IT, Mobilität und Technologie
Wirtschaft und Management
Bürostuhl 2.0
von Redaktion, am 13.09.2013
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Wirtschaft und Management
von Redaktion, am 13.09.2013
Zwei Monate haben sechs Studierende der Hochschule Fresenius München an einer Social-Media-Strategie für das Unternehmen TOPSTAR gearbeitet. Die Fragestellung: Wie vermarktet man Stühle erfolgreich im Web 2.0? Eine anspruchsvolle Aufgabe – vor allem wenn man sich nebenbei auch noch um das Thema der Bachelorarbeit kümmern muss. Eine Reportage über die Herausforderungen eines 6. Semesters.
Erwartungsvoll blickt Dr. Rainer Wagner in Richtung der Studierenden, die sich hinter dem Dozentenpult bereithalten. Um ihrem Vortrag zu lauschen, hat er es sich auf einem Seminarstuhl bequem gemacht. Aus dem Stehgreif könnte Wagner über seinen Untersatz referieren – denn mit Stühlen kennt er sich bestens aus. Der 48-Jährige ist Geschäftsführer von TOPSTAR, einem weltweit operierenden Stuhlhersteller mit Sitz in Langenneufnach bei Augsburg. Seine Eltern hatten das Unternehmen 1976 gegründet und die drei Söhne – Rainer Wagner hat noch zwei jüngere Brüder – schon früh in das Geschäft eingeführt.
Nun will Wagner die Firma fit machen für die digitale Zukunft. Helfen sollen ihm dabei sechs Studierende der Hochschule Fresenius München. Im Rahmen ihres Projektstudiums haben die Sechstsemester die Aufgabe, die Social-Media-Präsenz von TOPSTAR zu analysieren und weiterzuentwickeln. Eine große Herausforderung, denn die Studierenden haben nur rund sieben Wochen Zeit, die zweite Hälfe des 6. Semesters ist für das Schreiben der Bachelorarbeit reserviert.
Entsprechend gedrängt ist der Terminplan, den Barbara Wüst, Studentin der Wirtschaftspsychologie und externe Sprecherin der Projektgruppe, gleich Rainer Wagner vorstellen wird. Der heutige Termin der Erstpräsentation ist vor allem dazu da, diesen Zeitplan mit dem Unternehmenspartner abzustimmen und einander kennenzulernen. Normalerweise treffen beide Parteien – Projektgruppe und Unternehmenspartner – an diesem Tag zum ersten Mal aufeinander. Da aber Rainer Wagner auch als Mentor des Projekts fungiert, also die Gruppe von akademischer Seite betreut und bewertet, hat man sich schon zuvor ein paar Mal ausgetauscht.
Vorne neben dem Whiteboard stehen Barbara Wüst und ihre Kommilitonen Alexander Köhler, Severin Obersteiner, Florian Würth und Karina Antis – alle haben sich für die Erstpräsentation in Schale geworfen. Die sechs wirken sehr seriös, ihr Vortragstil ist professionell. „Social Media ist für Unternehmen heute unabdingbar“, beginnt Alexander Köhler seine Ausführungen nach einer kurzen Vorstellungsrunde und fährt fort: „Die sozialen Medien ermöglichen eine neue Qualität der Kundeninteraktion.“ Gerade für einen Stuhlhersteller, dessen Produkte nicht so stark in der Öffentlichkeit diskutiert werden, seien diese Kanäle enorm nützlich, so der Grundtenor des Vortrags. Denn hier könne man sowohl auf sich aufmerksam machen als auch Informationen über die Kundenvorlieben gewinnen – „und das zu sehr geringen Kosten“, gibt Karina Antis im Schlusswort zu bedenken.
Rainer Wagner ist von der ersten Analyse der Gruppe angetan. Er ist zuversichtlich, dass am Ende der siebenwöchigen Bearbeitungszeit neue Impulse in Sachen Unternehmenskommunikation 2.0 zustande kommen. „Sind die erarbeiteten Ideen gut, werden wir auf jeden Fall versuchen, sie umsetzen“, stellt Wagner der Gruppe nach der Präsentation in Aussicht. Bis dahin liegt aber noch einiges an Arbeit vor den Studierenden.
Es ist früh am Morgen. Man sieht den Studierenden die Strapazen des Vortages an. Knapp sieben Stunden haben sie gestern an der Zwischenpräsentation, die heute Mittag in der TOPSTAR-Zentrale in Langenneufnach stattfinden wird, gefeilt. „Danach ging bei mir nichts mehr – außer Trash-TV“, gesteht Alexander Köhler. Gut geschlafen habe er aber trotzdem nicht. Seine Kommilitonen nicken zustimmend. Kein Wunder, dass einige die rund eineinhalbstündige Fahrt nach Langenneufnach – Rainer Wagner hat für die Gruppe eigens einen Shuttlebus inklusive Fahrer abgestellt – für ein kurzes Power Napping nutzen.
