Sport und Tourismus
Wirtschaft und Management
„Die Fanmeilen-Erfahrung hat eine starke rituelle Komponente“
von Redaktion, am 20.06.2014
Sport und Tourismus
Wirtschaft und Management
von Redaktion, am 20.06.2014
Sie ist der Ort, an dem sich die kollektive Fußballbegeisterung dieser Tage manifestiert: die Fanmeile. In Berlin und Hamburg werden morgen wieder Zehntausende das zweite WM-Spiel der Deutschen Nationalelf dort verfolgen – darunter nicht nur ausgewiesene Fußballfans. Denn das Massenspektakel zieht längst auch wenig fußballaffine Menschen in seinen Bann. Im Interview erklärt der Kommunikationswissenschaftler Michael Roslon, Dozent an der Hochschule Fresenius Köln, welche Gründe das hat.
Ja, die gibt es. Genauso unterscheiden sich die beiden Phänomene aber. Zunächst einmal zu den Gemeinsamkeiten: Ein Flashmob ist genauso wie das Miteinander auf einer Fanmeile eine Form der kurzfristigen und flüchtigen Vergesellschaftung. Das heißt, man tritt dort mit anderen Menschen in Beziehung, hat aber nicht die Verpflichtungen, die normalerweise mit sozialen Bindungen einhergehen. Es geht beim Flashmob wie auf der Fanmeile also um das gemeinsames Erleben – bevor man dann wieder getrennte Wege geht.
Will man die Unterschiede zwischen beiden Phänomen herausstellen, muss man einen Blick auf ihre Entwicklungsgeschichten werfen: der Flashmob hat sich ja eigentlich aus der Performance-Kunst der 60er und 70er Jahre heraus entwickelt. Damals haben die Künstler das Publikum in die Produktion des Kunstwerks mit eingebunden, die Kunst wurde zu einem Ereignis. Der Flashmob geht noch einen Schritt weiter: er findet überraschend an einem öffentlichen Ort statt und die Anwesenden werden zufällig zu einem – durchaus verblüfften – Publikum. Für die Teilnehmer sind es genau diese Reaktionen, die den Flashmob so reizvoll machen. Der Reiz der Fanmeile dagegen besteht seit ihren Anfängen bei der WM in Japan und Südkorea im kollektiven Freudentaumel und der Unsicherheit über den Ausgang eines Spiels.
Das sehe ich ähnlich. Die klassischen Mediennutzungstheorien schreiben ja häufig den Nutzern rationale Motive zu: Zum Beispiel möchte man in alltäglichen Kommunikationssituationen anschlussfähig sein, mitreden können. Mitunter deswegen lesen wir eben Zeitung oder schauen uns im Kino den Film an, über den gerade alle diskutieren.
Ich glaube, hinter dem Besuch auf der Fanmeile steckt kein derart rationaler Beweggrund. Die Fanmeilen-Erfahrung hat vielmehr eine starke rituelle Komponente: Wie bei einem Gottesdienst, ist man denjenigen ganz nahe, die der gleichen Erscheinung – in diesem Zusammenhang: das Fußballspiel oder die eigene Nationalmannschaft – huldigen. Auch das ekstatische Element des Rituals ist auf der Fanmeile zu finden – das weiß jeder, der die Schreie und körperlichen Ausbrüche dort einmal hautnah miterlebt hat.
Ich denke, die Emotionalität der Situation spielt auf jeden Fall eine große Rolle. Aufgrund der Erfahrungen, die wir auf Fanmeilen machen, verknüpfen wir sehr positive Emotionen mit ihnen. Derartige Vorfreude sorgt für eine erhöhte Dopamin-Ausschüttung, wodurch wir angetrieben werden, beglückende Zustände aufzusuchen. Die Fanmeile ist also der ideale Ort, um derartige Glücksmomente zu erfahren.
Das Schöne am kollektiven Freudentaumel ist außerdem, dass wir völlig enthemmt sind und dabei kurzfristig Dinge vergessen, die in unserem Leben ansonsten handlungsanweisend sind – Vorurteile zum Beispiel: Auf den Fanmeilen liegen sich Menschen in den Armen, die im gesellschaftlichen Alltag niemals miteinander in Kontakt treten würden, eben weil Vorurteile sie daran hindern.
Auf der Fanmeile ist scheinbar jeder gleich – und das trifft es ja in der Tat: Dort kommt nun mal – bezogen auf die Unterstützung der eigenen Mannschaft – eine vermeintlich homogene Gruppe zusammen, geeint unter Kollektivsymbolen wie Flaggen oder Trikots. Die wenigen gegnerischen Fans, die sich auf die Fanmeile begeben, werden von der Großgruppe akzeptiert. Hierdurch unterscheidet sich die Fanmeile auch vom Fußballstadion. Der verbale und vielleicht auch körperliche Wettstreit zwischen rivalisierenden Anhängern findet dort nicht statt – vielleicht ebenfalls ein Grund, warum auch Fußballdesinteressierte sich hierhin verirren.
Schon jetzt kann man konstatieren, dass der Hype um die Fanmeilen ziemlich lange angedauert hat. In Deutschland begann er ja bereits im Jahr 2006. Grundsätzlich ist es aber bei derartigen Erscheinungen sehr schwierig vorherzusagen, wie lange sie in Mode bleiben – an dieser Aufgabe sind Marketingstrategen und Wissenschaftler gleichermaßen schon häufig grandios gescheitert.
Meine persönliche Einschätzung ist, dass der Hype unter zwei Bedingungen zurückgeht. Erstens, wenn eine gewisse Frustrationsgrenze erreicht ist, also wenn es bei diesem oder beim nächsten Turnier wieder keinen Titel für die deutsche Mannschaft gibt. Und zweitens, wenn es zu einem Spannungsabfall kommt – das könnte eintreten, wenn Deutschland in Brasilien nach zahlreichen gescheiterten Anläufen endlich Weltmeister wird.
Als Kommunikationswissenschaftler und Fußballfan möchte ich aber abschließend sagen: Denken Sie nicht zu viel über die Zukunft der Fanmeilen nach! Genießen Sie sie, solange sie noch da sind!
Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.
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