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Wirtschaft und Management

Die Macht des Konsumenten – ein interdisziplinärer Entdeckungsversuch

von Redaktion, am 06.07.2016

Jan Rommerskirchen und Michael Roslon vom Fachbereich Wirtschaft & Medien der Hochschule Fresenius in Köln und Düsseldorf luden am 18. April 2016 zu einer Podiumsdiskussion an den Kölner Standort, um die „Macht des Konsumenten“ aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven zu beleuchten. Haben Verbraucher überhaupt Macht? Und wenn ja, wie und wem gegenüber können sie diese ausnutzen? An der Hochschule Fresenius diskutierten drei renommierte Forscher diese Fragestellung aus der Sicht der Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und Soziologie vor interessierten Studierenden und Gästen.

Was haben weiße Turnschuhe und Damenrasierer miteinander zu tun und wer hat sie ins Spiel gebracht? Zeugen Trends wie bestimmte Konsumprodukte (weiße Sneaker) oder Schönheitsattribute (rasierte Achseln) von der Macht der Unternehmen, uns Produkte verkaufen zu wollen, von der Manipulationskraft der Werbung oder vielleicht doch von der Macht der Konsumenten, ihrerseits die Bereitstellung der gewünschten Güter und Dienstleistungen von den Unternehmen zu erwirken? Wie ist der Begriff „Macht“ definiert und welche Macht ist den Konsumenten zuzuschreiben? Bevor in diesem Artikel die einzelnen Wissenschaftler, ihre Ausführungen und die Kontroversen der Podiumsdiskussion zu Wort kommen, gibt es schon einmal das Ergebnis vorab. Und das ist vermutlich etwas ernüchternd, denn allzu viel „Macht“ wird dem Verbraucher letztlich von keiner der drei vertretenen Disziplinen zugeschrieben.

Googelt man zum Stichwort „Macht des Konsumenten“, so findet man überwiegend Veröffentlichungen, in denen verschiedene Strömungen eines neuen politischen Konsums thematisiert werden. Diskutiert wird die Verantwortlichkeit des Konsumenten für die Art und Weise, wie etwas produziert wird, und die Einflussmöglichkeit auf Produktionsentscheidungen der Unternehmen durch Konsumverzicht oder Konsumboykott. Die Verbraucher sollen ihre Forderungen nach nachhaltigem Wirtschaften und fairen Wirtschaftsbedingungen (z. B. den Verzicht auf Kinderarbeit) durch ihr Einkaufsverhalten an der Ladenkasse durchsetzen und dadurch Unternehmen und andere Wirtschaftsakteure zu moralisch besserem Handeln bewegen. Dabei ist allerdings sehr strittig, inwieweit diese so verstandene „Macht des Konsumenten“ nicht reine Illusion bleibt.

Die Referenten und Diskutanten der Podiumsdiskussion grenzen das Thema weiter ab als die oben angeführte Debatte zum ethischen Konsum. In seinen Einführungsworten geht Prof. Dr. Rommerskirchen zunächst auf unterschiedliche Vorstellungen ein, wer die Mächtigen einer Gesellschaft sind und wie diese ihre Macht ausüben. Im Anschluss erläutert er verschiedene Machtbegriffe aus der Soziologie, Psychologie und Ökonomie. Einst waren die Götter mächtig, später wurde die Macht den Medien oder auch Unternehmen zugeschrieben. In modernen Rechtsstaaten geht zwar alle Macht vom Volk aus, die Ausübung der Macht („Herrschaft“) liegt aber beim Staat.

In seiner berühmten Definition verstand der deutsche Soziologe Max Weber Macht als „Jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. Im Gegensatz zur „Macht“ ist „Herrschaft“ nach Max Weber legitimiert und limitiert, sie wird verliehen, kann entzogen werden und ist begrenzt.

Während die Soziologen also davon ausgehen, dass ein eigener Wille besteht und dieser machtvoll gegenüber anderen durchgesetzt werden kann, betrachten die Psychologen schon den eigenen Willen mit Skepsis. Der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud erklärte, dass nicht wir die Herren über unseren Willen sind, sondern das „ES“ – das Tier in uns – die eigentliche Macht habe.

