplexer ist als der Kauf eines Paars Schuhe.

Aber natürlich müssen wir uns mit dem digitalen Kanal als Teil unseres Bildungsauftrags beschäftigen und diesen immer stärker in die Lehre integrieren. Wichtig dabei ist, eigenen digitalen Content aufzubauen, der auch hochwertig ist.

Prof. Dr. Dominik Große Holtforth ist Dozent an der Hochschule Fresenius Köln und Leiter des e-Commerce Institut.

Über den Autor

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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