Medien

Auf neuen (See-)Wegen

von Redaktion, am 17.06.2013

Seit einigen Jahren machen Filmpiraten der Unterhaltungsindustrie zu schaffen. Mit der illegalen Verbreitung von Kopien sorgen sie für dramatische Umsatzeinbrüche – und krempeln nebenbei die Struktur der ganzen Filmbranche um. Wie tiefschürfend dieser Wandel ist, zeigt eine Bachelorarbeit, die im Jahr 2013 an der Hochschule Fresenius erstellt wurde.

Ja, bestätigt Laura Glockseisen, sie kenne Personen, die auf illegale Filmkopien zurückgreifen – „gerade in meiner Generation ist das ja etwas Alltägliches geworden.“ Für die Digital Natives sei die Versuchung, sich mal schnell einen Film im Netz anzusehen, allgegenwärtig. Eben wegen dieser Alltäglichkeit wollte Glockseisen das Phänomen „Filmpiraterie“ näher untersuchen – das Thema der Bachelorarbeit war gefunden. Was die Recherchen der 23-Jährigen, die ihr Studium Media & Communication Management an der HS Fresenius im März 2013 als Jahrgangsbeste abschloss, schließlich zu Tage förderten, ist nicht nur für Filmfans interessant.

So stellt Glockseisen in ihrer Arbeit „Piraterie in der Filmindustrie“ fest, dass das klassische Modell zur Verwertung von Filmen ausgedient hat. Das Modell folgte bis in die späten 90er Jahre noch einer ganz bestimmten Logik: Ein Film wurde zunächst in den Kinos gezeigt, dann in Form einer DVD oder eines Videos zum Verkauf angeboten und schließlich im Fernsehen ausgestrahlt. Von den Einkünften, die die Filmunternehmen auf den Stufen dieser Verwertungskette jeweils erzielten, ließ sich lange Zeit gut leben. Doch mit dem Aufkommen der Filmpiraterie begannen die Einnahmen zu schrumpfen – vor allem die aus dem Kinogeschäft: Stammten in den 80er Jahren noch 75 Prozent der Erlöse eines Produktionsstudios aus den Kinoeinnahmen, waren es im Jahr 2010 nur noch rund 30 Prozent, so ist es in Glockseisens Arbeit zu lesen.

Zwar ist dieser Rückgang auch mit der zunehmenden Verbreitung von Home-Entertainment-Systemen erklärbar. Doch dass auch Filmpiraten hier ihren Teil beitragen, zeigt das Beispiel des amerikanischen Actionstreifens X-Men Origins: Wolverine: Vor drei Jahren wurde eine Raubkopie des Films ins Internet gestellt, rund vier Wochen vor der Premierenfeier. Die Kopie wurde wahrscheinlich bei einer internen Voraufführung erstellt und erfreute sich schon kurze Zeit später großer Beliebtheit im Netz: Knapp vier Millionen Mal wurde sie heruntergeladen. Dadurch entgingen der Produktionsfirma rund zwölf Millionen Dollar, schätzen Branchenkenner.

Merchandising und Video-on-Demand – eine Branche sucht neue Verwertungsmöglichkeiten

Um diese Verluste zu kompensieren, schaute man sich in der Filmindustrie nach anderen Erlösmöglichkeiten um – und wurde bei der Vermarktung von Lizenzrechten fündig. Diese Vermarktungsstrategien „beinhalten unter anderem Merchandisingprodukte, die besonders bei großen Hollywood-Produktionen, wie z.B. Spiderman besonders hohe Erlöse mit sich bringen“, heißt es in Glockseisens Thesis. Mit Pay-per-View- und Video-on-Demand-Angeboten etablierte die Branche außerdem eine weitere Verwertungsstufe: Rund ein Fünftel des Umsatzes stammt heute aus diesen Vertriebskanälen. Das klassische Modell der Filmverwertung wurde also modifiziert: Der Verwertungskette wurde eine weitere Stufe hinzugefügt, zudem ist aus der Vermarktung von Lizenzrechten ein profitables Nebengeschäft entstanden.

Auf neuen (See-)Wegen versucht die Filmbranche, die mit jährlich mehr als 3 Milliarden Euro Umsatz zu den bedeutendsten Wirtschaftszweigen in Deutschland zählt, also der Bedrohung durch die Filmpiraten zu entgehen. Ob dabei auch das Kino zu retten ist, bleibt abzuwarten. Im Moment spricht der Trend eher gegen die zentrale Institution der Filmwelt: Zwischen 2000 und 2008 brach der Umsatz der deutschen Kinos um 10 Prozent ein, überall im Land gehen altehrwürdige Filmtheater Pleite. Laura Glockseisen glaubt, dass sich dieser Trend fortsetzt: „Viele weitere Kinos werden in den nächsten Jahren schließen müssen, vor allem auf dem Land.“ Der Umstand, dass heute die Zweitverwertung viel früher beginnt – vor zehn Jahren durften Filme erst ein Jahr nach der Erstausstrahlung im Kino auf den Video-on-Demand-Plattformen angeboten werden, heute bereits nach sechs Monaten –, dürfte die Überlebenschancen des Kinos nicht unbedingt vergrößern.

Champagner statt Popcorn – Alleinstellungsmerkmale führen zum Erfolg

Glockseisen sieht für die Betreiber aber dennoch Möglichkeiten, Kunden zu locken: „Der Kinobesuch muss zu einem besonderen Erlebnis werden.“ Mit zusätzlichen Service-Angeboten könnte dies gelingen, glaubt die 23-Jährige und verweist auf die Münchner Astor Cinema Lounge: Hier bequemt man sich zum Filmschauen auf luxuriöse Loungesofas und lässt sich vom Servicepersonal mit Champagner verwöhnen. Champagner statt Popcorn – „das könnte eine Idee mit Zukunft sein“, findet Glockseisen.

So wie sich manche Kinos ein Luxusetikett verpassen, müssen sich auch andere Unternehmen, die an Filmen verdienen, auf die Suche nach Alleinstellungsmerkmalen begeben. Nur so können sie in Zeiten der Filmpiraterie überleben. Das bestätigt auch Prof. Dr. Kerstin Gühne, Geschäftsführerin der Sony Pictures Television Sales GmbH und Dozentin an der HS Fresenius. Ihrer Meinung nach „muss jede mediale Plattform einen USP bieten, der für eine gewisse Zielgruppe so interessant ist, dass sie nicht darauf verzichten mag.“ Man müsse dabei stärker als bisher auf den Kunden eingehen, empfiehlt Gühne – denn dieser zeige gerade in Deutschland „eine relativ hohe Zahlungsmoral.“ Um die Filmindustrie in Spanien oder Russland ist es dagegen viel schlechter bestellt: „Hier raubkopieren bis zu 70 Prozent aller Haushalte regelmäßig“, so Gühne. Diesen Standortvorteil gilt es also zu nutzen – dann sieht Gühne trotz der beunruhigenden Ergebnisse, die Laura Glockseisen in ihrer Bachelorthesis zusammengetragen hat, auch für die deutsche Filmindustrie „mehr Chancen als Risiken.“

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Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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