Um 9.30 Uhr erreicht der Bus schließlich die TOPSTAR-Zentrale. Vor dem Eingang halten die fünf Studierenden – Severin Obersteiner konnte die Reise krankheitsbedingt nicht antreten – nochmal inne. Zur Entspannung hat sich Florian Würth eine Zigarette angezündet. „Wir haben da echt viel Arbeit reingesteckt“, sagt er. Das Ergebnis ihrer Mühen dürfen die Studierenden in knapp zwei Stunden im großen Konferenzraum des Unternehmens präsentieren, neben Rainer Wagner wird dann das gesamte Topmanagement von TOPSTAR anwesend sein. Damit sich die Gruppe aber erst einmal akklimatisieren kann, hat Wagner eine Werksführung organisiert. „Jeder im Handel verfügbare TOPSTAR-Stuhl kommt hier aus Langenneufnach “, versichert er zu Beginn der Führung und übergibt dann das Wort an Betriebsleiter Franz Gail, der sogleich ergänzt: „Auch wenn wir bestimmte Komponenten aus dem Ausland beziehen: zusammengebaut wird hier im Dorf!“
In den Produktionshallen, die unmittelbar an die Geschäftsräume des Unternehmens angrenzen, stehen einige Maschinen still. „Wir befinden uns gerade in der ruhigen Saisonphase“, erklärt Gail diesen Umstand. In dieser Zeit würden im Werk rund 5 000 Stühle pro Tag gefertigt, in der Hochphase seien es dagegen über 10 000. Welche Vielfalt sich hinter diesen Zahlen verbirgt, sehen die Studierenden während der Führung mit eigenen Augen: Unterschiedlichste Kopf-, Rücken- und Armlehnen, eine Vielzahl an Stuhlrollen und -füßen und scheinbar unendliche Möglichkeiten der Farbkombination. „Viele Stühle werden dabei ganz individuell nach den Wünschen des Kunden produziert“, erläutert Gail. Einige Exemplare würden gar ausschließlich per Hand bearbeitet, vor allem die Produkte aus dem Wagner-Sortiment, der Premiummarke des Familienbetriebs.
Diese Stühle finden, genauso wie die TOPSTAR-Produkte, guten Absatz, wie Rainer Wagner seinen jungen Zuhörern nach der Führung berichtet. Dennoch ist er nicht zufrieden. „Die Bettenindustrie hat vor 15 Jahren erfolgreich ein Feeling etabliert, das man seitdem mit ihren Produkten assoziiert“, erklärt er beim Mittagessen. In der Stuhlindustrie habe man das versäumt. Wie kann dieses Versäumnis mit Hilfe des Internets nachgeholt werden? Hierauf sollen die Projektmitglieder am Ende der sieben Wochen Antworten geben. Nun steht aber zunächst einmal die Zwischenpräsentation an.
Es ist 12.30 Uhr. Die fünf Mitglieder des TOPSTAR-Managements haben soeben auf den weißen Lederstühlen im schicken Konferenzraum Platz genommen. Herr Wagner bittet seine Kollegen, sich den fünf Studierenden, die sich am Kopf des Raumes postiert haben, kurz vorzustellen. Head of Sales, Head of Marketing, Creative Director – die Entscheider des Unternehmens sind alle gekommen. Die Studierenden wirken beeindruckt. Etwas stockend legen sie los. Auch ihre Präsentation beginnt mit einer Vorstellungsrunde – und zwar mit einer medial vermittelten: Jedes Mitglied stellt sich mit Hilfe der Internet-Plattform vor, die es im Vorlauf der Zwischenpräsentation untersucht hat. So hat Florian Würth hierzu eigens ein kurzes Youtube-Video erstellt. Die Idee kommt beim Publikum gut an. Das Eis ist gebrochen.
Mit zunehmendem Selbstbewusstsein stellen die Gruppenmitglieder nun die Ergebnisse ihrer Recherche vor, für die sie sich stundenlang durch die sozialen Medien geklickt und außerdem das Netz nach Foreneinträgen, Kommentaren und Bewertungen zum Thema TOPSTAR durchsucht haben. „Insgesamt gibt es zu wenig Traffic rund um TOPSTAR“, konstatiert Barbara Wüst am Ende des Vortrags. Die Mitbewerber seien in den sozialen Medien wesentlich aktiver, hätten zudem sehr kreative Einfälle. „Wir werden versuchen, bis zur Abschlusspräsentation Ideen zu entwickeln, die genau hier ansetzen“, verspricht Wüst. Nach einer kurzen Diskussionsrunde, in der sich die Referenten einigen durchaus kritischen Fragen der TOPSTAR-Verantwortlichen stellen müssen, ist der Vortrag beendet. Rainer Wagner zeigt sich zufrieden und attestiert den Studierenden „ein gutes Niveau“. Bei der Endpräsentation müssten sie sich allerdings noch etwas besser verkaufen, fordert er. Dann entlässt er sie in den Nachmittag.