Ein anderes Menschenbild legen wiederum die Ökonomen zugrunde. Nach ihrem Verständnis handelt der Mensch vernünftig und trifft rationale Entscheidungen nach Abwägung verschiedener Informationen und Optionen. Edward Bernays, der als Vater der Public Relations gilt und ein Neffe Sigmund Freuds war, sieht Macht als originär soziologisches Phänomen. Seiner Auffassung nach handeln Konsumenten nicht rational, sondern werden von ihren Bedürfnissen und Begierden getrieben. Und diese wiederum sind beeinflusst von gesellschaftlichen Gruppen, denen wir uns zugehörig fühlen wollen und die insofern die wahre Macht über uns haben.

Für den Psychologen Prof. Dr. Peter Bak stellen viele Konsumentscheidungen gar keine echte Wahlmöglichkeit dar. Formal kann man sich zwar zwischen mehreren Schokoladen wie etwa Milka, Toblerone oder Condor entscheiden, letztlich gehören diese aber alle zum selben US-Konzern Mondelēz International, so dass der Umsatz an wenige große Unternehmen fließt. Diese Marktlogik gilt inzwischen für viele Produkte und nicht nur für den Lebensmittelbereich, wo etwa 90 Prozent des Umsatzes von vier großen Discountern gemacht werden.

Von einer freien Konsumentscheidung kann demnach gar keine Rede sein. Der Diplom-Psychologe liefert eine eigene Definition von Macht. „Macht ist die Möglichkeit, Einfluss auf sich und andere zu nehmen und ist zunächst immer eine Wechselbeziehung zwischen einem, der die Macht besitzt und einem, der die Macht anerkennt bzw. verleiht“. Er erklärt, dass in der Psychologie selten von „Macht“, sondern stattdessen von „Kontrollüberzeugungen“ gesprochen wird. Dabei geht es um die Frage, inwieweit ich die Ergebnisse meiner Handlungen beeinflussen kann. Bin ich selbst Herr meines Handelns und verantwortlich für das Ergebnis oder entsteht dies durch Zufall, Pech oder andere externe Einflüsse?

Mächtig ist folglich derjenige, der Einfluss auf das Ergebnis seiner Handlungen hat. Auf den Konsumenten trifft das nach Prof. Baks Auffassung nicht zu. Er hat weder von einem Unternehmen Macht verliehen bekommen, noch bekommt er die Auswirkungen seiner Handlungen zu spüren. Wenn er ein Fair Trade-Produkt kauft, wird die Welt dadurch nicht für ihn nachvollziehbar besser. Der Konsument befindet sich überwiegend in einer passiven Rolle. Seine Konsumentscheidungen fallen eher spontan aus und sind an kurzfristigen Zielen orientiert. Für einen wirklichen Einfluss fehlen ihm sowohl Entscheidungsfreiheit als auch die kritische Masse.

Prof. Bak sieht in der „Macht des Konsumenten“ vielmehr eine „Kontrollillusion“. Einen Ausweg lässt er. Er fordert auf, sich von Konsumzwängen zu befreien und unabhängig zu prüfen, was man wofür tatsächlich benötigt. Somit wäre Konsum kein Selbstzweck mehr, sondern nur eine von vielen Möglichkeiten, ein gutes Leben zu führen. Dadurch könnte an die Stelle des ohnmächtigen, unfreien Konsumenten ein freier, verantwortungsbewusster Verbraucher treten.

Als Betriebswirtschaftler rekurriert Prof. Dr. Becker ebenfalls auf Max Weber, bezieht sich allerdings auf dessen Begriff von „Herrschaft“. Herrschaft kann individuell oder systemisch sein, also entweder ein Einzelner setzt sein Interesse mit bestimmten Mitteln mir gegenüber durch, oder mehrere Partialinteressen koordinieren sich zu einem System und finden Mittel, ihre koordinierten Interessen gegenüber anderen durchzusetzen.

