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Wirtschaft und Management

„Die Abschaffung der Arzneimittelpreisbindung wäre eine große Gefahr für den Erhalt der flächendeckenden Apothekenversorgung“

von Redaktion, am 20.12.2016

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arzneimittelpreisbindung hat die deutsche Gesundheitsbranche in Aufregung versetzt. Könnte der Richterspruch am Ende die Aufhebung der Preisbindung in Deutschland zur Folge haben? Prof. Dr. Uwe May, Gesundheitsökonom an der Hochschule Fresenius Idstein, hofft, dass es nicht soweit kommt. Im Interview erklärt er, warum.

Herr Prof. May, in einem Urteil hat sich der Europäische Gerichtshof vor einigen Wochen zum Thema Arzneimittelpreisbindung positioniert. Im Urteilsspruch heißt es, es sei nicht rechtens, ausländische Versandapotheken dazu zu zwingen, sich bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an die deutsche Preisbindung zu halten. Könnte das Urteil auch Auswirkungen auf die Arzneimittelpreisbindung für stationäre Apotheken haben?

Zunächst einmal ist das Urteil eine gute Nachricht für alle ausländischen Versandapotheken. Sie haben nun viel mehr Spielraum bei der Preisgestaltung. Das Urteil hat nun die allgemeine Diskussion um die Arzneimittelpreisbindung in Deutschland wieder angefacht. Ich hoffe, man bleibt in dieser Debatte sachlich und erkennt am Ende, dass die Beibehaltung der Preisbindung sehr sinnvoll ist.

Was wären die Folgen, sollte die Preisbindung in Deutschland gekippt werden?

Aus meiner Sicht wäre das eine große Gefahr für den Erhalt der flächendeckenden Apothekenversorgung. Wenn sich die Apotheken nicht mehr an Preisvorgaben halten müssen, kommt es zu einem Wettbewerb, bei dem gerade kleinere Apotheken in Deutschland nicht mehr mithalten können. Schlussendlich könnte das dazu führen, dass gerade in ländlichen Gebieten viele Apotheken schließen müssen, weil ein Teil ihrer Kundschaft sich die Arzneimittel plötzlich beim „Pharma-Discounter“ in der nächsten Stadt oder über eine Intermetapotheke im Ausland besorgt.

Für mobile Menschen ist das weniger ein Problem. Aber gerade ältere und finanziell schwächer gestellte Menschen haben nun nicht mehr die Möglichkeit, sich direkt an ihrem Wohnort beraten und versorgen zu lassen. Und auch zum Beispiel für Familien mit Kindern, die am Wochenende oder in der Nacht den Apothekennotdienst in Anspruch nehmen möchten, steht dieser eventuell nicht mehr zur Verfügung.

Trotzdem fordern viele aber genau dieses Mehr an Wettbewerb für den Apothekenmarkt. Sie sind Ökonom – wie lässt sich wirtschaftstheoretisch begründen, warum dieser Wettbewerb nicht zugelassen werden darf?

Weil es sich bei der Apothekeninfrastruktur um ein öffentliches Gut handelt. Ein solches Gut zeichnet sich dadurch aus, dass von dessen Nutzung, sofern das Angebot einmal besteht, niemand ausgeschlossen und es von mehreren Menschen gemeinsam genutzt werden kann. Klassische Beispiele solcher öffentlichen Güter sind die Landesverteidigung, das Justiz- oder das Bildungswesen.

Von diesen öffentlichen Gütern profitieren alle – und trotzdem wäre am Ende niemand bereit, diese Güter anzubieten, wenn der Staat hier nicht eingreifen würde. Insbesondere der freie Markt wird solche Güter nicht hervorbringen, da es im Wesen einzelner Markteilnehmer liegt, sich an deren Finanzierung nicht zu beteiligen.

Damit also das öffentliche Gut „Apothekeninfrastruktur“ weiterhin bereitgestellt werden kann, darf es keinen Wettbewerb über Preise auf dem Arzneimittelmarkt geben, richtig?

Richtig. Jedermann, der Sonntagnacht eine Apotheke braucht, sollte sie auch aufsuchen können. Verabschieden wir uns von der Preisbindung, könnte das schon bald nicht mehr für jeden möglich sein. Neben einem für viele Apotheken ruinösen Preiswettbewerb könnte es übrigens umgekehrt bei freier Preisbildung auch dazu kommen, dass einzelne Apotheken ihre Monopolstellung ausnutzen, die sie etwa in Bezug auf Leistungen im Notdienst oder dringend und rasch benötigten Arzneimitteln erreichen können. Auch ein solches Szenario ist nicht die richtige Vision für die Zukunft der medizinischen Versorgung in Deutschland.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

1 Antwort
  1. Eire sagte:

    Preisbindung und flächendeckende Apothekenversorgung,

    Die Gewinnspannen der Apotheken in Deutschland sind zu hoch. Kaufen Sie ein Schmerzmittel in England zahlen sie 1/4 des Preises. Diese Schmerzmittel bekommen sie sogar im Supermarkt.
    ES würde doch reichen, wenn man die Preisbindung auf verträglicherem Niveau beibehält.
    Dann könnten auch die kleineren Apotheken überleben.

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