„Das Thema meiner Bachelorarbeit steht zum Glück schon länger fest“, erzählt Barbara Wüst. Schon im 5. Semester sei ihr die Idee gekommen, die Rolle der sozialen Medien bei den US-Wahlen 2012 zu untersuchen. „Das TOPSTAR-Projekt war hierfür natürlich eine perfekte Vorbereitung“, so Wüst. Eine Vorbereitung, die sich nun dem Ende entgegen neigt. Nach der Endpräsentation, die in wenigen Minuten in einem Seminarraum der Hochschule Fresenius München stattfinden wird, müssen die Gruppenmitglieder nur noch ihren schriftlichen Bericht fertigstellen – dann ist das Projekt abgeschlossen.
Jetzt gilt es aber nochmal, alle verfügbaren Kräfte zu mobilisieren. Denn auch die Endpräsentation findet wieder vor der kompletten TOPSTAR-Führungsriege statt – so hat es Rainer Wagner gewollt. Schließlich vertraut er darauf, dass seine Gruppe etwas Sehenswertes auf die Beine stellt. Die Studierenden sollten ihm dieses Vertrauen zurückzahlen, wie sich in der nächsten Stunde herausstellen würde.
Nach zahlreichen kreativen Vorschlägen zur Verbesserung der Unternehmenskommunikation im Netz – darunter mehrere sehr professionell produzierte und humorvolle Kurzvideos, in denen die Studierenden sogar ihre schauspielerischen Qualitäten unter Beweis stellten – lässt sich Rainer Wagner am Ende der Präsentation zu einem Gefühlsausbruch hinreißen: „Super! Das ist mehr als ich erwartet hatte!“, ruft er der Gruppe unter dem Applaus seiner Kollegen zu und verspricht: „Wir werden vieles davon umsetzen!“ Damit das Studium an der HS Fresenius größtmöglichen Praxisbezug aufweist, sind in die Curricula der Studiengänge sogenannte Projektstudien integriert. Im Fachbereich Wirtschaft & Medien können die Studierenden im 5. und 6. Semester ein Projekt absolvieren. Die Projektaufgabe wird dabei von einem Unternehmenspartner gestellt. Es kann hier um die Entwicklung einer neuen Marketing- oder PR-Strategie gehen, genauso aber auch um die Optimierung von Controllingprozessen oder die Evaluation von Personalentwicklungsmaßnahmen. Letztgenannte Fragestellung ist speziell auf die Kompetenzen der Wirtschaftspsychologen zugeschnitten, die im Vergleich zu den anderen Studierenden des Fachbereichs sogar drei Projektstudien absolvieren: Einem internen Projekt im 2. Semester folgen Projekte mit Kooperationspartnern im 3. und 6. Semester.
„Zwei der Videos, die von der Gruppe erstellt wurden, werden demnächst auf all unseren Onlinekanälen zu sehen sein“, bestätigt Rainer Wagner. Auch an einem Gamer Chair, einem Stuhl, der auf die Bedürfnisse von Computerspielern zugeschnitten ist, arbeite TOPSTAR derzeit – ebenfalls ein Einfall der Studierenden, erzählt Wagner und ergänzt: „Ich schätze, dass wir ungefähr ein Drittel der Ideen, die die Gruppe gesammelt hat, umsetzen werden.“
Insgesamt sei er deswegen mit dem Verlauf des Projekts durchaus zufrieden, auch mit dem schriftlichen Bericht, von dem er eine Ausführung auf dem Schreibtisch liegen hat. Vor allem aber habe ihn die Kreativität der Teilnehmer beeindruckt. „Mit Ausnahme einer Person waren an dem Projekt ja ausschließlich Studierende der Betriebswirtschaft beteiligt – und davon haben die meisten auch noch den Schwerpunkt Controlling gewählt“, so Wagner.
Am kommenden Samstag will er sich daher nochmal persönlich bei allen bedanken. Wagner wird nämlich auf der Absolventenfeier der Hochschule Fresenius München vor Ort sein: Er hält dort die Laudatio auf den Abschlussjahrgang – vielleicht kommt er darin nochmal kurz darauf zu sprechen, wie sechs der Anwesenden den Social-Media-Auftritt seines Unternehmens umgestaltet haben.
Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.
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