Gesundheit, Therapie und Soziales

Wirtschaft und Management

„Jeder Tote ist einer zu viel“

von Redaktion, am 22.01.2014

„19 000 Tote jährlich durch Fehler und Schlampigkeit im Krankenhaus“, so titelten zahlreiche deutsche Medien in dieser Woche und bezogen sich dabei auf den AOK-Krankenhaus-Report. Dieser offenbart zweifellos die Mängel im deutschen Krankenhauswesen – müsse aber auch richtig interpretiert werden, sagt Prof. Dr. Andreas Beivers, Studiendekan Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius München. Als Mitglied des Editorial Boards hat er den Report mitgestaltet und darin auch einen Beitrag zum privaten Krankenhaussektor veröffentlicht. Dieser werde zu Unrecht für die Qualitätsmisere im deutschen Krankenhauswesen mitverantwortlich gemacht, wie er im Interview mit adhibeo erklärt.

Im Krankenhaus-Report der AOK sind beunruhigende Zahlen zu lesen. In deutschen Krankenhäusern, heißt es dort, sterben rund 19 000 Menschen durch hausgemachte Fehler wie Ärzteversagen, falsche Medikamentengabe oder mangelnde Umsetzung von Hygienevorschriften. Wie ernst ist die Lage wirklich?

Eine schwierige Frage. Die nackte Zahl muss einen natürlich erst einmal beunruhigen, sie dokumentiert, wie brisant die Situation ist. Es ist daher gut, dass der diesjährige Report dieses Thema in den Fokus stellt und somit auch eine breitere gesellschaftliche Debatte darüber anstößt. Natürlich muss die Zahl, die hier im Raum steht, detailliert betrachtet und untersucht werden, damit auch sinnvolle Rückschlüsse möglich sind. In den vielen unterschiedlichen Beiträgen des AOK-Krankenhaus-Reports werden hierzu wissenschaftliche Interpretationen angeboten.

Wichtig ist sicherlich zu erwähnen, dass in Deutschland, aufgrund der guten, fast flächendeckenden Krankenhausversorgung viele Menschen – auch und gerade im Notfall – einen Zugang zu Krankenhausleistungen bekommen. Nicht zuletzt deswegen haben wir in Deutschland auch viel mehr Krankenhausbehandlungen pro Kopf, weil hierzulande eben jeder zu jederzeit eine solche Einrichtung aufsuchen kann. Soll heißen: Bei wesentlich mehr Eingriffen werden logischerweise auch wesentlich mehr Fehler gemacht. Das muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden.

Dennoch sind Mängel im deutschen Krankenhauswesen zweifelsfrei vorhanden, oder?

Natürlich, und diese sollten wir auch dringend beseitigen. Jeder Tote ist einer zu viel. Wie man die Qualität anheben und gleichzeitig die Risiken für die Patienten verringern kann, das macht uns die Flugindustrie vor. Dort gibt es seit längerem gut funktionierende Risiko- und Qualitätsmanagement-Systeme, die übrigens auch auf Gesundheitskongressen immer wieder vorgestellt werden. Die Bundesregierung hat ja für die aktuelle Legislaturperiode die Gründung eines unabhängigen Qualitätsinstituts angekündigt. Ich denke, das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Mit was sollte sich dieses Institut dann auseinandersetzen?

Will man die Qualität in deutschen Krankenhäusern verbessern, geht es zunächst einmal darum, eine neue Fehlerkultur einzuführen. Herr Montgomery (Frank Ulrich, Präsident der Bundesärztekammer, Anm. d. Red.) hat meiner Meinung nach ganz richtig reagiert, als er gestern, konfrontiert mit den Ergebnissen des AOK-Krankenhausreports, darauf hingewiesen hat, dass eben auch im medizinischen Bereich Fehler passieren. Das Problem dabei ist: Hinter ihm stehen viele Ärzte, die einen offenen Umgang mit Fehlern nie erlernt haben. Die Gründe hierfür finden sich in ihrer Ausbildungs- und Berufssozialisation. Hier muss und wird ein Umdenken erfolgen.

Zum anderen sollte das neu zu schaffende Qualitätsinstitut vorantreiben, dass bestimmte Kontrollinstrumente eingeführt und institutionalisiert werden. Checklisten, auf denen steht, was im Einzelfall zu tun ist, sollten pflichtmäßig im Arbeitsalltag zur Anwendung kommen. Auch in Sachen externe Kommunikation gibt es Verbesserungsbedarf. Hier müssen Prozesse etabliert werden, die das Krankenhauspersonal anleiten, wie in Krisensituationen, also zum Beispiel wenn ein Patient bei der Behandlung stirbt, am besten mit der Außenwelt und den Medien kommuniziert werden sollte.

Sie sind Experte für den privaten Krankenhausmarkt. Privaten, gewinnorientierten Einrichtungen wird immer wieder vorgeworfen, dass sie für die Qualitätsmisere mitverantwortlich seien. Wie sehen Sie das?

Die These, dass die Gewinnorientierung der privaten Krankenhäuser zu Lasten der Qualität geht, lässt sich durchaus empirisch widerlegen. Studien zeigen, dass private Einrichtungen weniger häufig qualitative Auffälligkeiten, wie zum Beispiel erhöhte Wiedereinweisungs- oder Letalitätsraten, aufweisen als freigemeinnützige oder kommunale. In Sachen Servicequalität sind private Krankenhäuer mit den öffentlich finanzierten Einrichtungen gleichauf.

Der genannte Vorwurf ist also mit Blick auf die Faktenlage unhaltbar – und an dieser Lage wird sich meiner Meinung nach auch in Zukunft nichts ändern. Denn aufgrund der intensiven Beobachtung durch die Öffentlichkeit und des Wettbewerbsdrucks müssen die privaten Krankenhäuser viel stärker darauf achten, gewisse Qualitätsstandards einzuhalten.

Über den Autor

Redaktion
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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