IT, Mobilität und Technologie
Wirtschaft und Management
„Die öffentliche Diskussion zum Computerspielen ist sehr negativ aufgeladen“
von Redaktion, am 12.08.2014
IT, Mobilität und Technologie
Wirtschaft und Management
von Redaktion, am 12.08.2014
Am 13.08. eröffnet die gamescom ihre Tore auf dem Kölner Messegelände. Auf der weltweit größten Ausstellung für Computerspiele werden mehr als 300 000 Besucher erwartet – der Hype um das Gaming ist größer denn je. Doch inmitten der Begeisterung sind auch in diesem Jahr wieder kritische Töne zu hören: Psychologen warnen vor den negativen Begleiterscheinungen und dem Suchtpotenzial des Computerspielens. Die Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern des Gamings wird in Deutschland seit dem Amoklauf von Erfurt immer wieder geführt. Doch wie ist denn nun der Stand der Forschung, zwölf Jahre nach dieser Tat. Prof. Dr. Wera Aretz, Medienpsychologin und Prodekanin an der Hochschule Fresenius Köln, klärt auf.
Ich warne eher davor, mit diesem Thema polemisch und undifferenziert umzugehen. Viele Menschen wünschen sich eine Einordnung von Sachverhalten in „gut“ oder „schlecht“ und in den Medien wird deswegen häufig auch sehr einseitig berichtet. Damit wird man der Komplexität der Wirklichkeit nicht gerecht.
Denn jetzt mal unabhängig vom Computer: Spielen ist etwas Urmenschliches, mit dem verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgebildet werden können. Kinder entwickeln durch ihr Spielverhalten ihre Kreativität und Fantasie, lernen und erwerben eine Vielzahl an Kompetenzen.
Der Erwerb findet hier auf verschiedenen Ebenen statt. Zum einen auf der emotionalen: Im Spiel erkennen, erleben und verarbeiten Kinder Gefühle. Dabei lernen sie mit Enttäuschungen und Versagungen umzugehen und die Grundgefühle Angst, Freude, Trauer und Wut in ein gleichwertiges Verhältnis zu bringen.
Oder nehmen Sie die motorische Komponente des Spielens: Die Reaktionsfähigkeit und die Auge-Hand-Koordination wird geschult, so dass man später zu gezielten grob- und feinmotorischen Bewegungen in der Lage ist. Daneben wird auch der kognitive Bereich beansprucht: Kinder trainieren durch das Spielen das sinnverbundene, logische Denken, ihre Konzentrationsfertigkeit und natürlich ihr Gedächtnis.
Nicht zuletzt geht es um den Erwerb sozialer Kompetenzen: Kinder lernen, mit anderen zu kooperieren, Allianzen einzugehen und gegen andere die eigenen Interessen durchzusetzen – alles natürlich im Rahmen der Spielregeln. Verletzen sie diese, müssen sie dafür gerade stehen. Auch das ist eine Erfahrung, die einen für das richtige Leben rüstet.
Ganz allgemein gilt: In welcher Weise sich das Spielen auf die Entwicklung eines jungen Menschen auswirkt, hängt davon ab, wieviel man spielt, was man spielt und welche Persönlichkeitsstruktur beim Spielenden vorhanden ist. Auch das soziale Umfeld ist natürlich von Bedeutung. Beim Computerspielen verhält es sich nun genauso: Es gibt positive wie negative Effekte – nur einen monokausalen, ganz eindeutigen Zusammenhang, den gibt es nicht.
Der Medienpädagoge Jürgen Fritz hat zusammen mit einigen Kollegen unterschiedliche Computerspiele – darunter populäre Spiele wie Counterstrike, World of Warcraft, FIFA, FarmVille oder Die Sims – untersucht. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Spiele jeweils unterschiedliche Anforderungen an den Spieler stellen und somit auch unterschiedliche Kompetenzen voraussetzen, um erfolgreich zu sein.
Auch was die Förderung von affektiven, senso-motorischen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten angeht, gibt es Unterschiede. Das macht deutlich, Computerspiele können nicht per se hinsichtlich ihrer Chancen und Gefahren beurteilt werden. Jedes Spiel muss im Einzelfall bewertet werden.
