Wirtschaft und Management

„In Japan kann der Erhalt einer Mahnung fast schon als Beleidigung aufgefasst werden“

von Redaktion, am 23.01.2015

Um sich von den Krediten der Banken unabhängiger zu machen, legen Unternehmen heute immer größeren Wert auf ein effizientes Working Capital Management (WCM). Eine Entwicklung, die auch mit der Finanzkrise zusammenhängt, weiß Dr. Matthias Sure, Dozent an der Hochschule Fresenius Köln. Er hat die unterschiedlichen WCM-Methoden im Rahmen seiner Doktorarbeit genauer untersucht. Wie sind Mahn- und Reklamationsprozesse ausgestaltet, wie die Zahlungseingangsbearbeitung – um das herauszufinden hat Sure Führungskräfte international agierender Logistik-Unternehmen befragt.

Sie haben Ende des Jahres 2014 Ihr Buch „Working Capital Management – Empirische Analyse der Faktoren zur Gestaltung des Working Capitals und seiner Komponenten“ veröffentlicht. Es ist gleichzeitig Ihre Dissertationsschrift. Um was geht es?

Ich habe untersucht, wie europäische Unternehmen der Logistikbranche ihr Working Capital Management, kurz WCM, wertorientiert optimal gestalten können und welche Methoden und Steuerungsmechanismen sie in diesem Zuge einsetzen.

Wie Sie vielleicht wissen, ist die Bedeutung der Innenfinanzierungskraft, die durch das Management des Working Capitals maßgeblich beeinflusst wird, für Unternehmen im Zuge der Finanzkrise stark gestiegen. Das heißt, viele Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren intensiv darum bemüht, ihre Liquiditätsgenerierung aus dem eigenen Leistungserstellungsprozess zu steigern und so die Abhängigkeit von externer Finanzierung zu mindern. So ist man weniger auf Kredite der Banken angewiesen, was insbesondere für den Mittelstand und damit für über 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland immer noch prägend ist.

Um herauszufinden, wie sich Unternehmen von externer Finanzierung unabhängiger machen, muss man tief in sie hineinschauen. Das dürfte problematisch sein, nicht jedes Unternehmen gibt schließlich freiwillig einen Einblick in die Finanzen. Wie sind Sie im empirischen Teil Ihrer Arbeit vorgegangen, um an diese Daten zu kommen?

Natürlich war es nicht einfach, an diese Informationen zu gelangen. Aufgrund meiner Projekterfahrung in der Logistikbranche habe ich dorthin allerdings gute persönliche Verbindungen. Das hat mir sehr geholfen. Ich konnte am Ende 13 Unternehmen zu einer Teilnahme bewegen und im Rahmen einer empirischen Mehrfachfallstudie untersuchen.

Ein wesentlicher Bestandteil der Studie waren die Experteninterviews, die ich jeweils mit verantwortlichen Führungskräften geführt habe. Mit Hilfe eines semi-strukturierten Interviewleitfadens wurde dabei erhoben, wie die working capital-beeinflussenden Prozesse des Forderungs- und Verbindlichkeitenmanagements aussehen. Es ging mir hier primär um die Ausgestaltung dieser Prozesse. Beim Forderungsmanagement habe ich beispielsweise danach gefragt, wie die Zahlungskonditionen, die Mahn- und Reklamationsprozesse oder die Zahlungseingangsbearbeitung gestaltet sind.

Die Ausgestaltung dieser Prozesse ist deshalb so interessant, weil sie direkte Auswirkungen auf die Liquiditätsbindung in den Positionen des Umlaufvermögens und der kurzfristigen Verbindlichkeiten hat und damit auf die Working Capital-Position insgesamt. Diese Position wiederum beeinflusst maßgeblich den operativen Cash Flow und damit die Innenfinanzierungskraft der Unternehmen.

Was sind die zentralen Ergebnisse?

Aus den Untersuchungsergebnissen kann man herauslesen, dass sich das WCM in einem Spannungsfeld befindet. Auf der einen Seite steht bei den Unternehmen dabei das Bedürfnis nach zentraler und umfassender Regelung und Überwachung. Das heißt, man sehnt sich nach einheitlichen, über Ländergrenzen hinweg gültigen Standards bei der Ausgestaltung der eben beschriebenen Prozesse.

Auf der anderen Seite haben die Unternehmen auch erkannt, dass eine optimale Steuerung des Working Capitals unmöglich ist, wenn verantwortliche Führungskräfte dezentraler Standorte – die vielleicht in einem ganz anderen kulturellen Umfeld agieren müssen oder weniger Mitarbeiterressourcen zur Verfügung haben – keine situative Entscheidungskompetenz besitzen. Wenn sich zum Beispiel ein Manager, der für das Forderungsmanagement in einer Zweigstelle in Japan verantwortlich ist, strikt an die Mahnungserstellungs- richtlinien des deutschen Stammhauses hält, wird er bald Probleme bekommen: In Japan kann der Erhalt einer Mahnung fast schon als Beleidigung aufgefasst werden und die Geschäftsbeziehungen nachhaltig beschädigen.

Sehen Sie in diesen Ergebnissen auch den Mehrwert Ihrer Dissertation für die Arbeitspraxis von Working Capital Managern?

Durchaus. Die untersuchten Unternehmen sind beim WCM dann in der Regel erfolgreicher, wenn sie den Managern einen gewissen Spielraum lassen in der Interpretation der Richtlinien der Unternehmenszentrale – allerdings haben die Betroffenen dabei natürlich auch die vollumfängliche Verantwortung für die damit erzielten Ergebnisse. Standardisierungsbemühungen sollte man dabei trotzdem nicht unter den Tisch fallen lassen, sondern da angehen, wo möglich und sinnvoll. Das können Praktiker auf jeden Fall mitnehmen.

Durch die pan-europäische Betrachtungsperspektive hinsichtlich der Auswahl der Unternehmen wurde mit der Arbeit darüber hinaus eine Lücke in der qualitativen Working Capital Management-Forschung geschlossen. Außerdem gibt sie einen Überblick über die Forschungsergebnisse zum Thema WCM in den vergangenen 60 Jahren. Meines Wissens ist das der erste umfängliche globale Forschungsreview zu diesem Thema.

Zu guter Letzt hoffe ich auch, dass die Typologie zur Beurteilung der Maturität im WCM eines Unternehmens, die im Rahmen der Dissertation entwickelt wurde, Unternehmen dabei helfen wird, effizientes Working Capital Management zu planen und umzusetzen.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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