Unternehmen sind egoistische, gewinnorientierte Akteure, die zugleich aber auch Politik und Lobbyarbeit betreiben. Wenn sie ihre Interessen nicht über den Markt durchsetzen können, dann greifen sie häufig zu anderen Mitteln und nutzen etwa die Ebene der Politik oder der internationalen Politik für ihre Ziele.

Prof. Becker verweist auf den Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der internationale Handelsabkommen wie TTIP kritisiert, weil sie die Möglichkeiten einer politischen Interessensdurchsetzung außerhalb der reinen Marktlogik nutzen. Zudem berichtet Prof. Becker von einer jüngeren Studie, in der emotionale Effekte bei Facebook-Nutzern durch Postings gezielt hervorgerufen werden konnten.

Eine Verhaltensbeeinflussung von Konsumenten ist auch in Untersuchungen zum Neuro-Marketing oder Nudging nachweisbar. Beim Nudging wird der Konsument durch Marketingmaßnahmen, wie z. B. der Platzierung gesunder Lebensmittel in der Kantine, in die gewünschte „richtige“ Richtung gestupst. Wie schon die Konsumentenforschung Anfang der 70er Jahre feststellte, ist der Spielraum für ein selbständiges Entscheiden der Konsumenten sehr eingeengt. Diese passen ihre Wertvorstellungen vielmehr kommerziellen Wertvorstellungen an, sodass die Freiheit des Menschen stets nur manipulierte Freiheit des durch seine Mitmenschen konditionierten Menschen ist.

In der Zukunft werden wir mit weiteren und anderen Formen von Macht und Herrschaft konfrontiert werden. Prof. Becker sieht drei wichtige Strömungen. Erstens besteht die Tendenz, dass sich Unternehmen weiterhin Privilegien über den Weg der Gesetzgebung und durch Lobbyismus erarbeiten. Zweitens existiert die Macht des Algorithmus. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit sich Menschen durch Algorithmen oder durch Nudging oder Big Nudging (Nudging in Verbindung mit Big Data) tatsächlich beeinflussen lassen. Drittens sieht Prof. Becker eine Herrschaft der infrastrukturellen Macht, d. h., ich muss einem Verhaltenskodex entsprechen, um in bestimmten Gruppen bleiben zu dürfen. Als Beispiel nennt er den UBER-Fahrer, der seine Leistungen zu bestimmten Zeiten anbieten muss, um nicht aus dem Netzwerk zu fallen. Was kann der Konsument nun tun, um diesen Herrschaftsformen zu begegnen? Als Gegenmaßnahme bleibt dem Verbraucher Wissen und Weltverbesserungskompetenz. Prof. Becker fordert einerseits dazu auf, darüber nachzudenken, wie die Welt funktioniert und sie andererseits im Kleinen ein wenig zu verbessern, jeder für sich.

Die dritte Perspektive, die der Soziologie, nimmt der Kommunikationswissenschaftler
Prof. Dr. Jo Reichertz ein. Er strukturiert seinen Vortrag anhand von drei zentralen Fragen: Was ist Macht? Haben Unternehmen Macht? Haben Konsumenten Macht? Bei der ersten Frage greift auch er auf den Machtbegriff von Max Weber zurück und unterscheidet zwischen „personeller“ und „struktureller“ Macht. Personelle Macht ist durchsetzbar durch körperliche Gewalt, durch eine sozial übergeordnete Stellung (z. B. der Lehrer gegenüber seinem Schüler), durch Kommunikationsmacht oder durch Charisma. Strukturelle Macht ist institutionalisiert, z. B. indem die Lektüre eines bestimmten Buches von der Prüfungskommission vorgeschrieben ist. Auch durch den öffentlichen Diskurs über die Nützlichkeit der Lektüre von Büchern kann strukturelle Macht ausgeübt werden. Diese wirkt ohne persönliches Einwirken, der Einzelne ist lediglich Teil des Diskurses.