Zumindest gibt es heute mehr Studien als noch vor zwölf Jahren. Allerdings halten sich verschiedene theoretische Konzepte zur Wirkung gewaltvoller Medieninhalte mehr oder minder beharrlich, sie alle werden auch immer wieder in empirischen Untersuchungen bestätigt. Das gilt für die Katharsis-These genauso wie für die These der Habitualisierung oder die der Wirkungslosigkeit. In diesem Kontext ist die Arbeit von Witthöft, Koglin und Petermann aus dem Jahr 2012 interessant, sie gibt einen guten Überblick über bisherige Studien.
Global zusammengefasst zeigen einige Untersuchungen, dass es durchaus einen positiven Zusammenhang zwischen der Nutzung gewalthaltiger Computerspiele und körperlicher Aggression gibt – je häufiger man sie also spielt, desto wahrscheinlicher wird auch aggressives Verhalten. Allerdings muss man hier anmerken, dass die Computerspiele allein nie als Erklärung ausreichen. Vielmehr spielen andere Risikofaktoren, wie der soziale Status oder die Neigung zu Ärger und Aggression, mit hinein.
Das Thema der exzessiven Computerspielenutzung ist sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis sehr interessant. Computerspielsucht oder Computerabhängigkeit wird heute zumeist unter den Themenbereich der Verhaltenssüchte subsumiert. Allerdings muss man hier dazusagen, dass der Begriff der Sucht als solcher in den international anerkannten Klassifikationssystemen psychischer Störungen gar nicht mehr zu finden ist.
Stattdessen wird dort heute von Abhängigkeit oder Missbrauch gesprochen. Damit ist üblicherweise der exzessive und risikohafte Gebrauch von Substanzen wie Kaffee, Nikotin, Alkohol, aber auch von Cannabis oder Amphetaminen gemeint, der zu einem subjektiven Hochgefühl oder Wohlbefinden führen kann. Zumeist entwickeln sich solche substanzbezogenen Verhaltensweisen als Kompensation anderer psychischer Störungen oder sozialer und kontextueller Belastungsfaktoren.
Abhängigkeiten von Computerspielen und anderen Verhaltensweisen, die ebenfalls Wohlbefinden und Sicherheit vermitteln und kompensatorischen Charakter haben können, sind aber substanzungebunden und werden, wie schon erwähnt, allgemein unter dem Begriff der Verhaltenssucht zusammengefasst.
Im US-amerikanischen Raum firmiert die Computerspielsucht im dortigen diagnostischen Klassifikationssystem psychischer Störungen unter dem Namen „Internet Gaming Disorder“. Im deutschen System, dem ICD-10, findet sich dagegen keine entsprechende Kategorie. Hierzulande wird die Abhängigkeit von Computerspielen genauso wie das pathologische Internetverhalten in der Regel unter den „Abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ angeführt. Als pathologisch gilt ein solches Verhalten dann, wenn die Handlungen wiederholt und unkontrollierbar auftreten und den Betroffenen sowie sein soziales Umfeld schädigen.
Betroffene berichten übereinstimmend, dass sie einen ehemals positiv erlebten Verhaltensbereich, wie zum Beispiel das Computerspielen, nicht mehr bewusst steuern können. Oft verspüren sie einen intensiven Drang zu spielen und investieren immer mehr Zeit dafür. Das kann zu gravierenden Folgeerscheinungen im psychischen, sozialen und somatischen Bereich führen und mit schulischen oder beruflichen Leistungseinbußen einhergehen. Auch Störungen psychovegetativer Funktionen, Beeinträchtigungen im emotionalen Erleben oder Einschränkungen des Sozialkontaktes – bis hin zur sozialen Vereinsamung – können die Folge sein.
Leider ist die öffentliche Diskussion zum Computerspielen sehr negativ aufgeladen. Dabei lassen sich eine Vielzahl von empirischen Studien finden, die gerade die Kompetenzvermittlung durch Computerspiele belegen. Es geht hier um die schon angesprochenen positiven Effekte im emotionalen, motorischen, kognitiven und sozialen Bereich. Dazu kommt, dass Computerspiele die digitale Lesefähigkeit, auch „Digital Literacy“ genannt, fördern und die heute so wichtige Kompetenz im Umgang mit Medien verbessern.
Fragt man Spieler nach ihren Nutzungsmotiven, so zeigt sich, dass Computerspielen für die einen reines Vergnügen ist, für andere dagegen ein regelrecht sportlicher Wettkampf. Wieder anderen geht es primär um den sozialen Kontakt, für sie ist das Computerspiel ein sozialer Treffpunkt. Man sieht also, dass Computerspiele eine Reihe positiver Effekte haben können – wie immer gilt: Die Dosis macht das Mittel zum Gift.
Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.
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