Haben nun also Unternehmer Macht? Im Hinblick auf personelle Macht ist das sicher zu verneinen. Unternehmer können lediglich über Werbung versuchen, die Konsumenten zu bestimmten Kaufentscheidungen zu bewegen. Prof. Reichertz sieht allerdings die Macht der Werbeindustrie als extrem begrenzt an. Diese kann nach seiner Überzeugung keine Bedürfnisse wecken, sondern nur bestehende Bedürfnisse aktivieren. Das Bedürfnis nach Schönheit war schon lange da, bevor Werbung existierte.

Die Macht der Konsumenten beurteilt der Soziologe zweischneidig. Einerseits können Konsumenten Unternehmen theoretisch über ihre Kaufentscheidungen dazu bewegen, Dinge zu tun, die diese freiwillig nicht täten. Als Beispiel sind nachhaltige Produktion und Green-Washing anzuführen. Voraussetzung ist, dass die Handlungen der Konsumenten in einer bestimmten Häufigkeit und in organisierter Form erfolgen. Andererseits können Konsumenten über ihre Bedürfnisse nicht selbst entscheiden. Ihre Bedürfnisse sind vielmehr beeinflusst von der Kultur ihres Landes, welche sich wiederum als Ergebnis einer Vielzahl gesellschaftlicher Einflussfaktoren herausbildet. Die Macht des Konsumenten ist insofern limitiert. Seine Kaufentscheidungen sind vorstrukturiert durch die vorgefundene Produktpalette einerseits und die angelegte Bedürfnisstruktur andererseits.

In der an die Redebeiträge anschließenden Podiumsdiskussion wird unter anderem der Aspekt aufgegriffen, inwieweit Konsumenten frei in ihren Entscheidungen oder manipulierbar sind. Während Prof. Rommerskirchen im aktuellen Trend zu weißen Turnschuhen durchaus ein bewusstes Vorgehen und eine „Steuerungsmacht“ der Unternehmen sieht, genau diese Art von pflegeintensiven Sneakern verkaufen zu wollen, streitet das der Soziologe Prof. Reichertz ab. Er betont, dass nicht die Industrie die Bedürfnisse schaffe, sondern einen bestehenden Diskurs nur befördern könne. Als Beispiel führt er den seit rund 20 Jahren bestehenden Trend zur Körperrasur und zur „Kultivierung der Natürlichkeit“ an. Diesen Trend haben die Hersteller von Damenrasierern oder die Laserindustrie nicht „gemacht“, sondern sie seien lediglich darauf eingestiegen. Jede Werbung müsse scheitern, die diesem Trend entgegenstehe.

Anderer Meinung ist Prof. Bak. Der Psychologe argumentiert, dass sich der Mensch als soziales Wesen mit Symbolen ausstatte, die innerhalb einer Deutungsgemeinschaft bestimmte Attribute wie z. B. Attraktivität belegen. Diese Symbole seien allerdings völlig willkürlich und zufällig. Die Werbung bedient nach Auffassung von Prof. Bak genau dieses Bedürfnis nach Symbolen und bietet passende Symbole zu bestimmten Attributen an.

Wie das Zusammenspiel der Akteure im Einzelnen funktioniert, welche Trends sich durchsetzen und welche Werbung erfolgreich ist, wer also letztlich welchen Einfluss darauf hat, dass sich Wellen entwickeln und Strömungen entstehen, das ist nicht vorhersehbar. Auch wenn die Rolle und der Einfluss der Werbung von den Referenten nicht einheitlich beurteilt wird und die Entstehung von Trends nicht einzelnen machtvollen Gruppen zugeordnet werden kann, so sind sich Wissenschaftler und Zuhörer am Ende der Referate doch insoweit einig, dass die Konsumenten in ihren Entscheidungen nicht eindeutig frei und teilweise unfrei sind. Die wirkliche „Macht des Konsumenten“ konnte die sehr spannende Kölner Diskussionsrunde insofern nicht befördern.

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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